Treffer

Am Ende fiel ein Schuss

Als „verschlossen, pflichtbewusst und zynisch“ wurde er eingeschätzt, als „falsch“ und als „schlauer Fuchs“ bezeichnet – Letzteres hätte wohl seinem Vater gefallen, der darauf geachtet hatte, dass all seine Kinder, auch die Töchter, eine gute Ausbildung erhielten: Je ein Sohn wurde Architekt, Jurist, Bahnbeamter und Offizier, die Mädchen Lehrerinnen, und alle beherrschten drei Sprachen.

Die Sprache hatte es auch einem anderen Mann angetan. Wenngleich er nur seiner heimatlichen mächtig war, wurde sie ihm früh zum Instrument. Die Liebe zur Literatur und zum schriftlichen Wort verdankte er seinem Vater, der Mitglied in einer einschlägigen Gesellschaft war, wodurch der Mann schon jung mit Künstlern in Kontakt kam. Die Leidenschaft von einem der oben genannten Söhne, das Heereswesen, teilte der Literaturliebhaber nicht. Er musste zwar den verpflichtenden Militärdienst absolvieren, doch verstand er es, sich durch seine anarchische Haltung rasch Feinde zu machen – wodurch er viel Zeit abseits seines Zugs verbrachte: nämlich im Arrest. Am Ende seiner Dienstzeit wurde er deshalb nicht befördert, sondern in einem niedrigeren Rang entlassen.

Der andere, viel jüngere Mann stieg indes rasch in der militärischen Hierarchie auf. Aufgrund seines Eifers wurde er mit wichtigen Aufgaben und sogar mit der Leitung seiner Einheit betraut – just in der Hauptstadt der Heimat des anderen. Weil der Heeresmann einen aufwendigen Lebensstil pflegte, kam es ihm wohl zupass, dass man ihm einen Nebenjob anbot, der sehr hoch dotiert war.

Ob die beiden Männer direkt aufeinandertrafen, ist nicht ganz klar – fest steht, dass der ältere im Rahmen seiner Arbeit über den Nebenjob des jüngeren berichtete, und der Bericht löste einen Skandal aus. Schließlich stand im Vorgängerblatt der vorliegenden Zeitung, der „Neuen Freien Presse“, zu lesen: Der Offizier habe sich „in einem Zustande hochgradiger Neurasthenie durch einen Schuss getötet“. Hätte er das nicht getan, hätte er dennoch vermutlich nicht viel länger gelebt, denn entweder wäre er an seinem Arbeitsplatz gestorben – oder aus gesundheitlichen Gründen.

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