Sicherheitslücke

Irland will keine wehrlose Insel mehr sein

Die Datenkabel auf dem Meeresboden vor Irlands Küste sind ein mögliches Ziel.
Die Datenkabel auf dem Meeresboden vor Irlands Küste sind ein mögliches Ziel. Imago/Christina Falkenberg
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Auf der neutralen Insel fühlen sie sich auch wegen Datenkabeln am Meeresgrund „verwundbar“. Die Armee ist ein Sanierungsfall. Jetzt soll sich einiges ändern.

Wien/Dublin. Kurz vor Putins Ukraine-Invasion sollten russische Kriegsschiffe vor der Küste Irlands aufkreuzen. Die Marine wollte Manöver mit scharfer Munition abhalten. Doch dann rückten irische Fischer aus. Sie fürchteten um ihre Bestände und protestierten heftig und erfolgreich. Die Russen verlegten die Übung weiter hinaus aufs Meer. Eine David-gegen-Goliath-Geschichte. Aber nicht nur: Dass private Fischer in Flanellhemden aktiv werden mussten, steht erstens sinnbildlich für den desolaten Zustand der irischen Streitkräfte. Und zweitens wurde später, nach Putins Ukraine-Invasion, die Frage immer drängender, was russische Schiffe überhaupt in Irlands sogenannter ausschließlicher Wirtschaftszone zu suchen hatten. Ein Verdacht: Sie schielten auf Unterseekabel vor der Küste. Denn die kritische Infrastruktur am Meeresboden ist eine Achillesferse des Westens.

„Wir fühlen uns verwundbarer“

In Irland schwindet in diesen Tagen das alte Sicherheitsgefühl. „Wir fühlen uns viel verwundbarer“, sagt Barry Colfer, Forschungsdirektor der Denkfabrik The Institute of International & European Affairs, zur „Presse“. Nicht nur der Ukraine-Krieg verändert die geopolitische Lage. Auch der Brexit. Und ganz generell scheint Irland jetzt nicht mehr wie eine Insel im Abseits großer europäischer Konflikte, sondern mit seiner langen Küste und der kritischen Infrastruktur eher wie ein mögliches Ziel hybrider Kriegsführung.

Für die Iren geht es auch um handfeste Wirtschaftsinteressen. Um Tausende Jobs. Denn auf der Insel mit ihren niedrigen Steuern haben US-Internet- und Technologieriesen ihren Sitz – von Ebay bis zur Facebook-Mutter Meta. Jüngst warnte die staatliche Agentur für industrielle Entwicklung, Investoren würden bei der Standortsuche längst einpreisen, wie sicher die Rechenzentren sind und die Infrastruktur am Meeresgrund, mit denen sie verbunden sind.

Neulich schob die irische Regierung die Debatte über Neutralitäts- und Sicherheitspolitik ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Eine knappe Woche lang diskutierten im Juni Militärs, Experten und Politiker auf offener Bühne über alle Facetten von Irlands Sicherheitspolitik. Diese „öffentliche Beratung über internationale Sicherheitspolitik“ hat zwar keinerlei bindenden Charakter. Die unabhängige Vorsitzende des Forums, die Sicherheitsexpertin Louise Richardson, wird aber Empfehlungen an den Außenminister schreiben.

Aber die Debatte gefiel nicht allen. Irlands Präsident, Michael Higgins, ein Sozialdemokrat, kritisierte die Abhaltung des Forums scharf. Die Regierung, klagte er, spiele mit dem Feuer, das Land drohe in Richtung Nato zu driften. Und der Vorsitzenden Richardson unterstellte er implizit eine Schlagseite in Richtung London, wofür er sich später aber entschuldigte. In Irland muss man eben jede Debatte auch vor der Folie der rund 100-jährigen Unabhängigkeit von London und auch des Nordirland-Konflikts sehen.

Außenminister Micheál Martin, ein Liberal-Konservativer, verteidigte das Forum vehement. Es brauche eine „ehrliche Debatte“ über die Ausrichtung des Landes. Ohne Scheuklappen. Wobei: An der Neutralität rüttelt niemand. Also nicht im Grundsatz. „ Die Neutralität ist ein Teil der nationalen Identität“, sagt Experte Colfer. In der Neutralitätspolitik komme auch der irische „Antiimperialismus“ zum Ausdruck, der wiederum ein Mittel ist, um sich von den Briten abzugrenzen: da die kleine Insel mit ihrer antikolonialen Grundhaltung, dort die Briten mit ihrem Weltmachtstreben.

Ihre Neutralitätspolitik werden die Iren wohl trotzdem anpassen (die anders als Österreich zivile Minenräumer für die Ukraine ausbilden). Der sogenannte Triple Lock wackelt in seiner jetzigen Form. Demnach müssen Auslandsmissionen mit mehr als zwölf Soldaten dreifach abgenickt werden – vom UN-Sicherheitsrat, der Regierung und dem Parlament. Im Zweifel hängen die Auslandsmissionen der Iren am Plazet von Kriegstreiber Russland, das Vetomacht im UN-Sicherheitsrat ist – laut Colfer „sehr unpopuläre“ Vorstellung.

Irland ist stolz auf seine Auslandsmissionen. Es hat Blauhelme schon an viele Konfliktschauplätze entsendet. Mehr als 500 Soldaten dienen zurzeit von Mali bis nach Libyen, und die Belagerung der irischen UN-Basis von Jadotville (1961) im Kongo ist berüchtigt, sie lieferte auch den Stoff für einen Netflix-Film.

Die Armee ist ein Sanierungsfall

Aber zu Hause ist das Land militärisch beinahe nackt. Die Armee ist dramatisch unterfinanziert – magere 0,2 bis 0,3 Prozent des BIPs investierten die Iren bisher jährlich in ihre Streitkräfte. Die Ausrüstung ist veraltet und Mangelware. Eine ernsthafte Luftabwehr gibt es nicht.  Im Vorjahr hatten die Iren kein einziges militärisches Radar. Allerdings wacht der britische Nachbar über den irischen Luftraum. Vor einigen Wochen wurden Berichte über einen alten Deal mit der britischen Luftwaffe, der Royal Air Force, publik. Auf einem Teil der Insel, in Nordirland, ist sie ja sowieso präsent.

Die Iren wollen jetzt aufrüsten – ein bisschen. Auch eine Kooperation beim Schutz der kritischen Infrastruktur mit der Nato wird erwogen. Denn nach dem 24. Februar 2022 tauchten russische Kriegsschiffe in der irischen Wirtschaftszone auf – und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie dabei den Verlauf von Unterseekabeln kartografiert haben.

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