Art Car

Warhols Bestzeit: 12 Farbkübel in 28 Minuten

Enes Kucevic
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Meist wurde mit Farbe gearbeitet, zuweilen auch mit Licht und Minusgraden: Nun ist Art Car Nr. 20 in Arbeit. Die aus Äthiopien stammende Künstlerin Julie Mehretu befindet sich in bester Gesellschaft.

Schnell könnte man die Art Cars von BMW für die Idee talentierter Marketingmenschen halten, doch damit täte man ihnen unrecht: Die Initiative war unschuldig und ohne werbetechnische Hintergedanken. Sie geht zurück auf das Engagement des Franzosen Hervé Poulain, Rennfahrer, Kunstkenner und Kurator in Paris. Für seinen Renneinsatz bei den 24 Stunden von Le Mans 1975 hatte er ein besonderes Fahrzeug im Sinn.

Als Kunstkenner war Poulain mit den Werken des US-Bildhauers Alex Calder vertraut, kannte seine berühmten Mobiles, den typischen großflächigen Einsatz von Farbe. Zudem hatte Calder Anfang der 1970er ein Flugzeug bemalt, im Auftrag einer Airline, die Reisen nach Südamerika bewerben wollte (die DC-8 in Calders Signature-Farben Gelb, Blau und Rot ist heute im US-National Air and Space Museum ausgestellt).

Poulain besuchte Calder in seinem Atelier in Frankreich, allerdings ohne Auto – das war noch gar nicht gebaut. Stattdessen brachte er ein Maßstabsmodell mit, dem Original so ähnlich, wie er es auftreiben konnte. Calder bemalte die Miniatur, und Poulain reiste damit nach München.

Inzwischen war mit BMWs Motorsportchef ein Freund von Poulain an Bord des Projekts, so ließ man sich zu außertourlichen, aufwendigen Lackierarbeiten vor dem Rennen überreden, um Calders Entwurf auf das Einsatzfahrzeug zu übertragen – ein Wagnis für die eher konservativ gebürstete bayrische Marke. 

Poulain erzählt heute: „Es hätte böse daneben gehen können. Wie leicht hätte man sich lächerlich machen können! Es prallten mit dem Auto ja zwei Welten aufeinander.“

Die Kunst im Rennsport hatte sich bis dahin auf formvollendete Darbietungen an Lenkrad und Pedalen beschränkt. Einen Austausch der Disziplinen kannte man bis dahin nicht. Calder wurde schließlich der fertig lackierte Rennwagen präsentiert, der Künstler war vom Ergebnis entzückt und pinselte seine Initialen ans Heck. Man muss anmerken, dass Enthusiasten schon jener 3.0 CSL als Kunstwerk, als Legende gilt, die Leichtbauvariante von BMWs Dreiliter-Coupé war in kleiner Auflage als Grundlage für den Rennsport gefertigt worden.

Calder war auch beim Einsatz in Le Mans anwesend. Das 480-PS-Mobile, diese bewegliche, röhrende Skulptur war für Calder etwas Besonderes. Dem Piloten Poulain gab er vor dem Rennen noch mit: „Gewinne, aber zerstöre das Auto nicht!“

Die Rennfahrer ließen zwar keine Milde walten, brachten den 3.0 CSL aber nicht ins Ziel – ein Defekt zwang zur Aufgabe. Die Aufmerksamkeit und die Zuneigung von Publikum und Presse hatte das erste Art Car, bevor es den Begriff dafür gab, aber gewonnen. Calder starb im Folgejahr.

Die Idee einer Serie war geboren, quietschte in der Folge vergnügt auf Kulturevents und Museen ebenso wie auf Rennstrecken. Ein Jahr später war mit Frank Stella eine weitere Größe des Kunstgeschehens gefolgt, abermals auf 3.0 CSL. Auf Stella folgte 1977 Roy Lichtenstein, bevor Andy Warhol, Ikone der Pop-Art, 1979 zum Pinsel griff. Eine Premiere in der noch jungen Serie, denn bislang hatten die Künstler Modelle im kleineren Maßstab bemalt, durchwegs mit größter Akribie, und Spezialisten und Assistenten übertrugen die Entwürfe auf das echte Auto. Anders Warhol: Die erste Bestzeit des Autos legte der Meister himself hin, ohne dass der Motor gestartet wurde – 28 Minuten, länger brauchte Warhol nicht, als er den BMW M1 in ein Kunstwerk verwandelte..

Mit Autos hatte Warhol bis dahin nichts am Hut gehabt (die berühmte Siebdruck-Ikone des Mercedes-Flügeltürers entstand 1986). Seine Idee war simpel und einleuchtend: „In der Geschwindigkeit eines Rennwagens verschwimmen Farben und Formen.“ Warhol machte keine Skizzen und fertigte kein Modell an – er schritt direkt zur Arbeit und verteilte ohne Umschweife die Farbe aus 12 Töpfen. Als das Kamerateam eintraf, es sollte den Schaffensprozess des Meisters festhalten, war die Arbeit schon so gut wie erledigt. Warhol später: „Ich liebe dieses Auto. Es ist besser gelungen als das Kunstwerk.“

Der BMW M1 in Serienversion war 1978 erschienen, als erster Mittelmotorsportwagen ein Paukenschlag bei der Marke und in seinen Tagen das teuerste Auto auf dem deutschen Markt. Warhols Variante war freilich als Rennwagen ausgeführt, mit gut 470 PS Leistung, 1020 Kilogramm Gewicht, Riesenflügel und Rennfahrwerk. Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1979, da war die Farbe noch nicht zur Gänze getrocknet, beendeten die drei Piloten abwechselnd, mit Initiator Poulain unter ihnen, auf dem sechsten Gesamtrang.

Die ursprüngliche Tradition von Rennwagen wurde auf andere Autos aus dem Sortiment ausgeweitet, Limousine, Cabrio, dergleichen. 1999 kehrte die Ur-Idee mit Jenny Holzers nur mit Typografie versehenem Le-Mans-Prototyp zurück. PROTECT ME FROM WHAT I WANT prangte in fluoreszierenden Lettern auf dem offenen Zwölfzylinder-Racer. Holzers Exemplar schied im Rennen aus (BMW gewann allerdings mit dem zweiten Auto in Sponsoren-geschmückter Rennsport-Livree).

Lange Pause, dann 2007 das bislang wohl irrste Ding in der Sammlung: weniger ein Auto als eine temporäre Installation des isländischen Künstlers Ólafur Elíasson. Das Wasserstoffkonzeptauto H2R ist unter einem gefrorenen Gerüst, an ein Walskelett erinnernd, lediglich zu erahnen und konnte nur in der Kältekammer ausgestellt werden.

Von flüchtiger oder virtueller Natur 2017 der Beitrag des chinesischen Multimedia-Künstlers Cao Fei, der das Fahrzeug unberührt ließ und es stattdessen mit Lichtinstallationen umrahmte; um diese wie erdacht in Bewegung zu sehen, braucht es eine Augmented-Reality-Applikation. Cao Fei adressierte mit seiner Arbeit die Themen autonomes Fahren, Digitalisierung und eine Zukunft mit fliegenden Autos.

Nach John Baldessari (2018) zog sich die internationale Jury aus Kuratoren und Museumsdirektoren erneut zurück und präsentierte vergangene Woche im New Yorker Guggenheim Museum die aus Äthiopien stammende Julie Mehretu als Gestalterin des 20. Art Cars. Mit dem BMW M Hybrid V8 handelt es sich wieder um einen Rennwagen, der bei den 24 Stunden von Le Mans an den Start gehen wird – technisch nach Hypercar-Reglement, während die in New York lebende Künstlerin „mit voller kreativer Freiheit“, wie es heißt, ausgestattet ist. Das Ergebnis wird vor dem Rennen Anfang des nächsten Jahres in Kapstadt gezeigt.

Das erste Art Car, bevor es den Namen dafür gab: Alex Calder verwandelte 1975 die Rennversion des BMW 3.0 CSL in ein 480-PS-Mobile.
Das erste Art Car, bevor es den Namen dafür gab: Alex Calder verwandelte 1975 die Rennversion des BMW 3.0 CSL in ein 480-PS-Mobile. Enes Kucevic
Auf dem Weg nach Le Mans: Julie Mehretu gestaltet das 20. Art Car für seinen Renneinsatz im Juni 2024.
Auf dem Weg nach Le Mans: Julie Mehretu gestaltet das 20. Art Car für seinen Renneinsatz im Juni 2024.Sam Cobb

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