Nachhaltigkeit

Flugzeug aus künstlichen Hüften

Maria Gusenbauer vom Orthopädischen Spital Speising startete in Eigeninitiative ein Nachhaltigkeitsprojekt, das nun Obdachlose unterstützt.
Maria Gusenbauer vom Orthopädischen Spital Speising startete in Eigeninitiative ein Nachhaltigkeitsprojekt, das nun Obdachlose unterstützt. Clemens Fabry
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Dass wertvolle Materialien im Spital weggeworfen wurden, störte Maria Gusenbauer. Sie startete ein Pilotprojekt, um Implantate nachhaltig zu nutzen – für den Bau von Flugzeugen, Schiffen und Autos.

Das Thema Nachhaltigkeit hatten ihre Kinder in die Familie gebracht, erinnert sich Maria Gusenbauer mit einem Lächeln: Sie hätten sehr darauf geachtet, regional einzukaufen, nichts zu verschwenden und nachhaltig zu leben, meint die gelernte Krankenschwester, die es bis zur Leiterin der Zentralsterilisation im Orthopädischen Spital Speising geschafft hat.

„Dieses Thema ist damit unserer gesamten Familie immer bewusster geworden.“ Als Folge begann Gusenbauer im Alltag immer öfters darüber nachzudenken. Vor allem beim Einkaufen stellte sie sich laufend die Frage: Brauche ich das wirklich?

Es war eine Änderung der Gewohnheiten, eine neue Lebenseinstellung, „die auch in den Beruf überging“, wie Gusenbauer zur „Presse am Sonntag“ meint: „Man verbringt ja sehr viel Zeit in der Arbeit.“ Mit Kolleginnen und Kollegen wurde über Nachhaltigkeit diskutiert, Informationen wurden gesammelt, es wurde überlegt, was man umsetzen könnte. „Eine Frage war: Wie gehe ich mit Explantaten um?“

Entfernte Implantate

Zur Erklärung: Als Explantate bezeichnet man in der Medizin Implantate, die aus verschiedenen Gründen wieder entfernt werden mussten. Beispielsweise Titanplatten und Schrauben, die nach einem Bruch einem Patienten implantiert und nach der Heilung wieder entfernt werden. Oder künstliche Hüften, die gewechselt werden müssen.

Warum sich Gusenbauer mit dem Umgang mit ehemaligen Implantaten beschäftigte? Diese seien einfach weggeworfen worden. Und das habe sie gestört: „Die bestehen aus hochwertigen, wertvollen Materialien wie Titan.“ Die Frage habe sich auch gestellt, weil es am Anfang zwar nur eine Handvoll Explantate waren, „sie wurden aber immer mehr“. Derzeit sind es rund 140 Kilogramm pro Quartal, die bei den Ordensspitälern der Vinzenz-Gruppe anfallen, zu denen das Orthopädische Spital Speising gehört. „Und die Tendenz ist steigend“, erklärt Gusenbauer, deren Aufgabe es ist, den Operationssaal zu servicieren: „Wir liefern alles steril ab, was der Chirurg und das OP-Personal benötigen.“ Nachsatz: „Das geht alles durch unsere Hände. Und wenn es durch unsere Hände geht, überlegt man sich: Kann man das wiederverwenden? Geht das wieder in den Kreislauf, oder entsorge ich es?“

Hochwertige Materialien

Gusenbauer machte sich deshalb auf die Suche nach einer Firma, die die Explantate ressourcenschonend wiederverwertet. Doch das war nicht einfach. „Ursprünglich wollte ich (aus Nachhaltigkeitsgründen, Anm.) eine österreichische Firma. Aber es gibt keine, die so etwas macht.“ Auch in Deutschland war es nicht einfach. Nach langer Suche fand sie allerdings eine Firma, mit der das möglich war. Diese holt nun die Explantate aus Wien ab und recycelt sie. Verwendet werden die künstlichen Hüften, Nägel und Metallplatten für Bereiche, in denen ein großer Bedarf an hochwertigen Materialien besteht, beispielsweise im Flugzeug- oder Schiffsbau und in der Autoindustrie. Man könnte sagen: Wer auf Urlaub fliegt, sitzt möglicherweise in einem Flugzeug, das teilweise aus künstlichen Hüften und ehemaligen Implantaten gebaut wurde.

Der Weg zur Umsetzung des Projektes war nicht einfach, meint Gusenbauer: „Nachhaltigkeit bedeutet, Zeit zu investieren. Und es waren schon Durststrecken zu überwinden.“ Dafür investierte sie viel von ihrer privaten Freizeit: „Ohne das geht da gar nichts.“ Nachsatz: „Mir ist nicht wichtig, wie viel Zeit ich in dieses Projekt investiere. Mir ist wichtig, einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten.“ Deshalb war ihr auch ein möglichst nachhaltiger Transport zu der Verwertungsfirma in Deutschland wichtig: „Die fahren nicht mit einem halbleeren Lkw zurück. Die kommen nur zu uns, wenn sie wissen, sie können in Österreich gleich alle Kunden abfahren und voll beladen zurückfahren.“ Das sei ihr wichtig gewesen, so Gusenbauer.

Wobei nicht alle Explantate bei Gusenbauer landen: „Sie gehören rechtlich gesehen den Patienten.“ Manche würden sie mit nach Hause nehmen wollen. Wenn es lange Zeit ein Teil eines Patienten gewesen sei, würde dieser oft eine gewisse Beziehung dazu aufbauen.

Drei Jahre Vorlaufzeit

Von der Idee bis zur Umsetzung des Projektes vergingen drei Jahre. Zahlreiche Dinge wie der hygienische Aspekt mussten geklärt werden. Unterstützung erhielt Gusenbauer dabei von ihrer Vorgesetzten Silva Stainer-Schütz, kaufmännische Direktorin in Speising: „Ohne ihre Unterstützung wäre das nicht möglich gewesen“, so Gusenbauer. Denn derartige Änderungen seien immer ein gewisses Risiko: „Und bei einem Risiko kann es gut gehen, es kann aber auch nicht gut ausgehen.“

Die positiven Aspekte von Gusenbauers Vorstoß gehen aber weit über das Thema Nachhaltigkeit hinaus: „Die Firma, die das abholt, bezahlt für Titan, den hochwertigen Stahl etc. den Kurswert. Wir bekommen also Geld dafür.“ Das fließt aber nicht in das Budget des Spitals: „Es wird für einen guten Zweck verwendet.“ Konkret für das Projekt „dock – die soziale Gesundheitspraxis“, das von der Vinzenz-Gruppe mit der karitativen Organisation Neunerhaus betrieben wird. Es bietet wohnungslosen Menschen, die keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben, fachärztliche Behandlung, Pflege und Therapie sowie eine soziale Betreuung. Gusenbauer: „Dadurch macht meine Arbeit noch mehr Spaß.“

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