Justizreform

Israels Wirtschaft leidet unter Reform

Die Demonstranten drangen in den vergangenen Tagen unter anderem in die Börse in Tel Aviv ein.
Die Demonstranten drangen in den vergangenen Tagen unter anderem in die Börse in Tel Aviv ein. APA / AFP / Jack Guez
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Die Stärke der israelischen Wirtschaft liegt im Hightechsektor. Durch die Massenproteste drohen Herabstufungen der Kreditwürdigkeit und Rückgänge der Investoren.

Tel Aviv. Die von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu durchgesetzte Justizreform sorgt nicht nur für Massenproteste auf den Straßen Israels, sondern beunruhigt auch Investoren und Analysten. „Das Hauptproblem für externe Investoren, die sich mit Israel befassen, ist derzeit die Ungewissheit“, sagt Hamish Kinnear, leitender Analyst für den Nahen Osten und Nordafrika bei Verisk Maplecroft.
Sollten die Proteste andauern, könnten der Wirtschaft weitere Rückschläge drohen – etwa Herabstufung der Kreditwürdigkeit, Rückgang der ausländischen Investitionen und ein schwächerer Technologiesektor, der das ökonomische Aushängeschild Israels ist.

Die Landeswährung Schekel hat allein in der vergangenen Woche mehr als zwei Prozent zum US-Dollar verloren. Seit Bekanntwerden der Reformpläne summieren sich die Einbußen auf über neun Prozent. Am Montag voriger Woche hatte die Knesset das Kernstück der Reform trotz monatelanger Massenproteste verabschiedet. Die Kompetenzen des Obersten Gerichts werden damit beschnitten: Es darf Entscheidungen der Regierung nicht mehr als „unangemessen“ kippen.

Ein Ende der Proteste ist nicht in Sicht: Im September wird sich das Oberste Gericht mit Widersprüchen gegen die Reform befassen, was das Gericht in direkten Konflikt mit der Regierung bringen könnte. Während eines Interviews mit dem US-Sender CNN ging Benjamin Netanjahu nicht darauf ein, ob seine Regierung sich an ein Urteil des Höchstgerichts halten würde.

Aktienindex bleibt zurück

Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung lässt den Aktienmarkt in Israel schwächeln. Der Aktienindex für Israel blieb seit Jahresanfang um rund 14 Prozent hinter den wichtigsten globalen Aktienindizes wie dem MSCI All Country World zurück, weil inländische Anleger den Markt meiden. Die ausländischen Investitionen in israelische Aktien waren bis Ende Juni allerdings aufgrund der überzeugenden Wirtschaftslage stark geblieben, wie aus Daten von Copley Fund Research hervorgeht.

Inflation ist in Israel niedrig

Der Anteil weltweiter Fonds mit einem Engagement in Israel lag bei 35,5 Prozent – und damit auf dem höchsten Stand seit 2017. Die niedrige Inflation im Vergleich zu ähnlichen Ländern habe die Investitionen begünstigt, aber weitere Proteste könnten den Zufluss von Geldern beeinträchtigen, sagt Analyst Kinnear.

Die Proteste könnten auch Israels Wirtschaftswachstum schwächen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) könnte 2023 um 2,5 Prozent zulegen und im nächsten Jahr um drei Prozent wachsen, schätzt etwa die Investmentbank Morgan Stanley. Wenn die innenpolitischen Spannungen aber nicht gelöst würden, könne das Wachstum auch nur ein Prozent und 1,6 Prozent (2024) betragen.

„Israel ist grundsätzlich immer noch ein sehr attraktives Investitionsobjekt“, sagt Roger Mark, ein Analyst für festverzinsliche Wertpapiere beim Fondsmanager Ninety One. „Das Problem ist diese Regierung – je länger sie diese Justizreform verfolgt, desto mehr wird sie diese Geschichte untergraben.“ Viele Investoren und Ratingagenturen hätten erwartet, dass die Regierung die Reform in größerem Umfang abschwäche. Da dies nun unwahrscheinlich erscheine, könnten Anleger das Land meiden.

Start-ups wandern ab

Die größte Sorge ist, dass die Investitionen in Israels Technologiesektor gebremst werden könnten. Der Sektor gilt als Aushängeschild der Wirtschaft und erwirtschaftet fast ein Fünftel des BIPs, mehr als die Hälfte der Exporte und ein Viertel der Einkommensteuereinnahmen des Landes.

Laut einer Umfrage von Israels Innovationsbehörde hat das unsichere Geschäftsumfeld bis März dieses Jahres bis zu 80 Prozent der neuen israelischen Start-ups veranlasst, sich im Ausland registrieren zu lassen – womit ein Teil des Geschäfts ins Ausland verlagert werden könnte. Die Kapitalbeschaffung von Technologieunternehmen war im zweiten Quartal bereits um 65 Prozent eingebrochen. Auch die Kreditwürdigkeit des Landes steht auf dem Prüfstand. Alle drei großen Agenturen, S&P Global, Moody’s und Fitch, haben Bedenken hinsichtlich des politischen Kurses der Regierung geäußert.

„Es würde mich nicht überraschen, wenn die Ratings oder zumindest die Aussichten für die Ratings gesenkt würden“, sagt Natalia Gurushina, Chefvolkswirtin für Schwellenländer beim Fondsmanager VanEck. „Die neuen Gesetze könnten zu einer erheblichen institutionellen Verschlechterung führen und möglicherweise Kapitalzuflüsse in Bereiche wie den Technologiesektor beeinträchtigen.“ (Reuters/sub)

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