Neue Front in Eurokrise: Portugal ist im "Schockzustand"

Neue Front Eurokrise Portugal
Neue Front Eurokrise Portugal(c) REUTERS (DUARTE SA)
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Nach der teilweisen Annullierung des Sparkurses durch das Verfassungsgericht steht die Regierung mit dem Rücken zur Wand. Ministerpräsident Passos Coelho macht keine Anstalten, die Lage zu entspannen.

Lissabon/Dpa. In der Eurokrise tut sich eine neue Front auf: Im Krisenland Portugal steht die Regierung mit dem Rücken zur Wand. Das Verfassungsgericht kippte Teile des Staatshaushalts für 2013, mit dem Lissabon seine Sparzusagen an die EU einhalten wollte. Das Urteil bringt eine Regierung in Nöte, die bei den Geldgebern bisher als Musterschüler gegolten hat. Portugal setzte die Auflagen der Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Weltwährungsfonds (IWF) zumeist tadellos um.

Die Entscheidung der Richter bedeutet einen herben Schlag für die Regierung, die bereits zuvor angeschlagen war. Die massive Sparpolitik hatte nicht die erhoffte Wirkung erzielt, die wirtschaftlichen Prognosen von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho erwiesen sich als falsch: Beim Abbau des Budgetdefizits verfehlte Lissabon die gesteckten Ziele, das ärmste Land in Westeuropa versank noch tiefer in die Rezession.

Ein großer Teil der Portugiesen hat von den Einsparungen und Steuererhöhungen genug. Protestkundgebungen und Streiks gehören beinahe zum Alltag. Die Regierung musste im Parlament vier Misstrauensvoten überstehen. Zu allem Überfluss verlor Passos Coelho kürzlich im Kabinett auch noch den Mann, der als seine rechte Hand gegolten hatte. Minister Miguel Relvas, zuständig für parlamentarische Angelegenheiten, trat wegen einer Affäre um sein Uni-Diplom zurück.

Das Veto des Verfassungsgerichts gegen Teile des Sparhaushalts hat die Regierung, wie die Wochenzeitung „Expresso“ berichtete, in einen „Schockzustand“ versetzt. „Wir haben keinen Plan B“, heißt es in Lissabon. Die Regierung muss rasch klären, wie es 1,3 Milliarden Euro – ein Fünftel der Einsparungen – aufbringen will, die jetzt im Haushalt fehlen. Das Gericht sprach sich in seinem Urteil gegen Kürzungen bei Pensionen und Beamtengehältern aus, nicht aber gegen Steuererhöhungen, die den Portugiesen in der Krise indes kaum zuzumuten sind.

Unterstützung des Präsidenten

Passos Coelho macht keine Anstalten, die Lage zu entspannen. Im Gegenteil: Seine Regierung verschärfte den Ton und warf dem Verfassungsgericht vor, das Land an den Rand des Abgrunds geführt zu haben. In einer demonstrativen Geste suchte der Regierungschef die Rückendeckung des Staatspräsidenten Aníbal Cavaco Silva, seines Parteifreunds.

Auf Unterstützung der Sozialisten kann die liberal-konservative Regierung nicht hoffen. „Ich bin bereit, die Regierung abzulösen“, sagte Oppositionsführer António José Seguro. Dabei hat der sozialistische Premier José Socrates den Deal zur Abwendung des Bankrotts eingefädelt.

Auf einen Blick

Sparpolitik Die „Troika“ aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds schnürte 2011 ein Hilfspaket von 78 Milliarden Euro für Portugal. Im Gegenzug verpflichtete sich das ärmste Land Westeuropas zu einer rigorosen Sparpolitik, um das Budgetdefizit abzubauen und den Staatshaushalt zu sanieren. In der Nacht zum Samstag hob das Verfassungsgericht einen Teil des Sparpakets der Regierung auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2013)

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