Ein Mailänder Berufungsgericht verdonnerte den Ex-Premier wegen Steuerhinterziehung zu vier Jahren Haft. Dass der Medienzar tatsächlich im Gefängnis landet, ist unwahrscheinlich.
Rom. Vier Jahre Haft, ein fünfjähriges Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden, zehn Millionen Euro Geldstrafe. Angesichts der zahlreichen Prozesse gegen Silvio Berlusconi mag es verwunderlich klingen – aber das, was das Mailänder Appellationsgericht nun ausgesprochen hat, ist die erste Verurteilung des früheren italienischen Premiers in zweiter Instanz. Alle anderen Verfahren kamen – meist aus Mangel an Beweisen oder mit Freisprüchen oder aufgrund von Verjährung – über die erste Gerichtsinstanz nicht hinaus.
Mit dem neuen Urteil ahnden die Mailänder Richter eine mutmaßliche Steuerhinterziehung des Medienunternehmers in Höhe von 7,3 Mio. Euro. Sein TV-Imperium soll Rechte an US-Spielfilmen zu überhöhten Preisen angekauft haben, um auf diese Weise Geld am italienischen Fiskus vorbei und ins Ausland schmuggeln zu können. In dieser Sache war Berlusconi bereits im Oktober zu derselben Strafe verurteilt worden – und hatte aus Wut darüber kurz danach die Regierung von Mario Monti gestürzt. Berlusconi wies die Abgeordneten seines „Volks der Freiheit“ an, Monti das Vertrauen zu entziehen; damit verfügte der technokratische Premier im Parlament über keine Mehrheit mehr, seine Arbeit wurde lahmgelegt, es kam zu vorgezogenen Neuwahlen.
Gegen entsprechende neue Ängste in Rom beeilten sich Parteigänger Berlusconis diesmal zu versichern, ein Risiko für die Große Koalition und die Regierung unter Enrico Letta bestehe nicht; es gebe „keine Verbindung zwischen dem Urteil und der politischen Stabilität“, erklärte beispielsweise Berlusconis Strafverteidiger Niccolò Ghedini, der auch nach den jüngsten Parlamentswahlen wieder als Abgeordneter im Senat sitzt.
Leitartikler weisen aber darauf hin, dass die Gefahr für die Große Koalition genauso gut von der anderen Seite ausgehen könnte: von jenen Sozialdemokraten, die das Bündnis mit dem „Erzfeind Berlusconi“ ohnehin ablehnen und sich jetzt zum Aufstand ermuntert sehen könnten.
Berlusconis Strafverteidiger Ghedini war am Anfang der Woche mit dem Versuch gescheitert, aus Angst vor einer Verurteilung seines Mandanten den Prozess von Mailand ins „neutrale“ Brescia verlegen zu lassen. Berlusconi und seine Anwälte werfen den Mailänder Richtern „politische Verfolgung“, „versuchten Staatsstreich“ und „notorische Voreingenommenheit“ vor. Am Samstag wollen Berlusconis Anhänger gegen das Urteil in Brescia demonstrieren.
Berlusconis Verurteilung zu vier Jahren, von denen drei durch einen allgemeinen, gegen die heillose Überfüllung der italienischen Gefängnisse gerichteten Erlass von 2006 automatisch gekappt werden, ist noch nicht rechtskräftig; Berlusconi gilt damit weiterhin als unschuldig. Ob der Kassationsgerichtshof noch vor der Verjährung zu einem endgültigen Urteil kommt, steht dahin.
Selbst im Erfolgsfall ist nicht sicher, ob das Parlament das fünfjährige Ämterverbot auch umsetzt und Berlusconi des Senats verweist. Einen Automatismus haben die Abgeordneten nicht ins Gesetz geschrieben, und in einem harten Ringen hat Berlusconi an diesem Mittwoch auch noch durchgesetzt, dass einer seiner treuesten Vertreter, der frühere Justizminister Nitto Palma, Chef des Justiz-Ausschusses im Senat wird.
Bunga-Bunga-Urteil
Wie lang Berlusconis Versicherung hält, die Koalition nicht platzen zu lassen, weiß niemand: Am kommenden Montag steht im Mailänder „Bunga-Bunga-Prozess“ das Plädoyer der Staatsanwaltschaft an, die von ihren Vorwürfen des Amtsmissbrauchs und der Prostitution mit Minderjährigen bisher nicht um ein Jota abgegangen ist, das Urteil wird wenige Tage danach erwartet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2013)