Pop

Robin Thicke: Sexismus-Soul als Erfolgsrezept

Robin Thicke
Robin Thicke(C) Universal/ Taylor
  • Drucken

Sein Ohrwurm „Blurred Lines“ führt die internationalen Hitparaden an. Trotz unverblümt sexistischen Inhalts hält sich die Aufregung darüber in engen Grenzen.

Sex ist nur schmutzig, wenn er richtig gemacht wird“, definierte Woody Allen in den sinnenreichen Siebzigerjahren. Dass Sex überaus „dirty“ sein kann, wenn er zum PR-Instrument pervertiert wird, zeigen zahllose Beispiele der letzten beiden Dekaden. Ob in Werbung oder Kunst, die Omnipräsenz von Sex hat zu einer gewissen Abstumpfung geführt. So mancher definiert unsere Ära als Zeitalter der sexuellen Anorexie. Diese Appetitlosigkeit macht möglich, dass neuerdings wieder sexistische Inhalte kommuniziert werden, ohne dass sich wirklich jemand darüber aufregt.

„Blurred Lines“, die neue Single des 36-jährigen US-Soulsängers Robin Thicke, ist das beste Beispiel für diese Apathie. Ganz offensichtlich wollte Thicke einen Skandal provozieren und auf dessen Welle hoch in die Charts hinaufsegeln. Die Strategie scheiterte auf paradoxe Weise. Das große Entsetzen blieb aus, der musikalisch attraktive Song fand dennoch seinen Weg an die Spitze der Hitparaden. Selten wurde Sexismus freundlicher propagiert als im alibimäßig relativ rasch von der Internetplattform YouTube entfernten Video von „Blurred Lines“.

„Nacktversion“ des Videos entfernt

Der Ohrwurm, ein von Thickes elegantem Falsett gekrönter familienfreundlicher R&B-Groove, entwickelt seine Sprengkraft nicht nur über den Text. Vielleicht noch erstaunlicher als die schlüpfrigen Lyrics ist die Bildsprache, die Regisseurin Diane Martel dafür entwickelte. Dass sie unmittelbar nach Entfernung der „nude version“ von „Blurred Lines“ ein Ersatzvideo parat hatte, in dem die weiblichen Protagonisten in unschuldig weißer Unterwäsche herumwackeln, bewies, dass hier von Beginn an mit öffentlichem Widerstand geliebäugelt wurde. Am grundlegenden Übel, dass sowohl im Video wie im Song veraltete Mann-Frau-Sterotypen perpetuiert werden, änderte die neue, von bereits 95 Millionen gesehene Version des „Blurred Lines“-Videos nichts.

Ob die Ladys nun barbusig und mit fleischfarbenen Tangas oder eben in der korrigierten Version mit weißen BHs und knappen Höschen tanzen, das visualisierte Machtgefälle zwischen Mann und Frau bleibt unverändert. Von drei anwesenden Herren zeigt nur Pharrell Williams etwas Haut. Von ihm sieht man wenigstens die nackten Knöchel in den Lackschuhen.

Rapper T.I. und Sänger Robin Thicke hingegen agieren strikt in dunklen Designeranzügen, kontrapunktisch zu den Damen, die vor lauter Sinnlichkeit völlig den Verstand zu verlieren scheinen. Es wirkt, als könnten sie außer Schafe streicheln und ausgestopfte Hunde knuddeln nur an das „Eine“ denken. Thicke wird als sexueller Befreier inszeniert, der Hinterwäldlerisches wie „Ok, he was close, tried to domesticate you, but you're an animal, baby, it's in your nature, just let me liberate you“ intoniert. Er tut dies mit souverän unschuldigem Augenaufschlag. Auf die zögerlich aufbrandenden Sexismusvorwürfe reagierte er mäßig originell. Er wollte zeigen, dass sich „Mann und Frau näher sind als sie denken, dass es gute und böse Mädchen gibt“.

Wer hätte das gedacht? Dass die brünette Emily Ratajkowski, Model mit Lust auf mehr Karriere, selbst bei Zeilen wie „I'll give you something big enough to tear your ass in two“ locker blieb, liegt wohl daran, dass in ihr der Teufel haust. O-Ton Thicke: „Auch gute Mädchen tragen eine böse Seite in sich.“ Für welche Art von erzieherischer Wirkung oder gar geistiger Erkenntnis der gegen Ende des Videos auftauchende Spruch „Robin Thicke has a big dick“ sorgen soll, darüber hat er sich leider bislang nicht geäußert. Schade, dass der seit 2003 regelmäßig superbe R&B-Alben veröffentlichende Thicke so platt werden musste, um seinen ersten internationalen Nummer-eins-Hit zu schaffen. Über Sinnlichkeit und Sex hat er früher weitaus sublimer gesungen. Mit den charmanten Two-step-Nummern „Lost Without U“ und „Magic“ eroberte er auch das traditionell anspruchsvolle europäische Soulpublikum. Mit „Sidestep“ gerierte er sich als singender Womanizer der alten Schule.

Surrogat statt echter Erotik

Die hat ausgerechnet Marvin Gaye, der mit seiner Liedersammlung „What's Going On“ 1971 das erste politische Soulalbum kreierte, begründet. Barry White, Isaac Hayes und Teddy Pendergrass traten schon in den Siebzigern sehr effektiv in seine Fußstapfen. Der sangestechnische Softporno ist seither eine anerkannte Form des R&B. Thicke arbeitet sich auf seinem neuen Album, „Blurred Lines“, unverdrossen hechelnd daran ab. Dass trotz feiner Songs wie „Take It Easy On Me“ am Ende das sterile Hochglanz-Surrogat über alle echte Erotik siegt, kommt nicht gänzlich unerwartet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Singer Robin Thicke performs ´Get Her Back´ at the 2014 Billboard Music Awards in Las Vegas
Pop

Robin Thicke: Neues Album "Paula" floppt

Sein neues Album widmet der Sänger Robin Thicke seiner Ex-Frau. In Großbritannien wurde es in der ersten Woche lediglich 530 Mal verkauft.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.