Der kleine Kurdenkrieg im syrischen Bürgerkrieg

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Symbolbild(c) REUTERS (STRINGER)
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Der syrische Ableger der PKK liefert sich seit Wochen entlang der türkischen Grenze schwere Gefechte mit der radikal-islamistischen al-Nusra-Front. Die Regierung in Ankara ist alarmiert - wegen der Vorstöße der Kurden.

Istanbul. In Syriens Bürgerkrieg tobt auch ein kleiner Kurdenkrieg. Auf der einen Seite die Partei der demokratischen Union (PYD), ein Ableger von Abdullah Öcalans PKK. Auf der anderen die al-Nusra-Front, zusammen mit anderen radikalislamischen Gruppierungen. Vor einem Jahr hatte die PYD in der sogenannten Rojava Revolution einige hauptsächlich von Kurden bewohnte Städte entlang der türkischen Grenze in ihre Hand bekommen. Auch die al-Nusra hat Ortschaften besetzt und dort ein Scharia-Regime errichtet. Nun versuchen beide Seiten, ihr Einflussgebiet zu behaupten und zu erweitern. Schwere Kämpfe gab es um den Ort Rasulayn (kurdisch: Serikani), wobei die PYD die Oberhand behielt. Nun wird um den Nachbarort Tell Abyad gekämpft.

Die Vorgänge haben Züge eines Stellvertreterkrieges zwischen der Türkei und der PKK. Nach dem Sieg der PYD in Rasulayn schrillten in Ankara die Alarmglocken. Außenminister Ahmet Davutoğlu wollte sogar den Sicherheitsrat einschalten, weil die Grenzen der Türkei in Gefahr seien. Dass al-Nusra mindestens zwei Grenzübergänge zur Türkei kontrolliert, scheint in Ankara dagegen niemanden zu stören.

Die Spannungen kommen zu einem Zeitpunkt, da der Friedensprozess in der Türkei selbst auf Messers Schneide steht. Die PKK ist zwar weiter dabei, ihre bewaffneten Kräfte aus der Türkei zurückzuziehen und es gibt keine Kämpfe. Andererseits hat der türkische Premier, Recep Tayyip Erdoğan, noch nicht offengelegt, wie er sich den politischen Teil der Lösung vorstellt. Ist deshalb der Friedensprozess in akuter Gefahr? Im Moment allenfalls wegen Syrien, meint Cengiz Çandar, Spezialist für türkische Außenpolitik und Kenner der Kurdenproblematik. Der Friedensprozess stehe auf zwei Säulen, meint Çandar: dem Willen Erdoğans und der Einbindung des gefangenen PKK-Führers Öcalan.

Erdoğan sei durch Ereignisse wie die Demonstrationen um den Gezi-Park in Istanbul und den Sturz der befreundeten Muslimbrüder in Ägypten „ziemlich verbraucht“. In dieser Situation würde ein Ende des Friedensprozesses mit der PKK für Erdoğan „Selbstmord“ bedeuten. Auch Öcalan werde nicht „wegen eines Flohs die Bettdecke verbrennen“. Mit anderen Worten, selbst wenn sich herausstellt, dass der Friedensprozess politisch tot ist, wird sich niemand finden, der den Mut hat, ihn zu Grabe zu tragen.

Dahinter steht die ungelöste Grundsatzfrage, ob die Türkei zu Frieden mit ihren Kurden fähig ist und die PKK ihren Platz in einer demokratischen Gesellschaft finden kann. Die Aufstellung einer eigenen PKK-Polizei, wenn auch nur in symbolischen Dimensionen, in kurdischen Gebieten der Türkei spricht Bände. Wie kann es ein Staat erlauben, dass Parteien ihre eigenen Polizeikräfte unterhalten?

Entscheidung fällt in Syrien

Die Entscheidung über den Friedensprozess könnte in Syrien fallen. Die Frage ist, wie die Türkei mit den de facto autonomen kurdischen Städten an ihrer Grenze umgeht. Wird Ankara weiter alle Hebel, inklusive jihadistischer al-Nusra-Front, in Gang setzen, um diese Realität zu beseitigen? Wird die PYD, wenn der Druck des Krieges nachlässt, demokratische Konkurrenz in den von ihr kontrollierten Gebieten zulassen? Hier hat die kurdische Bewegung die Möglichkeit für eine Reifeprüfung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2013)

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