Saisonstart

Schwächelt die Staatsoper – oder verlangt Mozart zu viel?

Verhängnisvolle Liebe: Kate Lindsey als Sextus, Federica Lombardi als Vitellia.
Verhängnisvolle Liebe: Kate Lindsey als Sextus, Federica Lombardi als Vitellia.Staatsoper.
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Mit einer Wiederaufnahme von Jürgen Flimms Inszenierung des „Titus“ sollte unter Pablo Heras-Casado eine Leistungsschau des „neuen Wiener Mozartensembles“ geboten werden, mit Matthew Polenzani als Stargast in der Titelpartie. Das misslang gründlich.

Einen spannenden Opernmoment gab es. Beinah. Die Konfrontation zwischen dem guten Kaiser Titus und seinem Freund, der aus Liebe zum Verräter geworden war. Der Kaiser will den abgefallenen Sextus verstehen, die beiden ringen verzweifelt nach Worten. Allein, diesem Augenblick der äußersten seelischen Anspannung, den Matthew Polenzani und Kate Lindsey intensiv deklamierend zu gestalten versuchten, fehlte die Musik.

Die eklatante Schwäche von Mozarts letzter Oper: Der Komponist konnte die Rezitative aus Zeitnot nicht selbst schreiben. Gerade dieser Szene hätte er gewiss einen seiner genialen, vom Orchester kommentierten Dialoge geschenkt, mit denen er Musiktheatergeschichte geschrieben hat. Des Assistenten Franz Xaver Süßmayers kümmerliche Klavierakkorde taugen jedoch nichts.

Und das, was die Sängerriege dieser ersten Staatsopernvorstellung der neuen Saison überall dort zu bieten hatte, wo die Noten doch von Mozart stammen, taugte meist ebensowenig. Womit die Wiederaufnahme von „La clemenza di Tito“ zur Farce wurde. Jürgen Flimms Inszenierung, konzentriert aufs Unwesentliche, in allem Wesentlichen aber unkonzentriert, bietet unwichtigen Nebenfiguren Gelegenheit, die Bühne zu bevölkern, die im Übrigen aussieht wie ein Kulissendepot. So läge es an der Musik, die dramatischen Vorgänge mitreißend zu spiegeln. Doch diesmal boten lediglich Slávka Zámečníková  als Servilia und Patrica Nolz als Annio nebst wohltönenden Duetten auch prägnant und ausdrucksstark modellierte Phrasen.

Ein Dirigent sollte auch zuhören können

Noch dazu gebrach es dem Dirigenten Pablo Heras-Casado an der Tugend des Zuhören-Könnens. An der Arie von Peter Kellners sauber gesungenem Publio war beispielhaft abzulesen, wie das ist, wenn man das Staatsopernorchester nicht mit Bedacht auf den Atem der Sänger spielen lässt. Der Reiz forcierter Akzente verrauscht bald nach der Ouvertüre. Vibratoloses Spiel allein kann als Originalklang-Opfer nicht für den Verlust aller anderen philharmonischen Operntugenden entschädigen.

Zumal dann nicht, wenn die Hauptdarsteller keine vokalen Glanzleistungen bieten, die einzig „Titus“ zum Ereignis machen – oder wenigstens retten – könnten. Kate Lindseys aus der Sprache geborene Lautmalerei, bei Monteverdis textgetriebener Dramaturgie beeindruckend, versagt bei Mozart, wo es darum geht, mittels entsprechender koloristischer Reichhaltigkeit melodische Bögen expressiv zu gestalten. Dafür fehlten Lindsey ebenso wie der Vitellia von Federica Lombardi die Farben und die vollkommene technische Stimmbeherrschung.

Kaiserliche Milde als Schwächezustand

Lombardis große Primadonnenszene („Non più di fiori“) wurde zum Offenbarungseid. Weder Beweglichkeit noch Tonumfang erlaubten eine annähernd angemessene Leistung: In der Tiefe fehlte dem Sopran vollends jeder Klang. Stargast Polenzani erinnerte in der Titelpartie zeitweise an frühere tenorale Souveränität, nicht genug jedoch, um jene herrscherliche Potenz hörbar werden zu lassen, die des Kaisers fortwährende Großzügigkeit nicht wie jämmerliche Schwächeanfälle wirken ließe. Der Weg zum avisierten „neuen Wiener Mozartensemble“ ist offenbar steinig. Die Saison hat freilich noch Zeit, sich von diesem Initial-Tiefschlag zu erholen.

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