Wirtschaftsstandort: Vom Absandeln auf hohem Niveau

Wir sind gerade dabei, eine der größten Stärken des Wirtschaftsstandorts leichtfertig aufzugeben: die Bereitschaft der Menschen, Leistung zu erbringen.

Auf die Frage „Wie geht's dem Wirtschaftsstandort Österreich?“ erzählte ein Manager eines großen heimischen staatsnahen Unternehmens dieser Tage im kleinen Kreis folgende Geschichte: Jedes Jahr lädt sein Konzern 300 Jugendliche ein, eine Lehrlingsausbildung zu absolvieren. Den Burschen und Mädchen werde schriftlich mitgeteilt, wann und wo sie pünktlich zu erscheinen haben. Auch werden sie gebeten, Schreibzeug und ein Lineal mitzubringen. Die Hälfte der Bewerber scheitert bereits an diesen Vorgaben. 150 kommen entweder zu spät zum Vorstellungsgespräch oder vergessen auf Bleistift und Lineal.

Dafür ist „abgesandelt“ wohl ein Hilfsausdruck. Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl hat dieses Wort bekanntlich in den Mund genommen und wurde von der SPÖ prompt als „Netzbeschmutzer“ des österreichischen Wirtschaftsstandorts bezeichnet. Leitl bezog sich mit seiner Kritik auf die internationalen Rankings, in denen Österreich jüngst immer stärker ins Hintertreffen geraten ist.

Das Originelle – oder besser gesagt: das Peinliche – an der aktuellen Diskussion ist nicht, was gesagt wird, sondern, von wem etwas gesagt wird. Wenn ausgerechnet jene Partei, die seit Tag und Jahr den Wirtschafts- und den Finanzminister stellt, plötzlich den Wirtschaftsstandort in Gefahr sieht, dann ist das doch ungeheuerlich. Und genauso kühn ist es, wenn die SPÖ monatelang von nichts anderem redet als von höheren Vermögen- und Unternehmenssteuern und dann der ÖVP vorwirft, sie „beschmutzt“ den Wirtschaftsstandort.

Österreichs Wirtschaft geht es zweifelsohne gut. Das Land steht viel besser da als die meisten Industrieländer. Aber unser Image hat in jüngster Zeit gelitten. Deshalb fiel das Land auch in diversen Rankings zurück. Diese Rankings basieren oft nicht auf Wirtschaftsdaten, sondern vielmehr auf der Meinung von Managern und Entscheidungsträgern. Und eines ist klar: Diese Meinung kann sich irgendwann einmal auch in Zahlen niederschlagen. Und Österreich gilt international nun einmal nicht nur als eine reiche Volkswirtschaft mit niedriger Arbeitslosigkeit und hohen Sozialstandards, sondern zusehends auch als ein von Korruptionsskandalen übersätes Land mit hohen Steuern, zu viel Bürokratie und wenig Ambition auf Veränderung. Es gibt also keinen Grund, mit der Situation zufrieden zu sein.

Und jetzt mag Zufriedenheit für jeden Einzelnen ein durchaus angenehmer und möglicherweise auch erstrebenswerter Zustand sein. In der Politik und in der Wirtschaft ist Zufriedenheit aber der Anfang vom Ende. Vor allem dann, wenn es sich um Selbstzufriedenheit handelt.

Ja, der Wohlstand ist groß in diesem Land. Und in kaum einem anderen Staat wird der Reichtum so stark umverteilt wie in Österreich. Wenn der Reichtum gleich verteilt wird, dann sichert dies den sozialen Frieden, heißt es.


Aber irgendwann mündet diese Gleichheit in Gleichgültigkeit. Es gibt alarmierende Signale, dass diese gefährliche Schwelle mancherorts überschritten wird. Etwa wenn 150 Lehrlingsanwärter es nicht der Mühe wert finden, pünktlich und vorbereitet zu einem Vorstellungstermin zu kommen. Wir sind gerade dabei, eine der größten Stärken des Wirtschaftsstandorts leichtfertig aufzugeben: die Bereitschaft der Menschen, Leistung zu erbringen. Dieser Leistungswille der Arbeitnehmer macht Österreich zu einer der produktivsten und wettbewerbsfähigsten Industrienationen. Noch.

Ja, es gibt so etwas wie Leistungsfeindlichkeit in diesem Land. Wir verdienen nicht mehr, was wir uns erarbeiten, sondern, was uns „zusteht“. Aus diesem irregeleiteten Selbstverständnis resultiert das nächste große Problem unseres Wirtschaftsstandorts: Unternehmerfeindlichkeit. Wer als Unternehmer sein Geld, seine Existenz riskiert und erfolgreich ist, muss sich am Ende womöglich als Ausbeuter bezeichnen lassen. „Millionär“ ist in diesem Wahlkampf gar zum Schimpfwort verkommen.

Es muss uns gut gehen. Denn sonst könnten wir uns all das gar nicht mehr leisten.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2013)

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