Sieben Lehren aus dem Wiener Wahlergebnis

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THEMENBILD: WIEN-WAHL / STADTPORTRAeT WIEN / HAAS HAUSAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Das Wahlergebnis in der Bundeshauptstadt zeigt eine Reihe von interessanten Facetten und Trends. „Die Presse“ bringt dazu einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen.

1. Historisches Tief bei der Wahlbeteiligung:
Die Wiener freut das Wählen nicht mehr.

Bei einer Wahlbeteiligung von vorläufigen 68,2 Prozent liegt Wien im nationalen Beteiligungsranking (errechneter Durchschnitt: 74 Prozent) recht weit hinten. Das Wiener Ergebnis könnte sich allerdings noch geringfügig verbessern, da noch nicht alle Wahlkarten ausgezählt sind. Trotzdem dürfte es sich, so viel lässt sich jetzt schon sagen, um die historisch geringste Wahlbeteiligung handeln. Am wenigsten hat die Wahl die Bezirke 20, 15 und 10 interessiert. In der Brigittenau gab es etwa 37 Prozent Nichtwähler, der 15. Bezirk lag mit 36,9 Prozent fast gleichauf. In Favoriten gingen etwa 36 Prozent der Wahlberechtigten nicht zu den Urnen. Wobei die wenigen noch nicht ausgezählten Stimmen das Ranking natürlich noch leicht verschieben könnten. Der Grund für die Urnenabstinenz? Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer sagt: „Die mangelnde Spannung hat die Mobilisierung der roten Wähler erschwert. Dass Rot gewinnen würde, war absehbar." Viele SPÖ-Sympathisanten hätten die rot-grüne Stadtregierung auch durch Verweigerung abgestraft.

2. Das Rathaus wird rosa.
Die Neos werden 2015 im Gemeinderat sitzen.

Die Nationalratswahl hat gezeigt, was man vorher schon ahnte: Die Neos funktionieren als neue bürgerliche Stadtpartei. Im ersten Bezirk, wo sie ihr stärkstes Ergebnis einfuhren, waren sie auf Anhieb so stark wie die Grünen (über 16 Prozent). Insgesamt sind sie in neun Bezirken zweistellig - meist in jenen, in denen ÖVP und Grüne stärker vertreten sind. Was insofern Sinn ergibt, als ihre Wählerklientel die Schnittmenge aus Letzteren bildet. Für die Wiener Gemeinderatswahlen 2015 wollen die Neos schon demnächst mit der Planung beginnen: Wie vor der Nationalratswahl will man einen Bürgerbeteiligungsprozess starten.

3. ÖVP, Grüne und Neos. Das bürgerliche Lager in Wien zersplittert immer mehr.

Seit Jahren setzen der Wiener ÖVP die Grünen innerhalb des Gürtels zu - junge, urbane Bürgerliche sind massenhaft übergelaufen. Geblieben sind Hochburgen wie Hietzing, Währing und die Innenstadt, wo die ÖVP mit traditionellen Werten und Wirtschaftskompetenz noch punkten konnte. Und nun kommen die Neos und räumen die geschwächte Partei in den schwarzen Kernbezirken ab. Allein im schwarzen Döbling verliert die ÖVP 6,2 Prozent - und den Bezirk (zumindest bei der Bundeswahl) an die SPÖ. Damit zersplittert sich das bürgerliche Lager weiter - zum Schaden der Wiener ÖVP.

Sieben Lehren Wiener Wahlergebnis
Sieben Lehren Wiener Wahlergebnis(c) Die Presse

4. Kein Sieg, aber auch keine Strafe für Grün. Eine Parlamentswahl ist kein Straßenkampf.

Das Dauerthema Mariahilfer Straße hat sich beim Kampf um das Parlament für die Grünen nicht eindeutig erkennbar negativ niedergeschlagen. Im Anrainerbezirk Neubau gab es nur ein kleines Minus, in Maraihilf konnten die Grünen sogar ein kleines Plus verzeichnen. Aber die Stimmenentwicklung in der auch grün regierten Bundeshauptstadt ist in Anbetracht der Erwartungen und im Bundesvergleich - trotz eines leichten Stimmenzuwachses - dann doch recht schwach. Ein möglicher Grund dafür: Die grüne Klientel, die man zuletzt intensiv mit zielgruppenorientierter Politik - Man denke an Radwege, Fußgängerzonen etc. - umwarb, ist nicht mehr erweiterbar. Zumal der Partei in den vergangenen Monaten offenbar eine Gruppe abhandengekommen ist, die prinzipiell ansprechbar war: Bürgerliche, die links der ÖVP stehen und Sympathie für Umweltthemen hegen. Die haben nun mit den Neos eine neue Option.

5. Die Wähler im roten Wien werden mobiler.
Gewinnen heißt für die SPÖ: wenig verlieren.

Die SPÖ spielt nur noch in der Defensive: Erfolg ist Schadensbegrenzung bei den Verlusten, um die Vormachtstellung zu verteidigen. Innerhalb des Gürtels setzen ihr Grüne und Neos zu, in den roten Hochburgen macht die FPÖ den Sozialdemokraten das Terrain streitig. Typisch ist Michael Häupls Heimat Ottakring, ein Arbeiterbezirk, in dem sich viele Junge ansiedeln: Von allen in die Zange genommen, fuhr die SPÖ mit -5 Prozentpunkten wienweit den höchsten Verlust ein. Auch in anderen traditionellen SP-Hochburgen wie Simmering (-3,25) und Favoriten (-3,16) gab es für die Genossen wenig zu lachen.

6. Noch blauer wird das Wunder nicht.
Die FPÖ hat ihr Potenzial ausgeschöpft.

Die FPÖ-Zuwächse in Wien fallen unerwartet mager aus. Ein Plus von 0,3 Prozentpunkten steht einem bundesweiten FPÖ-Zuwachs von fast vier Prozentpunkten gegenüber. In Wien fuhren die Freiheitlichen (bei den Zugewinnen) das zweitschwächste Ergebnis aller Bundesländer ein. Die FPÖ hat ihr Potenzial in Wien damit offenbar (fast) ausgeschöpft. Innerhalb des Gürtels schwach, holt sie ihre Stimmen in den roten Flächenbezirken. Dort rangiert die FPÖ bereits im Bereich von knapp unter (Favoriten) oder sogar über (Simmering) 30 Prozent. Als reine Protestpartei hier weiter massiv zuzulegen, ist kaum möglich.

7. Das Team Stronach ist eine Protestpartei.
Aber keine Stadtpartei.

Mit 3,91 Prozent fuhr das Team Stronach in Wien das schwächste Ergebnis aller Bundesländer ein. Zwei Gründe: Von der ohnehin seit Jahren schwächelnden Stadt-ÖVP gab es für den Unternehmer Stronach kaum Wähler zu holen (die gingen eher zu den Neos). Und die Arbeiter, die der ehemalige Werkzeugmacher aus Weiz in Wien ansprechen wollte, sind bereits mehrfach „besetzt" - von FPÖ und SPÖ.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2013)

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