Die Republikaner sind in Geiselhaft ihres rechten Flügels, sagt der US-Politologe Christopher Parker.
Herr Professor, die Tea Party konnte es nicht verhindern, dass Barack Obama zweimal zum Präsidenten gewählt wurde. Sie wird angesichts der demografischen Veränderungen in Amerika auf absehbare Zeit nicht das Weiße Haus erobern. Wieso gibt es sie noch immer?
Christopher Parker: Die Tea Party wird es so lange geben, wie Barack Obama im Weißen Haus sitzt. Tea-Party-Konservative sind nämlich reaktionär, während gewöhnliche Konservative wissen, dass schrittweiser Wandel nötig ist, um revolutionäre Umwälzungen zu verhindern. Ein Tea-Party-Konservativer blickt nur in die Vergangenheit zurück. Er will überhaupt keine Veränderung. Dieses Phänomen ist nicht neu. Die heutige Tea Party ist der John Birch Society aus den 1950er- und 60er-Jahren ähnlich, dem Ku-Klux-Klan in den 1920er-Jahren und der Know-Nothing Party in den 1850er-Jahren.
Was verbindet diese Bewegungen?
Sie sind von weißen, mehrheitlich männlichen Protestanten dominiert. Die Know-Nothing Party reagierte auf die steigende Zahl an irischen Katholiken, die in die USA einwanderten. Der Ku-Klux-Klan war gegen die Rückkehr der „neuen Schwarzen“ aus dem Ersten Weltkrieg, er war getrieben von der Vorstellung, dass das Kapital jüdisch dominiert wird, und er war erneut gegen katholische Einwanderer. Die John Birch Society war gegen die Bürgerrechtsbewegung. Für die Tea Party repräsentiert Barack Obama im Weißen Haus so eine beängstigende gesellschaftliche Änderung. Für diese Leute ist Kompromiss Kapitulation. Traditionelle Konservative sehen jemanden, mit dem sie eine Meinungsverschiedenheit haben, als Gegner. Für Tea-Party-Aktivisten ist er ein Feind.
Viele traditionelle Republikaner sahen die Tea Party anfangs als frischen Wind, der ihre Forderung nach Steuersenkungen und einem schlanken Staat unterstützte. Davon ist wenig übrig. Wieso gibt es in der republikanischen Partei keine Gegenreformation?
Weil sie in der Geiselhaft der Tea Party sind. Erinnern Sie sich daran, was der frühere republikanische Fraktionsführer Bob Dole gesagt hat: Weder er noch Ronald Reagan würden sich in der heutigen republikanischen Partei wohlfühlen. Die Sache ist halt die: Wer in der Tea Party ist, ist wirklich sehr, sehr stark politisch motiviert. Diese Leute engagieren sich, machen Kampagnen, gehen wählen und sorgen dafür, dass ihre Stimmen gehört werden. Darum haben traditionelle Konservative wie John Boehner oder John McCain solche Angst vor ihnen. Jemand könnte sie in den Vorwahlen rechts überholen.
Wird die Tea Party also verschwinden, sobald Obamas Amtszeit zu Ende ist?
Das verspreche ich Ihnen. Reaktionäre Konservative werden aber immer dann auferstehen, wenn etwas passiert, was ihnen Angst vor einem Wandel macht. Mitglieder der John Birch Society in den 60er-Jahren sind heute nachweislich aktiv in der Tea Party.
Der Budgetstreit hat also nichts mit Sachfragen über Defizite und die politischen Prioritäten für das Staatswesen zu tun?
Es hat sehr wenig damit zu tun. Warum hat die Tea Party so ein Problem mit Obamacare? Aus fiskalpolitischen Gründen wohl kaum, denn binnen zehn Jahren dürfte Obamacare dem Steuerzahler rund 124 Milliarden Dollar ersparen. Und ist fiskalpolitische Verantwortung nicht einer der Gründe für das Bestehen der Tea Party? Herkömmliche Konservative wollen Ordnung und Stabilität bewahren. Das geht bis zu Edmund Burke zurück. Die Tea Party macht das Gegenteil. Das sind Pseudo-Konservative. Sie wollen einzig Obama den Erfolg vermiesen.
Steckbrief
Christopher Parker
ist Professor für Politikwissenschaften an der Uni Seattle.
Vor drei Jahren
hat er begonnen, folgender Frage auf den Grund zu gehen: Sind die Aktivisten der Tea Party bloß besonders aktive Konservative – oder verkappte Rassisten, die keinen Schwarzen im Weißen Haus akzeptieren?
Sein Ergebnis umfassender Umfragen in zahlreichen Bundesstaaten ist in „Change They Can't Believe In“ bei Princeton University Press erschienen und lautet: Tea-Party-Anhänger haben Angst vor dem Wandel, den Obama verkörpert. 71 Prozent von ihnen fürchten, dass er das „echte Amerika“ zerstört.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)