Arbeit muss dann geleistet werden, wenn sie anfällt. Nicht, wenn es der Gesetzgeber oder die Sozialpartner vorschreiben.
Es war vor vielen Jahren: Ein Kollege, der damals in der IT-Abteilung von Raiffeisen arbeitete, hatte ein Programm für seinen PC geschrieben, das ihm ausrechnete, wie viel Geld er verdiente, während er privat telefonierte, Kaffee trank oder auf die Toilette ging. Besonders schnell lief der Zähler nach 18 Uhr: Dann fielen nämlich gut bezahlte Überstunden an – und deshalb gingen die Mitarbeiter auch meist erst gegen 18.15 Uhr aus dem Büro, weil ihnen die Bank die ganze Stunde bis 19 Uhr bezahlte.
Mittlerweile ist der Kollege bei einem großen IT-Unternehmen mit amerikanischen Wurzeln in Wien mit einem sogenannten All-in-Vertrag beschäftigt: Seine Überstunden, sogar die am Wochenende, sind mit seinem Gehalt abgegolten. Es gibt keine Verlockung mehr, unnotwendigerweise ein paar Minuten über 18 Uhr hinaus im Büro zu bleiben.
Die Zeiten, als sich Unternehmen solche Überstundentricksereien wie einst bei Raiffeisen leisten konnten, sind vorbei. Wer heute länger arbeitet, der arbeitet und führt nicht Schmäh. In der Industrie war das ohnehin nie wirklich möglich, weil dort das Ergebnis der Arbeit leichter messbar ist als etwa im IT-Bereich.
Halten wir also fest: Wenn Metaller von zusätzlicher Belastung sprechen, dann ist das kein Schmäh und keine Trickserei. Halten wir aber auch fest, dass es der Maschinen- und Metallwarenindustrie alles andere als gut geht. Die Gewinnmargen schrumpfen und deshalb sind Lösungen gefragt, die für die Arbeitgeber leistbar und für die Arbeitnehmer vertretbar sind.
Dass die Verhandlungen nun eskalieren und die Gewerkschaft mit einem unbefristeten Streik droht, ist wenig dienlich, aber verständlich. Die Arbeitnehmervertreter sollen einer weitgehenden Flexibilisierung der Arbeitszeit zustimmen, ohne die die Industrie einen Lohnabschluss ablehnt. Auch wieder verständlich, weil über die Flexibilisierung seit vielen Jahren bei jeder Lohnverhandlung gestritten wird und man sich jedesmal vertrösten ließ.
Tatsächlich ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit ein Thema, das man abseits der Metaller für alle Branchen diskutieren muss. Es geht nicht nur um diese Berufsschicht, es geht um die ganze Industrie, den Handel und auch den Dienstleistungsbereich. Die strikten Vorgaben einer Tageshöchstarbeitszeit oder einer maximalen Wochenarbeitszeit und die Drohung mit massiven Geldstrafen bei Verstößen gegen diese Regelungen sind überholt. Arbeit muss dann geleistet werden, wenn sie anfällt. Und nicht dann, wenn der Gesetzgeber oder die Sozialpartner sie vorschreiben.
In der Krise hat man gesehen, dass die Unternehmen mit flexiblen Arbeitszeiten Jobs retten konnten. Die, die in den starren Vorgaben gefangen waren, mussten mit Kündigungen auf die sinkende Nachfrage reagieren.
Bei allem Verständnis für den Ärger der Arbeitgeber über die Täuschungen der Vergangenheit – dass die Metallerverhandlungen das passende Forum sind, um die Flexibilisierung zu debattieren, muss man bezweifeln. Besser geeignet wären die Regierungsverhandlungen, die derzeit zwischen SPÖ und ÖVP stattfinden. Auch wenn sich Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner mit seinem Vorpreschen vor der Wahl für eine Flexibilisierung der Arbeitszeit keine Freunde gemacht hat, nach der Wahl muss man dieses Thema nüchtern diskutieren.
Wenn der Politik und den Sozialpartnern der Horizont für eine Lösung fehlt, hier wäre ein Vorschlag: SPÖ und Gewerkschaft fordern seit Monaten eine generelle sechste Urlaubswoche nach 25 Dienstjahren. Bisher steht sie nur dann zu, wenn jemand 25 Jahre im gleichen Unternehmen gearbeitet hat. Die Arbeitgeber sollen also den Menschen eine zusätzliche freie Woche pro Jahr bezahlen (kostet etwa 200 Mio. Euro), wenn die Arbeitnehmer im Gegenzug bereit sind, die tägliche Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden auszuweiten und den Durchrechnungszeitraum für den Zeitausgleich zu verlängern (ohne an der Jahresarbeitszeit zu rütteln).
Es ist nämlich eigentlich recht simpel: Wenn sich Unternehmen die Arbeit nicht mehr leisten können, wird es irgendwann keine Arbeit mehr geben.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2013)