Wettbewerbskommissar Almunia sieht in den Ausnahmen der deutschen Industrie von der Ökostrom-Umlage eine Wettbewerbsverzerrung.
Wien/Brüssel/Berlin. Die EU-Kommission will gegen die deutsche Ökostromförderung vorgehen. Die Brüsseler Behörde halte die Befreiung energieintensiver Unternehmen von der Umlage für eine Wettbewerbsverzerrung und werde daher ein Beihilfeverfahren einleiten, wie aus dem Entwurf eines Schreibens hervorgeht, das EU-Kommissar Joaquín Almunia laut Medienberichten an die deutsche Regierung adressiert hat. Formell soll das Verfahren am Mittwoch eröffnet werden.
Sollte die Ausnahme energieintensiver Branchen von der Ökostrom-Umlage für unzulässig erklärt werden, dürften den betroffenen deutschen Industriekonzernen Nachzahlungen in Milliardenhöhe drohen. Sie erhalten pro Jahr in Summe Rabatte in der Größenordnung von fünf Milliarden Euro. Auf jeden Fall aber würden beim Wegfall der Rabatte die Energiekosten für die betroffenen Unternehmen steigen. Laut Berechnungen des Chemieriesen BASF vom November würden die Zusatzkosten für den Konzern allein am Hauptsitz Ludwigshafen mehr als 300 Millionen Euro im Jahr betragen.
Die Kommission bezweifelt, dass die Ausnahmen im Einklang mit den Regeln des Binnenmarktes stehen. Almunia fordert Berlin auf, die Ziele zu nennen, die es mit der Befreiung der Unternehmen verfolgt. Es müsse gezeigt werden, dass die Hilfen angemessen, die Wettbewerbsverzerrungen beschränkt und die Regeln für den Handel in der EU positiv seien. Die Koalitionspartner CDU und SPD haben angesichts des drohenden Beihilfeverfahrens bereits angekündigt, die Rabattregeln zu überprüfen. Allenfalls könnte die Regierung die Entscheidung der Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof anfechten.
Industrievertreter sind erwartbar wenig erfreut – auch auf Arbeitnehmerseite: Detlef Wetzel, Chef der Industriegewerkschaft IG Metall, sieht hunderttausende Arbeitsplätze in Gefahr, falls die Ausnahme abgeschafft wird. „Es wäre das Ende der Stahl-, Aluminium- und chemischen Industrie in Deutschland.“ Die neue Regierung müsse diesen Unfug stoppen.
Laut einer Studie könnte die Erhöhung der EEG-Umlage (Erneuerbaren-Energie-Gesetz-Umlage) die deutsche Industrie kurzfristig rund 86.000 Jobs kosten. Das berichtet die „Welt am Sonntag“ in Berufung auf eine Untersuchung des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA).
Almunia stört aber noch etwas anderes: die auf viele Jahre garantierten Abnahmepreise für Ökostrom. All diese Vorschläge sind offenbar Teil eines „Masterplans“ Energie, den der Kommissar laut „Spiegel Online“ am Mittwoch vorstellen will. „Die Presse“ berichtete bereits im Juli von einem Entwurf der EU-Kommission zur Neuregelung der Ökostrombeihilfen.
83 Euro im Jahr für Ökostrom
Wie aus diesem Entwurf hervorgeht, will die Kommission die Ökostromsubventionen in ihrer heutigen Form beenden. Das würde auch Österreich betreffen: Auch hierzulande werden Produzenten von Wind- und Solarstrom fixe Einspeisetarife garantiert. Die Subventionen verteuern Ökostrom für Konsumenten stark. In Österreich zahlt jeder Haushalt durchschnittlich 83 Euro im Jahr für Subventionen von grünem Strom, in Deutschland sogar über 220 Euro.
Laut dem EU-Vorschlag aus dem Sommer sollen nationale Förderregimes abgebaut werden, stattdessen sollen nur noch die europaweit effizientesten und billigsten Ökostromproduzenten subventioniert werden. Die nationalen Fördermittel sollen künftig in EU-weiten Auktionen ausgeschrieben werden, bei denen sich Grünstromerzeuger aus allen EU-Ländern bewerben dürfen. Wer sich in der Ausschreibung mit dem niedrigsten Einspeisetarif bewirbt, gewinnt. Damit könnten die Ökostromkosten für die Konsumenten gesenkt, aber auch der Ausbau von erneuerbaren Energien gehemmt werden. (Reuters/APA/red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2013)