Damals, im Jänner 1974

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Die Ölversorgung war knapp, Rohöl um 17 Prozent teurer, und von einem Tag auf den anderen kostete eine Tankfüllung mehr als 100 Schilling. Eine Lösung musste rasch her – und war auch gleich gefunden. Wie vor 40 Jahren ein Tag der Woche autofrei wurde.

Die Ente war knallrot. Im Jänner 1974 wurde sie mit einem weißen Pickerl verziert, zwei großen Buchstaben an der Windschutzscheibe: „DI“. Ein Citroën 2 CV natürlich, 28 Pferdestärken, also schon die aufgemotzte Version des lustigsten Autos der Welt. Zehn Jahre lang leistete das Vehikel beste Dienste. Als es dann unsere Sekretärin kaufte, streikte nach wenigen Tagen der Motor. Ein Kolbenreiberl – solches passiert auch nur Frauen hinter dem Volant.

„DI“ – das stand für Dienstag. Seltsamerweise entschlossen sich mit mir in Wien 29,4 Prozent auch ausgerechnet für den Dienstag, eine relative Mehrheit. An diesem Tag also durfte das Auto ab Mitte Jänner 1974 keinen Millimeter bewegt werden. Benzin sparen hieß die Devise, die die Alleinregierung Bruno Kreisky ausgegeben hatte. Das tat zwar auch der Umwelt gut, aber an so etwas dachte man damals noch nicht unbedingt. Nein, die Erdölvorräte in Westeuropa schwanden dahin, die Benzinpreise kletterten in unvorstellbare Höhen. Man kann sich die Panik der Autofahrer gut vorstellen: Von einem Tag auf den anderen kostete eine Tankfüllung plötzlich mehr als 100 Schilling (also 7,20 Euro)! Und keiner wusste, ob das nicht in wenigen Tagen das Doppelte kosten würde. Benzinkanister waren ein begehrtes Gut, um Vorräte anzulegen. Es soll ganz Schlaue gegeben haben, die ihre Badewanne mit dem kostbaren Sprit füllten – ein Fressen für die Zeitungen jener Tage. Gesehen hat das freilich nie jemand.

Was war passiert? Die Erdölminister der Opec, die noch dazu ihr Hauptquartier in Wien hatte, reagierten im Herbst 1973 drastisch auf den Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und den arabischen Nachbarn: Sie drehten der Welt den Ölhahn (ein wenig) zu. Die Versorgung wurde knapp, die Benzin- und Heizölpreise stiegen. Rohöl war im Oktober gleich um 17 Prozent teurer geworden.

Niemand wusste einen Rat, wie es weitergehen würde, kein Ökonom, kein Politiker, schon gar nicht der kleine österreichische Konsument. Die Politik musste also handeln. Rasch und ohne lange Diskussionen, ohne großartige Volksbefragungen. Schon am 19. Jänner 1974 stattete die Regierung bei einer Klausur im Helenental den Handelsminister Josef Staribacher mit umfassenden Kompetenzen zur Energiesicherung aus. Über Nacht war der frühere AK-Kammeramtsdirektor zum Superminister aufgestiegen. Erstmals sollte er, der schon bisher über die E-Wirtschaft gebot, einen österreichweiten Energieplan ausarbeiten.

Was in Österreich damals vor sich ging, wäre wert, in den Politologie-Lehrfibeln Eingang zu finden. Es ist nämlich der zarte Hinweis, welch Vorteile ein adaptiertes Wahlrecht in sich birgt: Eine Partei regiert, die andere opponiert konstruktiv – und vice versa. Damals gab es eine rote Alleinregierung – nachdem von 1966 bis 1970 die ÖVP allein hatte regieren können. Die monochrome Bundesregierung der Siebzigerjahre war fähig, innerhalb weniger Wochen einschneidende Maßnahmen zu setzen, ohne lange Verhandlungen, ohne Streiterei, ohne Buhlen um Zustimmung der Opposition. Ein autofreier Tag pro Woche! Hätte es damals die rot-schwarze Koalition unserer Tage gegeben, bis zum Sanktnimmerleinstag wäre man wohl auf keinen grünen Zweig gekommen. Und man darf darauf wetten, dass durch nötige Kompromisse die Sache auf gut Österreichisch verwässert worden wäre.

Da hatte es der patriarchalisch regierende Bruno Kreisky wesentlich einfacher. Eine Beratung mit dem Gewerkschaftsökonomen Heinz Kienzl, ein Auftrag an seinen Finanzminister und besonderen Liebling Hannes Androsch, ein Wink an seinen Handelsminister Josef Staribacher genügten, und das spezielle Bundesgesetz konnte am 4. Jänner 1974 in Kraft treten. Drei Wochen hatte die Vorbereitung gedauert. Heute würden keine drei Jahre dafür ausreichen.

Und am 7. Jänner, einem Montag, erlebten die Magistratischen Bezirksämter in Wien und die Bezirkshauptmannschaften auf dem Lande einen Ansturm der besonderen Art. Denn es gab natürlich Ausnahmegenehmigungen für diesen autofreien Tag. Zwar musste jeder sein Tagespickerl montieren, aber wer privilegiert war, der durfte daneben eine zweite Vignette aufkleben: „S“ wie „Sondergenehmigung“. Muss man Kennern der österreichischen Seele schildern, welche Begehrlichkeiten dadurch geweckt wurden? Man ahnt, welch hanebüchenen Begründungen erfunden wurden, um die Ausnahmegenehmigung zu bekommen. Noch gab es ja den „Nummern-Adel“, also möglichst niedrige Autokennzeichen, die man kraft Amtes oder durch freundschaftliche Beziehungen zum Wiener Polizeipräsidenten zugewiesen bekam. Jetzt hatte das Privilegienrittertum einen zweiten Turnierplatz, von dem der Beharrliche glücklich mit einem „S“-Pickerl heimzog. Ja, es glich einer höchst amüsanten Posse. Nur die überforderten Beamten konnten dabei kaum schmunzeln.

Dabei gab es sowieso schon genug Berufsgruppen, denen automatisch das begehrte „S“ zustand, die also von der Regelung ausgenommen waren, die am 14. Jänner in Kraft trat: Lastwagen, Arbeitsmaschinen, Taxis, Motorräder, Mopeds, Fahrzeuge mit Blau- oder Gelblicht sowie alle, deren Kennzeichen mit BP, BG, BB, WK, BH oder WD begannen, also Polizei, Gendarmerie, Bundesbahn, Bundesheer, diplomatischer Dienst. Auch Ärzte mit dem Taferl „Im Dienst“ mussten sich nicht drum bemühen.

Pendler auf dem Land hatten eine Bestätigung des Arbeitgebers beizubringen, dass das Erreichen der Arbeitsstätte mit einem öffentlichen Verkehrsmittel unmöglich sei, dazu eine 25-Schilling-Stempelmarke und 20 Schilling Verwaltungsabgabe. 67 mal 96 Millimeter – das war die Devise der Stunde. So groß hatte die weiße Vignette zu sein, man konnte sie selbst verfertigen und den gewünschten autofreien Wochentag mit Filzschreiber aufmalen. Viele Firmen hatten aber sofort den Werbewert der neuen Einrichtung erkannt, und so bekam man die Pickerln haufenweise angeboten.

Wer populär sein – oder es werden – wollte, der hatte jetzt die Gelegenheit: Die SPÖ-Gemeinderatsfraktion im Wiener Rathaus beschloss, keine Sondergenehmigung zu beantragen, viele Fraktionen in den Bundesländern schlossen sich sofort an.

Dabei war den Österreichern gar nicht nach Posse zumute. Im Gegenteil, die Situation war ernst. Schon das Jahr 1973 war kein Honiglecken für den pragmatischen sozialistischen Finanzminister gewesen. Die Inflationwuchs, Lohnsteigerungen, aber auch Tarif- und Gebührenerhöhungen trieben die Kosten in die Höhe und setzten die Unternehmensgewinne unter Druck. Dazu gesellten sich die neue Mehrwertsteuer ab 1. Jänner 1973 und eine „Investitionssteuer“, gegen die die ÖVP als Opposition und die Wirtschaftsvertreter vergeblich Sturm liefen.

Finanzminister Androsch stand im Feuer: Unbeirrt bestand er weiter auf dem Hartwährungskurs, was ihm erstmals Misstrauen des Regierungschefs eintrug. Androsch aber hatte starke Verbündete: die Nationalbank, den ÖGB-Präsidenten Anton Benya und Staribacher, dessen ökonomische Kenntnisse weit über sein eng begrenztes Handelsressort hinausreichten. Der Konjunkturzyklus war zum Zeitpunkt des ersten Ölschocks auf seinem Höhepunkt. Die ÖVP-Zeitung „Die Wirtschaft“ zitierte eine zuversichtliche Wifo-Prognose für 1974: „Die internationale Erdölkrise hat bisher die heimische Wirtschaft nur am Rande betroffen. Der Bedarf an Mineralölprodukten konnte nahezu vollständig gedeckt werden; die (bisher) nicht sehr einschneidenden Sparmaßnahmen hatten vorwiegend vorbeugenden Charakter.“

Freilich: Man musste für schlimmere Zeiten vorbauen. Das Handelsministerium traf Vorbereitungen für eine Benzinrationierung: Die Kfz-Versicherungen sollten die Verteilung von Bezugskarten übernehmen. Der Verbraucherpreisindex querte im Mai 1974 erstmals die Zehn-Prozent-Marke. Um die Konjunktur sanft landen zu lassen, wurden die Baukredite gedrosselt. Vor allem die Wohnungspreise zogen dadurch an, Bauprojekte wurden nur verzögert fertiggestellt. Und das Budgetdefizit? Es kletterte auf 16 Milliarden Schilling, die Gesamtverschuldung des Bundes erreichte 70 Milliarden. Schilling natürlich. Zahlen, die einen damals schwindlig werden ließen.

Schon im Herbst 1973 hatte die Regierung mittels Verordnung den überheizten ärarischen Büros den Kampf angesagt: 20 Grad und nicht mehr durfte es in den öffentlichen Gebäuden haben, die Bediensteten mögen einen Pullover ins Amt mitnehmen, schrieben die Zeitungen. Die Wiener Verkehrsbetriebe verstärkten ihr Angebot und setzten bei zwölf Tramway- und Autobuslinien mehr rollendes Material ein. Kurz hatte man im Wiener Stadtschulrat auch überlegt, den Schulbeginn zu staffeln, damit die Öffis nicht allzu sehr überlastet würden. Dazu kam es aber letztlich doch nicht.

Und dann entschloss man sich zu den bis heute existierenden „Energieferien“: Anfang Februar, also in der kältesten Jahreszeit, sollten die Schulen für eine Woche lang nicht beheizt werden, um Öl zu sparen. Jubel allerorten: bei den Schulwarten, bei den Kindern, bei den Hoteliers. Die heimische Tourismusbranche dankt heute noch der sozialistischen Regierung von anno dazumal, auchwenn der eigentliche Zweck des Energiesparens inzwischen ins Gegenteil verkehrt worden ist: Gestaffelt nach drei Regionen werdendie Österreicher seit damals in die Skigebiete gelockt. Anders kann man es sich heute gar nicht mehr vorstellen.

Am 30. September 1974 empfahl Bundeskanzler Kreisky den österreichischen Männern in einem seiner launigen Interviews, sich doch nass zu rasieren und dadurch Strom zu sparen: „Wer sich elektrisch rasiert“, brummte er, „der sollte daran denken, dass es auch andere Rasierapparate gibt.“ Kreisky war bekennender Nassrasierer.

Was Österreich allseits belachte, erbitterte die „schwarze“ Opposition. Bierernst replizierte sie, da wäre es doch noch besser, sich Vollbärte wachsen zu lassen. Denn immerhin – so rechnete man dem Kanzler hämisch vor – koste ja auch die Warmwasserbereitung Energie. Bei nächster Gelegenheit, und die kam schon beim Dienstag-Ministerrat, schwächte der alte Fuchs seinen höchstpersönlichen Energiespartipp schmunzelnd ab: „Selbstverständlich will ich niemanden daran hindern, sich auf die eine oder andere Art zu rasieren . . .“

Doch da war von Panik schon keine Spur mehr. Der autofreie Tag hielt sich nur einen Monat lang. Dann herrschte wieder Friede in Österreichs Heizkesseln, und die Motorisierten brausten wieder an jedem Tag der Woche über die Autobahn: zwar mit 100 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit, aber das Ärgste war ausgestanden. Nicht überall konnten sie brausen: Das Wiener Dauerärgernis, der alltägliche Stau in der Kärntner Straße, sollte bald ein Ende haben. „Die Presse“ zeigte am 25. Jänner eine Architekturskizze, wie die Fußgängerzone aussehen könnte. Unmöglich, jammerte die Wirtschaftskammer. Todesstoß, japsten die Geschäftsleute.

Aber da hatten die Österreicher längst andere Gesprächsthemen. Die Skiweltmeisterschaften in Sankt Moriz sahen David Zwilling und Franz Klammer, Hans Hinterseer und Annemarie Moser-Pröll auf dem Siegerpodest, und damit war eigentlich alles wieder gut. Und der Benzinpreis? Wurde der nach der Krise wieder gesenkt? Ja, Schnecken! Im Gegenteil, wie wir heute wissen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2014)

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