Jewgenija Timoschenko: "Der Sieg der Bürger steht kurz bevor"

Jewgenija Timoschenko
Jewgenija TimoschenkoDie Presse
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Jewgenija Timoschenko, Tochter der inhaftierten Julia Timoschenko, erklärt im Interview, warum ihre Mutter die Hoffnung nicht aufgibt – und warum die EU umgehend Sanktionen gegen ukrainische Beamte einführen sollte.

Jewgenija Timoschenko empfängt im Hauptquartier der Vaterlandspartei im Kiewer Stadtteil Podol. Von außen ist das gut gesicherte Anwesen nicht als Parteizentrale erkennbar. Kein Schild, keine Fahne. Im Inneren ist Schluss mit der Geheimhaltung. Julia Timoschenko, Jewgenijas Mutter und frühere Premierministerin der Ukraine, ist allgegenwärtig. Von Plakaten, Bildern und Kalendern lächelt einem die prominente Gefangene entgegen.

Auch wenn mittlerweile andere das politische Tagesgeschäft übernommen haben, besteht kein Zweifel: Timoschenko ist noch immer Anführerin ihrer Partei, und deren einzige Hoffnung. Im Vorzimmer zum Besprechungsraum hängt ein Foto, aufgenommen zur Zeit der Orangen Revolution 2004/2005: Der Kiewer Unabhängigkeitsplatz ist von den weißen Fahnen der Vaterlandspartei bedeckt. Von dieser Popularität kann die Partei bei den derzeitigen Protesten nur träumen.

Wenn man heute auf den Maidan geht, ist Ihre Mutter nicht mehr besonders präsent. Ein paar Poster und Flaggen sind zu sehen, aber bei Weitem nicht mehr so wie auf dem Bild, das Sie hier hängen haben.

Jewgenija Timoschenko: Meine Mutter ist noch immer in den Herzen und Hirnen der Menschen. Ihre Freilassung bleibt eine Priorität der Protestierenden.

Sie waren bei den Protesten 2004/2005 an der Seite Ihrer Mutter dabei. Was sind die Unterschiede zwischen damals und heute?

Es ist nicht richtig, den jetzigen Maidan mit der Orangen Revolution zu vergleichen. Viele Menschen sehen beide Ereignisse als Kontinuum. Es ist ein groß angelegter Versuch des Wandels, um das sowjetische Erbe, die Korruption und den Autoritarismus loszuwerden. Wir glauben an unseren Sieg. Ein Unterschied ist vielleicht: Heute kämpfen die Menschen nicht mehr nur für politische Kandidaten, sondern sie kämpfen für sich selbst. Meine Mutter ist sehr stolz auf das ukrainische Volk.

Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen: Es gibt jetzt keinen starken Anführer.

Damals waren die gefälschten Präsidentenwahlen der Auslöser für Proteste. Das heißt, die Anführer der Opposition waren schon da und quasi natürlich vorgegeben. Das ist nun anders. Es gibt daher auch eine große Versuchung für die Oppositionspolitiker, in den politischen Konkurrenzkampf einzusteigen. Doch bis jetzt haben sie eine vereinte Front gebildet, trotz des großen Drucks. Von den Demonstranten wird meine Mutter nach wie vor stark vermisst: Sie besitzt Stärke, einen wachen Geist und politische Erfahrung – alles Dinge, die jetzt benötigt werden.

Wie fühlt sie sich jetzt, da sie all das nur in den Medien verfolgen kann? Es muss deprimierend sein.

Einer der Hauptgründe, warum sie in Haft ist, ist die Isolation. Sie weiß das. Ich habe stets Angst um sie. Ihr wird der Zugang zum Telefon verweigert, das ihr eigentlich zustehen würde. Sie hat seit zwei Jahren keine Sonne gesehen, darf ihre Zelle nicht verlassen.

Vor der Kehrtwende der Kiewer Regierung und der Entscheidung, das EU-Assoziierungsabkommen nicht zu unterzeichnen, dachte man, ihre Freilassung sei sehr nahe. Wie nah war sie wirklich?

Die Forderung nach Freilassung kam von höchster EU-Ebene, sie war Bedingung für die Unterzeichnung des Abkommens. Jedoch war für uns schon zwei Monate vor der Unterschrift klar, dass Präsident Viktor Janukowitsch nur ein Spiel spielte. Er gab vor, keine Lösung des Problems (der Begnadigung oder Ausreise, Anm.) zu finden, obwohl er als Präsident alle rechtlichen Mittel dazu gehabt hätte. Als er die Verantwortung schließlich an das Parlament abgab, wusste er bereits, dass er sie nicht freilassen würde. Die Abgeordneten seiner Partei waren von ihm selbst instruiert. Für mich war es also kein Schock, dass er seine stärkste Gegnerin nicht so einfach freilassen würde.

Die Ukraine steckt nun in einer Krise. Der Präsident denkt nicht an Rücktritt, so wie es die Demonstranten von ihm fordern.

Meine Mutter glaubt daran, dass der Sieg der Bürger kurz bevorsteht. Janukowitsch muss das auch fühlen, denn er verliert die Kontrolle.

Wie beurteilt Ihre Mutter die Vorgangsweise der vereinten Opposition, Stichwort Verhandlungen mit der Regierung?

Sie hält Verhandlungen für sinnlos und inakzeptabel. Sie können nur zu faulen Kompromissen führen. Die Regierung will nur Zeit gewinnen. Meine Mutter ist für keine halben Sachen zu haben.

Wie stehen Sie zur Reaktion der EU?

Es ist gut, dass in Europa nun erstmals über Sanktionen gesprochen wird. Man hätte schon viel früher darüber reden sollen. Sanktionen sollten am besten innerhalb von ein paar Tagen erlassen werden, damit sie endlich jene treffen, die für die Gewalt verantwortlich sind. Ex-Premier Mykola Asarow sollte die Einreise in die EU verweigert werden, nachdem sein Innenminister nichts gegen die Polizeigewalt getan hat. Ich bin mir sicher, dass man in Europa von den Geldwäschegeschäften der hohen ukrainischen Beamten weiß – die sollten nun gezielt verfolgt werden.

Steckbrief

Jewgenija Timoschenko (33)
ist die Tochter der inhaftierten ukrainischen Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Sie studierte Politik und Philosophie an der London School of Economics and Political Science.

Von 2005 bis 2012
war Jewgenija Timoschenko mit einem britischen Rockmusiker verheiratet. Nach der Scheidung nahm sie ihren Mädchennamen wieder an.
Eine politische Führungsrolle hat sie bisher abgelehnt; sie unterstützt ihre Mutter jedoch bei deren Aktivitäten und wirkt als deren Sprecherin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2014)

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