Keine Angst vor Wildschweinen und Berlusconi

Matteo Renzi
Matteo RenziAPA/EPA/MAURIZIO DEGL' INNOCENTI
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Der gerade einmal 39 Jahre alte Matteo Renzi hat eine stürmische, unkonventionelle Karriere hinter sich. Sein Heimatpfarrer will schon beim einstigen Ministranten und Pfadfinder großes Potenzial erkannt haben.

Rom. Matteo Renzi hat schon immer alle überholt. „Schon als er Ministrant war“, erinnert sich sein Heimatpfarrer in Rignano bei Florenz, „hat man gesehen, dass in ihm eine Nummer eins steckt.“ Für diese Rolle übte Renzi zuerst bei den Pfadfindern. „Ein Bluthund war er schon mit 16“, erzählt heute einer seiner Wölflinge von damals, „der hat dich karniefelt, und wenn du etwas falsch gemacht hast, hat er nicht locker gelassen, bis alles in Ordnung war.“ Zu helfen wusste er sich auch damals schon: „Beim Zelten im Wald, als wir alle Angst hatten vor den Wildschweinen, hat er seine Gitarre genommen und gesungen. Bis zum Morgen. Kein Tier hat sich herangetraut.“

Matteo Renzi, geboren 1975, drei Kinder, stammt aus einer frommen und politisch aktiven Familie mit Sinn für Publizität. Der Vater, für den linken Flügel der Democrazia Cristiana im Gemeinderat, betrieb eine Gesellschaft für Zeitungskioske und -werbung; von seiner Mutter, die ihm abends im Bett von den Kennedys erzählte, hat Matteo die Begeisterung für ein „junges“ Amerika, die er sich bis heute, bis zu seinen Anleihen bei Barack Obama, erhalten hat.

1996 begeisterte sich Renzi für die „Olivenbaum“-Bewegung von Romano Prodi. Mit 29 – als Jüngster in Italien – wurde er Präsident der Provinz Florenz. Der Durchbruch gelang im Juni 2009: Mit Basiswahlen, an den Parteiapparaten des Mitte-links-Lagers vorbei, wurde er bei der Kommunalwahl mit 60 Prozent Bürgermeister der Stadt Florenz. Sehr umtriebig, sehr pragmatisch, sehr bürgernah, dem Anschein nach beständig präsent, durch und durch unkonventionell, macht sich Renzi zum beliebtesten Stadtoberhaupt Italiens.

Das ließ ihn noch nicht ruhen. 2010 rief Renzi zur radikalen Verjüngung der Politik auf, zum „Verschrotten“ der alten Apparate und Kader. Er sammelte junge Intellektuelle bei den Sozialdemokraten und bedeutende Namen aus der Künstlerszene um sich, rollte mit „Big-Bang“-Veranstaltungen die Partei auf und füllte – im Wohnmobil durch Italien reisend – Säle im ganzen Land. Renzi verbreitet Aufbruchsstimmung, aber anders als der Genueser Komiker Beppe Grillo will er die Politik erneuern, nicht durch Antipolitik ersetzen.

Sympathie vom Erzfeind

Schon 2010 zeigte er zum Erschrecken seiner Parteifreunde auch, dass ihm Lagergrenzen herzlich egal sind: Er traf sich – unerhört für einen zünftigen Linken – mit dem damaligen Premier Silvio Berlusconi, und das auch noch in einer von dessen Villen. Angeblich ging es nur „um einige Florentiner Stadtprobleme“, aber das wollte keiner so recht glauben. Berlusconi empfindet bis heute tiefe Sympathie für den jungen Renzi: „Er erinnert mich so sehr an meine eigenen Aufbruchsjahre.“

Berlusconi weiß aber auch, dass ihm Renzi mit seinem undogmatischen Ansatz viele Wähler wegfischen könnte. Der Entscheidungsschlacht wich er folglich lieber aus: „Falls Renzi bei der Parlamentswahl zum Spitzenkandidat der Linken wird“, sagte Berlusconi 2012 „trete ich nicht mehr an.“

Doch es kam anders, schmählich für Renzi: die parteiinterne Vorwahl verlor er gegen den Apparatschik Pier Luigi Bersani. Der aber verspielte den Sieg bei der Parlamentswahl vor einem Jahr. Heraus kam die prekäre Große Koalition zwischen Enrico Letta und Berlusconi. Heute, im zweiten Anlauf, ist Renzi da, wo er hinwollte. Allerdings nicht durch Wahlen, sondern durch die Hintertür der Palastintrige – nach Mario Monti und Letta der dritte Premier in wenig mehr als zwei Jahren, und der dritte in Folge, bei dem das Volk nichts mitzureden hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2014)

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