Nachlass: Was Heideggers "Schwarze Hefte" (Arges) sagen

Heidegger, Schwarze Hefte
Heidegger, Schwarze Hefte(c) Wikipedia
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Zeigen veröffentlichte private Aufzeichnungen einen neuen Heidegger, einen "seinsgeschichtlichen Antisemiten"? Nein, urteilt Heidegger-Experte Matthias Flatscher im "Presse"-Gespräch.

„Schwarze Hefte“ nennen sie sich einprägsam, und ihr Autor ist Martin Heidegger. Trotzdem wäre die nun begonnene Veröffentlichung dieser vielen tausend Seiten aus dem Nachlass des Denkers außer Heidegger-Forschern wohl kaum jemandem aufgefallen – wenn nicht ein paar Sätze darin stünden, die im Vorfeld der Veröffentlichung für Wirbel sorgten, zunächst in Frankreich, dann auch im deutschsprachigen Raum.

War Heidegger viel antisemitischer als gedacht? Ja pflegte er gar einen „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“, wie Peter Trawny, der Herausgeber der „Schwarzen Hefte“, vor ein paar Wochen verkündete? Eine Art von Antisemitismus, von der man bis dato bei Heidegger nichts vermutete, und der jetzt, durch ein Dutzend Zeilen in seinen von 1931 bis in die Siebzigerjahre geführten Denktagebüchern, zum Vorschein kommt?

Das Geraune war groß, denn französische Forscher hatten von Trawny vor einigen Monaten ein vertrauliches Memo erhalten – kurz darauf kursierten in der französischen Öffentlichkeit schon Zitate daraus. Heidegger spreche vom „Weltjudentum“ und bringe es in Verbindung mit der (bei Heidegger natürlich negativ beurteilten) „Geschicklichkeit des Rechnens“, mit der (ebenfalls vom Philosophen bekämpften) „Bodenlosigkeit“. Heidegger wurde verdammt, verteidigt – all das auf der Grundlage von Sätzen, die der Öffentlichkeit nur splitterweise und ohne Kontext bekannt waren.

Das „Riesige“, „Bodenlose“

Das ist nun anders. Heute, Donnerstag, erscheinen jene zwei Bände 95 und 96 der Gesamtausgabe, in denen sich die viel erwarteten Sätze finden, und endlich lassen sie sich vollständig und im Zusammenhang nachlesen.

Diese Aufzeichnungen stammen aus der Zeit zwischen 1939 und 1941. Band 95 bringt das Judentum mit dem „Riesigen“ in Verbindung – ein Heidegger'scher Terminus für eine neue unheimliche Undurchsichtigkeit, die durch die Herrschaft des „Rechnens“, die Vorherrschaft des „Seienden“ über das „Sein“, entsteht: „Eine der verstecktesten Gestalten des Riesigen und vielleicht die älteste ist die zähe Geschicklichkeit des Rechnens und Schiebens und Durcheinandermischens, wodurch die Weltlosigkeit des Judentums gegründet wird“, heißt es in Band 95. Ebendort steht zum zur Zerstörung führenden „Bodenlosen“ (das „dem nur Seienden Verfallene und dem Seyn Entfremdete“): Vielleicht siege in diesem Kampf „die größere Bodenlosigkeit, die an nichts gebunden, alles sich dienstbar macht (das Judentum)“. Schließlich in Band 96 zum damals gegenwärtigen „planetarischen Krieg“: „Das Weltjudentum, aufgestachelt durch die aus Deutschland hinausgelassenen Emigranten, ist überall unfassbar und braucht sich bei aller Machtentfaltung nirgends an kriegerischen Handlungen zu beteiligen, wogegen uns nur bleibt, das beste Blut der Besten des eigenen Volkes zu opfern.“

Dass Heidegger privat gelegentlich antisemitische Stereotypen reproduzierte, ist ebenso bekannt, wie dass er das nationalsozialistische Rassedenken scharf kritisierte (was er auch in den „Schwarzen Heften“ macht). Bringen die nun bekannten Zitate eine „neue Dimension“, zeigen sie einen „in die Philosophie transformierten Antisemitismus“, wie Trawny behauptet? Oder hat der Grazer Philosoph Peter Strasser recht? Er prophezeite kürzlich in der „Presse“ (noch in Unkenntnis der zwei Bände), die „Schwarzen Hefte“ würden „weder an der Größe noch an der Erbärmlichkeit“ dieses Philosophen etwas ändern.

„Hatte mir anderes erwartet“

Heidegger-Experte Matthias Flatscher von der Uni Wien pflichtet Strasser mit gewissen Einschränkungen bei. „Zunächst dachte ich, dass die ,Schwarzen Hefte‘ stärker an den zeithistorischen Kontext rückgebunden sind und politische Umstände ausgiebig kommentieren. Sie knüpfen aber viel stärker an schon publizierte seinsgeschichtliche Abhandlungen an.“ Es seien keine Denktagebücher im engen Sinn, sondern eine eigene Textsorte, in denen auch über Begriffe wie „Nationalsozialismus“, „Volk“, „Rasse“ (pseudo-)philosophisch reflektiert werde.

„Dass Heidegger die seiner Auffassung zufolge seit der Neuzeit um sich greifende ,Bodenlosigkeit‘ und ,Weltlosigkeit‘ als Ausdruck für das Zeitalter permanenter Berechenbarkeit und Vernutzbarkeit alles Seienden nun dezidiert und platt mit dem ,Judentum‘ zusammenspannt, ist neu und schockierend“, sagt Flatscher. „Man muss aber auch sagen, dass die betreffenden hochproblematischen Stellen in den gut 1200 Seiten an den Fingern einer Hand abzuzählen sind. Das entschuldigt nichts, zeigt aber, dass die Überlegungen nicht primär um antisemitische Äußerungen kreisen. Und ein durchgängiges rassistisches Konzept des Judentums im faschistoiden-biologistischen Sinne bestätigt der Text nicht.“

Erschüttert ist Flatscher aber von der Formulierung, dass das „Weltjudentum“ „aufgestachelt wird durch die aus Deutschland hinausgelassenen Emigranten“: Die wenigen, denen die Flucht gelang, retteten nur ihr nacktes Leben, „das musste Heidegger wissen!“

Fazit: „Ich sehe weder Anlass für Verteidigung noch für pauschale Verdammung Heideggers. Man kann nun weiter nachdenken, was man heute aus seinen politischen Verstrickungen lernen kann. Bedenkenswert ist sicherlich auch, warum sich gerade jetzt eine breite Öffentlichkeit für Heidegger so interessiert, und was das über die Gegenwart aussagt.“

DIE „SCHWARZEN HEFTE“

Von 1931 bis in die 1970er-Jahre führte Heidegger Denktagebücher, deren Versuchscharakter er betonte: „Entscheidend“ daran sei nicht, „was vorgestellt wird“, „sondern wie gefragt wird und dass überhaupt nach dem Sein gefragt wird“. Der Verlag Klostermann hat im Februar den ersten und nun die nächsten zwei Bände veröffentlicht. Herausgeber ist Peter Trawny, Leiter des Martin-Heidegger-Instituts an der Universität Wuppertal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2014)

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