Umfragen zufolge wird die Regierungspartei die Wahlen gewinnen. Die Sozialdemokraten sind Premier Erdoğan allerdings dicht auf den Fersen.
Ankara/Wien. Umfragen zu den bevorstehenden Kommunalwahlen in der Türkei gibt es zuhauf – nur scheint das Ergebnis von den Auftraggebern der Umfrage abzuhängen. Auch wenn der regierenden AKP insgesamt ein (knapper) Sieg vorausgesagt wird, dürfte die sozialdemokratische CHP mit knapp 30 Prozent der Regierungspartei dicht auf den Fersen sein.
Die CHP – sie ist die größte Oppositionspartei – hat traditionell alle Mühe, die verschiedenen Flügel innerhalb der Partei zusammenzuhalten. Da ist zum einen die alte kemalistische Elite, die sich die säkularistischen Prinzipien des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk auf die Fahnen geheftet hat, und zum anderen der liberale, minderheitenfreundliche Flügel, den der aktuelle Parteichef Kemal Kiliçdaroğlu vertritt. Kiliçdaroğlu entstammt der religiösen Minderheit der Aleviten. Daraus macht er keinen Hehl, daher wäre sein Aufstieg innerhalb der von Nationalismus geprägten Partei bis vor einigen Jahren undenkbar gewesen.
Kampf um Istanbul
Während der Gezi-Park-Proteste vergangenen Sommer hat die CHP einen enormen Aufwind erhalten, das hat die Partei nicht zuletzt Mustafa Sarigül zu verdanken. Der Bezirksbürgermeister des Istanbuler Stadtteils Şişli tritt für die CHP als Oberbürgermeister an. Damit ist er – inoffiziell – der direkte Herausforderer Erdoğans, gemäß dem Sprichwort: „Wer Istanbul regiert, regiert die Türkei.“ Der umstrittene und charismatische Sarigül scheut nicht davor zurück, auch in konservativen Kreisen zu wildern.
Beobachtern zufolge konnten die Sozialdemokraten die für sie günstigen Voraussetzungen rund um die Gezi-Proteste allerdings nicht ganz ausschöpfen. Die CHP – aber auch andere Oppositionsparteien – führen das darauf zurück, dass die großen, regierungsnahen Medien der Opposition wenig bis kaum Aufmerksamkeit schenken.
Vom aktuellen Korruptionsskandal rund um die AKP wird wohl auch die rechtsextreme MHP – die drittstärkste Kraft im Land – profitieren; enttäuschte Wähler vom rechten AKP-Flügel könnten Parteichef Devlet Bahçeli unterstützen. Ob er künftig mit der AKP zusammenarbeiten wird – sollte die Regierungspartei massiv verlieren –, hängt sehr von Erdoğan ab. Der Ministerpräsident hat während seiner Amtszeit größtenteils einen moderaten Kurs bemüht. Im Vergleich zu den Sozialdemokraten gilt die MHP zwar intern als geschlossen, vielen Mitgliedern der Regierungspartei ist sie aber zu extrem.
Bei den letzten Parlamentswahlen haben lediglich diese drei Parteien – AKP, CHP und MHP – die Zehn-Prozent-Sperrklausel geschafft und sind ins Parlament eingezogen. (duö)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2014)