Mein Dienstag

Tatsächlich … vergessen

Jim Carrey und Kate Winslet in Regisseur Michel Gondrys „Vergiss mein nicht!“.
Jim Carrey und Kate Winslet in Regisseur Michel Gondrys „Vergiss mein nicht!“.Constantinfilm
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Wir Menschen sind eine rätselhafte Spezies. Wozu wir imstande sind, ist einfach unglaublich.

Es gibt da diese Szene in dem Film „Vergiss mein nicht!“ aus dem Jahr 2004. Joel (Jim Carrey) trifft in einer Buchhandlung auf seine Exfreundin Clementine (Kate Winslet). Er grüßt sie und will mit ihr reden. Sie aber ignoriert ihn. Verhält sich so, als würde sie ihn nicht kennen. Flirtet sogar vor seinen Augen mit einem anderen Mann.

Joel ist fassungslos. Während er das Ende der Beziehung nie überwunden hat und seither wie ein Schlafwandler durchs Leben stolpert, könnte es Clementine nicht besser gehen. Sie hat ihn und ihre gemeinsame Zeit einfach vergessen. Die Kränkung ist ihm ins Gesicht geschrieben. Er verfällt wie eine Lehmhütte in einem Sturm. Wie ein Hochhaus, das kontrolliert gesprengt wird.

Wer den Film gesehen hat, weiß: Clementine hat sich einem medizinischen Verfahren unterzogen, um Joel aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Für sie ist er ein fremder Mann. Der Zuschauer weiß das. Joel nicht. Was für eine Konstellation – sie beinhaltet alle Zutaten einer schmerzhaften Trennung: eine Person, die in ihrem neuen Leben angekommen ist; eine Person, die in der Vergangenheit weilt; und die Welt drumherum, die alles weiß und die Geschehnisse aus sicherer Entfernung beobachtet, um sich je nach Laune zu amüsieren, den Kopf zu schütteln oder sich mit den Protagonisten zu identifizieren.

Wer nicht nur den Film gesehen hat, sondern auch ohne Fallnetz lebt und stets „all in“ geht, weiß auch: Das Verfahren, dem sich Clementine unterzieht, ist nur ein filmisches Stilmittel zur Überzeichnung eines realen Phänomens: Ein Mensch kann einen anderen Menschen auch ohne Gehirnwäsche vergessen. So, als hätte es diese Verbindung – auch wenn sie noch so innig war – nie gegeben. Als hätten die Gespräche, Blicke, Umarmungen und die vielen kleinen großen Gesten nie eine Bedeutung gehabt.

Ich selbst weiß nicht, wie das geht. Aber ich weiß, dass es möglich ist. Welch außergewöhnliche, beneidenswerte und für manche von uns für immer unerreichbare Fähigkeit.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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