Gastkommentar

Öffentliches Interesse zählt auch am Strompreismarkt

Peter Kufner
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Dürfen Energieversorger dem Wunsch nach niedrigeren Endkundenpreisen nachgeben? Das Aktiengesetz verbietet es nicht.

Energieversorger dürfen dem politischen Wunsch nach niedrigeren Endkundenpreise nicht nachgeben, weil ein solches Vorgehen auf Kosten des wirtschaftlichen Erfolgs gehe – und deshalb sogar rechtswidrig sei: Diese Auffassung scheint sich in Österreich etabliert zu haben. Aber: Aus dem Aktiengesetz, auf das in diesem Zusammenhang regelmäßig verwiesen wird, lässt sich das nicht ableiten. Vielmehr ist der Vorstand jeder Aktiengesellschaft verpflichtet, auch das öffentliche Interesse zu berücksichtigen.

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Die massiv steigenden Energiepreise des Vorjahres waren ein wesentlicher Treiber der einsetzenden Inflationsdynamik. Seitdem sind die nach wie vor hohen Preise und ihr Einfluss auf die Inflation regelmäßig Gegenstand von Diskussionen. Inzwischen gibt es zwar staatliche Maßnahmen wie die Strompreisbremse und Energiekostenzuschüsse für Konsumenten. Dazu kam eine Übergewinnbesteuerung der Energieversorger, um diese Maßnahmen (teil-)finanzieren zu können. Doch zusätzlich richtet die Politik regelmäßig Appelle an die Energieversorger. Die Endkundenpreise seien im Vorjahr mit dem Marktpreis zwar rasch angestiegen, die Marktpreissenkungen dieses Jahres würden aber nur zögerlich weitergegeben. Zudem fehle es an Wettbewerb und Preistransparenz. Kurzum: Die Energiepreise seien zu hoch. Das ist insofern bemerkenswert, als die heimische Energieversorgungslandschaft von (teil-)staatlichen Unternehmen geprägt ist. Mit anderen Worten: Die öffentliche Hand kann oder will sich gegenüber ihren eigenen Unternehmen nicht durchsetzen.

Der Staat profitiert

Mit Blick auf den größten heimischen Energieversorger wird das Problem deutlich. Die Republik Österreich ist mit 51 Prozent verfassungsrechtlich abgesicherte Mehrheitseigentümerin am börsennotierten Verbund. Knapp 30 Prozent werden von drei Landesenergieversorgern (Wiener Stadtwerke, EVN und TIWAG) und weniger als 20 Prozent von privaten Aktionären gehalten. Im vergangenen Frühjahr stiegen die Marktpreise für Strom infolge der explodierenden Gaspreise stark an, und die Politik suchte nach Möglichkeiten, die Auswirkungen auf Endkundenpreise zu dämpfen. Damals verkaufte der Verbund heimischen Ökostrom an Endkunden zu den höheren Marktpreisen, obwohl die Herstellungskosten des mit Wasserkraft produzierten Stroms praktisch nicht gestiegen waren. Seither muss sich der Verbund immer wieder gegen den Vorwurf verteidigen, der Abwärtstrend bei den Marktpreisen würde sich in den Endkundenpreisen nicht ausreichend widerspiegeln.

Die Logik dahinter scheint klar: Der Verbund sieht sich dem wirtschaftlichen Erfolg verpflichtet. Und tatsächlich profitiert ja auch der Staat als Großaktionär von üppigen Dividenden. Andererseits hätten niedrigere Energiepreise vermutlich positive soziale Auswirkungen und über die Marktmechanismen wohl auch Einfluss auf das allgemeine Preisniveau gehabt. Moderatere Preise hätten dem Fiskus zudem Energiekostenzuschüsse erspart und dazu beitragen können, die anfangs nur durch die Energiepreise angetriebene Inflationsentwicklung abzumildern. Insgesamt wäre ein geringerer Anstieg der Energiepreise also im wohlverstandenen öffentlichen Interesse gelegen.

Egal, ob öffentliche...

Warum aber haben sich niedrigere Endkundenpreise (oder auch eine freiwillige Strompreisbremse) nicht durchsetzen lassen, obwohl sie doch im öffentlichen Interesse und damit im Interesse der Mehrheitseigentümerin, der öffentlichen Hand, gewesen wären? Dazu hörte man aufseiten der Energieversorger regelmäßig die allgemein gehaltene Rechtfertigung, man dürfe dem Wunsch gar nicht nachgeben, weil es rechtswidrig – konkret: gegen das Aktiengesetz – wäre. Damit ist wohl gemeint, dass ein solches Vorgehen den Gewinn schmälern und die Interessen der privaten Aktionäre schädigen würde, diese aber ein Recht auf bestmöglichen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens hätten. Allein: Aus der Rechtslage lässt sich das nicht ableiten.

Nach dem Aktiengesetz hat der Vorstand die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Unternehmens unter Berücksichtigung der Interessen der Aktionäre und der Arbeitnehmer sowie des öffentlichen Interesses es erfordert. Das Unternehmenswohl ist demnach das oberste Ziel, aber die Interessen der Eigentümer und der Belegschaft sowie das öffentliche Interesse müssen mitberücksichtigt werden.

Ein Vorrang der Aktionäre gegenüber dem öffentlichen Interesse steht nicht im Gesetz. Vielmehr hat der Vorstand eine Interessenabwägung vorzunehmen. Er wird durch die Bestimmung grundsätzlich vor einem möglichen Untreuevorwurf oder Schadenersatzforderungen geschützt, wenn er zum Beispiel in Umweltschutzmaßnahmen investiert, obwohl es gesetzlich (noch) nicht geboten ist. Hier muss der Vorstand keinen wirtschaftlichen Vorteil nachweisen.

Ein Recht auf Gewinnmaximierung haben die privaten Aktionäre des Verbunds also keineswegs. Vielmehr muss ihnen klar sein, dass das öffentliche Interesse mitberücksichtigt werden muss, in einer Extremsituation wie der Energiepreiskrise umso mehr. Das kann auch zu einer Gewinnschmälerung führen.

... Hand oder nicht

Vielleicht überraschend gilt das unabhängig davon, ob die öffentliche Hand beteiligt ist oder nicht. Auch der Vorstand einer Aktiengesellschaft in vollständig privater Hand darf – und muss sogar – das öffentliche Interesse berücksichtigen. Dabei steht ihm ein weiter, gesetzlich nur ungenau definierter Ermessensspielraum zur Verfügung. Vor allem darf die Berücksichtigung der vom Gesetz genannten Interessen das Wohl des Unternehmens, also seinen Bestand und seine dauerhafte Rentabilität, nicht gefährden. Die vielfach geäußerte Forderung nach einem Vorrang der Gewinnmaximierung („Shareholder Value“) ist jedoch mit österreichischem Aktienrecht unvereinbar – und zwar, wie erwähnt, unabhängig von der Eigentümerstruktur.

Wenn aber die Berücksichtigung des öffentlichen Interesses auch für privatwirtschaftliche Unternehmen gilt, warum sollte die öffentliche Hand überhaupt noch Beteiligungen an Verbund, OMV oder Telekom halten? Die Antwort ist einfach: Durch eine Beteiligung ist sie besser in der Lage, darauf zu pochen, dass das öffentliche Interesse überhaupt berücksichtigt und dass der Ermessensspielraum für die Berücksichtigung auch angemessen ausgenützt wird. Wie zulässige Einflussnahme organisiert werden kann, ist (aus gutem Grund) umstritten. Aber: Die Behauptung, das Aktiengesetz würde Energieversorgern verbieten, auf höhere Preise zu verzichten, ist schlichtweg falsch. Die Mitberücksichtigung des öffentlichen Interesses ist sogar geboten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Wu Wien

Die Autoren:

Priv.-Doz. Dr. Stephan Leixnering ist stellvertretender Leiter des Forschungsinstituts für Urban Management und Governance der WU Wien.

Em. o. Univ.-Prof. Dr. Peter Doralt, LL.M. (Harvard) war bis zu seiner Emeritierung Vorstand des Instituts für Unternehmensrecht der WU Wien.

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