Eskalation

Britischer Historiker Ferguson warnt vor Drittem Weltkrieg

Über Rafah im südlichen Gazastreifen steigt ein Feuerball auf. Israel startete einen vernichtenden Luftangriff gegen Hamas-Kämpfer in Gaza, nachdem diese einen brutalen Angriff auf Israel verübt hatten.
Über Rafah im südlichen Gazastreifen steigt ein Feuerball auf. Israel startete einen vernichtenden Luftangriff gegen Hamas-Kämpfer in Gaza, nachdem diese einen brutalen Angriff auf Israel verübt hatten.APA / AFP / Said Khatib
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Ein Krieg nach dem anderen wird entfacht. Das ist kein Zufall, sagt der britisch-US-amerikanische Historiker Niall Ferguson. Er sieht die USA Bedrohungen an mehreren Fronten ausgesetzt - und den Weltfrieden so weit entfernt wie nie.

Stehen wir vor einem Dritten Weltkrieg? Der neue Krieg zwischen Israel und der Hamas droht sich auszuweiten. Wovor sich viele fürchten und Experten warnen, skizziert auch der britisch-US-amerikanische Historiker Niall Ferguson in einer Analyse in der „Sunday Times“. Der barbarische Überfall der Hamas auf Israel und die begonnenen Vergeltungs-Aktionen Israels sind die jüngste Eskalation in einer Reihe an Konflikten und Kriegen, die auf der Welt derzeit toben oder neu aufflammen.

Seit fünf Jahren argumentiere er, dass sich die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten bereits in einem neuen Kalten Krieg befinden, schreibt Ferguson. Dieses Mal mit der Volksrepublik China. Seit eineinhalb Jahren argumentiere er, dass der Krieg in der Ukraine in etwa dem Koreakrieg während des ersten Kalten Krieges entspräche. „Und seit Jänner warne ich davor, dass ein Krieg im Nahen Osten die nächste Eskalationsstufe in einer Konfliktkaskade sein könnte, die das Potenzial hat, zu einem Dritten Weltkrieg zu eskalieren“, so der Historiker. „Insbesondere dann, wenn China die Gelegenheit nutze, eine Blockade gegen Taiwan zu verhängen.“

Welche Auswirkungen hat nun also der neu entfachte Krieg im Nahen Osten? Zunächst will Ferguson die Zweifel an der iranischen Mitschuld ausräumen: „Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad werden von Teheran finanziert, ebenso wie die Hisbollah.“ Außerdem hätten nicht nur die Geheimdienste Israels versagt: Ägypten soll den israelischen Ministerpräsidenten zehn Tage vor dem Angriff davor gewarnt haben, „er solle sich auf etwas Ungewöhnliches, eine schreckliche Operation“ vorbereiten. „Man kann darüber spekulieren, warum Netanjahu diese Warnungen ignorierte“, so Ferguson. „Aber es war die Biden-Regierung, die überrumpelt wurde.“ So habe Sicherheitsberater Sullivan eine Woche vor den Angriffen aus Gaza noch gemeint, dass es in der Region des Nahen Ostens ruhiger als in den letzten zwei Jahrzehnten sei.

Der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert Gates wiederum beschrieb noch vor dem 7. Oktober den globalen Kontext in einem Artikel der „Foreign Affairs“ so: „Die Sicherheit der Vereinigten Staaten ist so bedroht wie seit Jahrzehnten nicht, vielleicht sogar wie noch nie. Nie zuvor standen sie vier alliierten Gegnern gleichzeitig gegenüber - Russland, China, Nordkorea und dem Iran. Deren kollektives Atomwaffenarsenal könnte innerhalb weniger Jahre fast doppelt so groß sein wie ihr eigenes.“

... und nun?

Die USA erhöhen ihre Militärpräsenz und wollen damit die Hisbollah – „mit anderen Worten den Iran“ – davon abhalten, vom Libanon eine zweite Front zu eröffnen. Ferguson zweifelt jedoch, ob die amerikanische Abschreckung erfolgreich sein werde – „ebenso wenig wie sie im Februar 2022 gegen Russland erfolgreich war“. Die europäischen Verbündeten der USA seien unterdessen „viel weniger einig als in der Ukraine“, analysiert der Historiker weiter. Die EU sei einer der größten Unterstützer der Palästinenser. Die Ankündigung, die finanzielle Hilfe abzudrehen, sei umgehend wieder zurückgenommen worden. Ohnehin habe man „mit dem Krieg in der Ukraine alle Hände voll zu tun“. Doch es werde schwierig sein, die beiden Kriege auseinander zu halten, so Ferguson. Das zeige sich in Russlands Präsenz in Syrien, durch das es bereits indirekt in die Krise im Nahen Osten verwickelt sei. Außerdem versuche die russische Propaganda bereits, Unstimmigkeiten zwischen Kiew und Jerusalem zu säen. Es werde einen regelrechten Wettbewerb zwischen Ukraine und Israel um die Lieferung von Munition geben.

Wie es weitergehe, hänge vom Ausmaß der Absprachen zwischen „der Achse des bösen Willens“ ab; und der Entschlossenheit der USA. An dieser Stelle erinnert der Historiker an eine weitere Gefahr: „Populistische Scharlatane ganz rechts sowie die stalinistische Linke, die Putins Kriegsverbrechen herunterspielen; islamistische Sympathisanten, die die Terroristen der Hamas und des Islamischen Dschihad als Freiheitskämpfer gegen die israelische Kolonisierung preisen.“

Seit Joe Bidens Wahl hat Ferguson davor gewarnt, „dass wir das Risiko eingegangen sind, die 1970er Jahre noch einmal wiederholen.“ Heute befürchtet er, „dass wir die 1930er Jahre wiederholen könnten.“ Wenn Israel mit einem Dreifrontenkrieg in Gaza, dem Westjordanland und dem Libanon nicht zurechtkomme und die USA um militärische Hilfe gegen den Iran bitte, stehen wir an einem Wendepunkt der Geschichte. „Die Zukunft der Welt wird davon abhängen.“ (bsch)

>>> Zur Analyse von Niall Ferguson

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