Wien

„Es reicht, Herr Stadtrat“: Ärzte gehen auf die Straße

Ärztekammer-Vizepräsident und Obmann der Kurie der angestellten Ärzte, Stefan Ferenci.
Ärztekammer-Vizepräsident und Obmann der Kurie der angestellten Ärzte, Stefan Ferenci.APA/Eva Manhart
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Am 4. Dezember sind alle angestellten Ärzte Wiens dazu aufgerufen, an einem Protestmarsch durch die Innenstadt teilzunehmen. Die Notversorgung soll aufrechterhalten werden.

„Ohne uns stirbt Wien“. Unter diesem Motto werden Wiens Spitalsärzte am 4. Dezember 2023 einen Protestmarsch durch die Innenstadt abhalten, um auf die Arbeitsbedingungen der angestellten Mediziner und des medizinischen Personals hinzuweisen. „So kann es nicht weitergehen“, sagte Ärztekammer-Vizepräsident und Obmann der Kurie der angestellten Ärzte, Stefan Ferenci, am Dienstagvormittag bei einer Pressekonferenz.

„Die Stadtpolitik tut nichts – weder mit unserer Beteiligung noch ohne. Unsere Forderungen sind nicht absurd oder weltfremd.“ Diese umfassen neben einer Erhöhung der Gehälter um 30 Prozent bei gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitszeit auf 32 Wochenstunden, einer Rückkehr- und Bleibeprämie von 24.000 Euro für alle Angehören der Gesundheitsberufe, flexibleren Arbeitszeitmodellen, weniger Bürokratie, einer transparenten Bestandsaufnahme mit Auflistung aller offenen und besetzten Stellen sowie mehr Zeit für Fachärzte, um Turnus- und Assistenzärzte auszubilden, auch eine grundlegende Strukturänderung. Nämlich die vollständige Ausgliederung des Wiener Gesundheitsverbunds von der Stadt Wien – inklusive Finanz- und Personalhoheit für die Ärztlichen Direktoren der Kliniken. Und zwar unabhängig von den Magistratsabteilungen MA 1 (Digitales) und MA 2 (Personalservice).

Auch das AKH soll in ein eigenständiges Bundesspital überführt werden. Bekanntlich ist zwar das ärztliche Personal des AKH bei der Med-Uni angestellt, das restliche medizinische Personal wie etwa Pflege bei der Stadt. Allesamt Forderungen, die in einem „Zehn-Punkte-Plan“ zusammengefasst wurden und für die Kammer zwingend erfüllt werden müssten, um den Zusammenbruch der Spitäler zu verhindern.

Auch Patienten sollen mitmachen

Zum Protestmarsch inklusive Abschlusskundgebung sind alle angestellten Ärzte Wiens eingeladen – und zwar nach Ende der Kernarbeitszeit, also im Laufe des frühen Nachmittags (zumeist 14 Uhr), wenn in der Regel auch die Fachambulanzen schließen. Die Notversorgung soll aber in jedem Fall aufrechterhalten werden. Zur Teilnahme aufgerufen sind auch Patienten und andere Gesundheitsberufe wie etwa Pflegekräfte. Ferenci rechnet mit mehr Teilnehmern als beim letzten wienweiten Streik der Spitalsärzte 2016, damals protestierten rund 2000 angestellte Mediziner gegen befürchtete Einkommenseinbußen aufgrund des neuen Ärztearbeitszeitgesetzes.

Sollte dieser „Weckruf“ bei Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) zu keinem Umdenken führen, ist für das Frühjahr 2024 ein „echter“ Streik geplant, der während der Kernarbeitszeit in den Spitälern stattfinden soll, sagt Ferenci. Zudem seien weitere „Kampagnenwellen“ geplant – im Zuge eines „langsamen Eskalationsszenarios“. Am Geld wird es jedenfalls nicht liegen. Von den 1,5 Millionen Euro, die bereits im Frühjahr für Kampfmaßnahmen beschlossen wurden, ist noch rund eine Million übrig. Weitere zwei Millionen stehen auf Abruf bereit.

„Ohne uns stirbt Wien“

„Ohne uns stirbt Wien. Diese Aussage ist weder plakativ noch brachial, sondern entspricht letztlich der Wahrheit. Denn ohne medizinisches Personal kommen nun einmal Menschen zu Schaden“, so Ferenci. „Ich fordere Hacker dazu auf, seine Arbeit zu machen. Wir machen am 4. Dezember Druck für uns alle. Für Ärzte und Patienten, in und um Wien. Solang wir keinen besseren Plan von der Stadt Wien hören, wollen wir, dass unser Zehn-Punkte-Plan umgesetzt wird. Darum schalten wir einen Gang höher. Das sind wir Wiens Bevölkerung schuldig.“

„Allerletzte Gelegenheit“

„In Kenntnis der angespannten Situation des öffentlichen Gesundheitswesens in Wien kann man im Winter wieder mit Engpässen bei der Patientenversorgung rechnen. Der Stadt sind die Spitäler offensichtlich egal, uns aber nicht“, sagt Anna Kreil, stellvertretende Obfrau der Kurie der angestellten Ärzte. „Umso wichtiger ist es, die Notversorgung zu gewährleisten. Wir wollen aber auch möglichst vielen die Chance geben, ihrem berechtigten Ärger Luft zu machen, ohne befürchten zu müssen, für das Versagen der Politik verantwortlich gemacht zu werden. Der Protestmarsch am Nachmittag des 4. Dezember ist eine hervorragende Gelegenheit. Für die Stadtregierung ist es die allerletzte.“

Frustlevel sehr hoch

Erst vor zwei Wochen wurde eine Befragung präsentiert, aus der hervorging, dass das Frustlevel unter den Ärzten auf dem vorläufigen Höhepunkt angelangt ist.

Die Qualität der Versorgung der Bevölkerung hat sich ihrer Meinung nach ebenso verringert wie die ihrer Ausbildung. Zudem fühlen sie sich von Stadtrat Peter Hacker im Stich gelassen. Gefährdungsanzeigen würden nicht ernst genommen, obwohl sich ihre Zahl deutlich erhöht habe. Das sind die Ergebnisse einer Online-Befragung von 1900 Wiener Spitals­ärzten von Ende August bis Mitte September. Von den angeschriebenen Ärzten haben sich rund 21 Prozent an der von der Wiener Ärztekammer in Auftrag gegebenen und bezahlten Umfrage von Meinungsforscher Peter Hajek beteiligt. Dabei handelt es sich um eine Befragung, die mit denselben Fragen schon vor einem Jahr stattfand – mit dem Ziel, herauszufinden, wie sich die Stimmung unter Ärzten entwickelt hat.

Zu den konkreten Zahlen: 87 Prozent der Befragten bewerten den Qualitätsverlust in der medizinischen Versorgung als dramatisch (Vorjahr: 84 Prozent). Befragt wurde im Übrigen nach Schulnotensystem: 1 steht für „stimme sehr zu“, 5 für „stimme gar nicht zu“. Die angegebenen Zahlen ergeben sich aus den ersten beiden Schulnoten, also „stimme sehr zu“ oder „stimme eher zu“. Die Engpässe bei der Versorgung der Patienten verstärken sich für 84 Prozent (Vorjahr: 78 Prozent), die Ausbildung wird ebenfalls für 84 Prozent schlechter (Vorjahr: 82 Prozent). Katastrophal fällt das Zeugnis für die Politik aus: 77 Prozent fühlen sich von der Stadtpolitik im Stich gelassen (Vorjahr: 72 Prozent). 80 Prozent sagen, Stadtrat Hacker nehme Gefährdungsanzeigen nicht ernst (Vorjahr: 68 Prozent).

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