Gastkommentar

Ungeschützter Korruptionsverkehr?

Peter Kufner
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Substanziell ist an der Sache um Sebastian Kurz weniger dran, als der Hype nahelegt. Schräge Sicht auf einen schrägen Hype.

Worum es geht? Konkret geht es aktuell um den Vorwurf, in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt zu haben. Dort stehen Zeugen unter Wahrheitspflicht. Was Ex-Kanzler Sebastian Kurz angekreidet wird, kann man allerdings kaum unter die Rubrik eines gröberen Vergehens einordnen. Substanziell ist an der Sache weniger dran, als der Hype nahelegt. Die immer wieder vorgelegten und vorgelesenen Chats zeigen, wie führende Kreise der türkisen ÖVP ticken. Doch das hätte man ohnedies wissen können. Das Sittenbild mag verheerend sein, aber interessiert das, abseits des Getöses, wirklich?

Inhaltlich geht es um unterdrückte Steuerprüfungen, freihändige Steuernachlässe, Postenbesetzungen und Auftragsvergaben nach Wunsch, Scheinrechnungen, öffentliche Inserate als Belohnung, Luxusautos und Maßanzüge. Die obligate Palette. Da fehlte nur noch ein Selbstmord eines hohen Justizbeamten, der ebenfalls in die Sache involviert gewesen war. Die Besetzung diverser Szenen der Reality-Soap kann sich jedenfalls sehen lassen. Ein Land badet im Kotmeer der Affären. Solch verschworene Praxis stellt zweifellos jede Verschwörungstheorie in den Schatten. Als Drehbuch wäre das glatt durchgefallen, weil zu durchgeknallt.

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Als Drehbuch durchgefallen

Viele meinen, dass Sebastian Kurz nach diesem Verfahren wohl endgültig erledigt sein könnte. Indes, eine Verurteilung ist alles andere als sicher. Dieser Schuss kann auch kräftig nach hinten losgehen. Die letzten großen Fälle der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen den ehemaligen Grün-Mandatar Christoph Chorherr und die niederösterreichische Ex-Landesrätin Petra ­Bohuslav (ÖVP) endeten mit peinlichen Niederlagen. Alle Angeklagten mussten freigesprochen werden. Die WKStA macht mehr Schlagzeilen, als sie Erfolge verbucht. Selbstverständlich ist sie Teil dieses Spiels, nicht bloß biedere Behörde.

Auch der Fall Kurz ist eine Kriminalkomödie, die nun schon länger läuft und auch die nächsten Jahre laufen wird. Geschürt durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wird jene in Politik und Medien, aber auch an diversen Gerichten unzählige Aufführungen erleben. Stoff für einen Endlosstreifen gibt es genug. Filme, Bücher und Leitartikel komplettieren das Szenario. Wieder einmal geht ein Skandal in Serie. Da Kurz noch jung ist, wird er zweifelsohne das Ende der Verfahren noch erleben. Sein mentaler Vorfahre im Geiste, Karl-Heinz Grasser (der übrigens fast ÖVP-Obmann und vielleicht auch Kanzler geworden wäre), hat in puncto Verfahrensdauer übrigens ausgezeichnete Chancen auf einen Eintrag in die „Guiness World Records“.

Obwohl lautes Lachen angebracht wäre, scheint es allen vergangen zu sein. Zurzeit erfüllt der Prozess die Funktion, Kurz stetig Aufmerksamkeit zuzuführen, mehr als es jede Eigen-PR bewerkstelligen könnte. Die Popularität des Ex-Kanzlers wird am Köcheln ge­halten. Die sich im Gerichtssaal ­anbahnende Doppel-Conférence zwischen Sebastian Kurz und Thomas Schmid wird frappierend an zwei pubertierende Jungs erinnern, die, nachdem sie bei einer Gaunerei erwischt worden sind, schreien: „Er war’s!“, „Der da!“. Das sagen Basti und Tommy übereinstimmend gegeneinander aus, und möglicherweise haben sie sogar beide recht, addiert man ihre Aussagen. Freunde werden Kurz und sein ehemaliger Intimus nimmer. „Ich liebe meinen Kanzler“, das war gestern. „Kriegst eh alles, was du willst“ ebenso. Viele, die dem jüngsten Altkanzler ihren Aufstieg zu verdanken haben, distanzieren sich mittlerweile von den Praktiken des Systems Kurz. „Wir waren nicht dabei!“, heißt es nun, oder: „Wir haben nichts mitbekommen!“ Karl Nehammer ist bloß das prominenteste Beispiel.

Nicht politisch demontiert

Vergessen wir trotzdem nicht: Sebastian Kurz wurde nicht politisch demontiert, sondern er wurde juristisch so lang sekkiert, bis er im Oktober 2021 sichtlich entnervt als Kanzler das Handtuch geworfen hat und von allen Funktionen zurückgetreten ist. Schadenfreude sollte sich in Grenzen halten, auch wenn es den „Richtigen“ getroffen haben mag. Primär war es einer dieser digitalen Unfälle, die sich in letzter Zeit häufen. Die türkise ÖVP betrieb ungeschützten Korruptionsverkehr. Ganz mit ohne. Die smarten Knaben (hauptsächlich Männer und sehr jung) hatten unterschätzt, dass sie da, einmal offengelegt, in der Folge auch offen gelegt werden können. Ohne die geleakten Chats und abgenommenen Handys würde Sebastian Kurz heute noch im Kanzleramt sitzen und die Volkspartei ihrem Wunderwuzzi zu Füßen liegen. Dies mag man bedauern, aber man sollte es nicht bestreiten.

Die böse Wahrheit ist, dass Kurz an Akzeptanz verloren hat, nicht weil er dieses oder jenes angestellt haben soll, sondern weil er damals vor einer Kampagne in die Knie gegangen ist. Die Methode ignorieren, attackieren, prolongieren hat er gar nicht erst ausprobiert. Das war von seiner Seite aus betrachtet vielleicht ein Fehler, sieht man sich etwa an, wie das Phänomen Donald Trump nach wie vor reüssiert. Man darf gespannt sein, welche Taktik Kurz im aktuellen Verfahren einschlagen wird. Wenn er etwas zugibt, also nachgibt, dann werden sich seine Perspektiven dezidiert nicht verbessern. Schwäche wird nicht goutiert. Kurz selbst scheint zu schwanken, ob er sich eine Offensive zutrauen soll oder nicht. Vor allem auch: Wer trägt sie aktiv mit? Gleich zu Prozessauftakt bemühte er sich jedenfalls, die Gerichtsbühne in eine Politbühne umzubauen und seine Opferrolle zu unterstreichen.

Eine Schauergeschichte

Das Narrativ der Kurz-Company lautet ungefähr so: „Die Linken“ (für sie SPÖ, Grüne, Liberale) stecken mit Medien, Staatsanwaltschaft und Gerichten unter einer Decke und wollen den armen Basti fertigmachen. Das ist natürlich eine Schauergeschichte. Was aber stimmt, ist, dass viele seiner Gegner immer noch ganz auf ihn fixiert sind, sich wie ein negativer Fanklub gerieren: „Kurz muss weg!“, ist ihr bedeutendster Slogan, eine Parole, die ihrem Objekt an Dürftigkeit zweifellos nicht nachsteht. Es gibt jedenfalls keine Debatte über das System Kurz, was es gibt, ist die schräge mediale Inszenierung, in der Heldenverehrung und Heldensturz sich wechselseitig auf­schaukeln.

Die Frage, ob nicht durch die inflationäre Anrufung der Gerichte zu viel Justiz in die Politik gerutscht ist, ob das Verhältnis zwischen Exekutive, Legislative und Judikative nicht zusehends aus den Fugen gerät, die wird gar nicht erst gestellt. Warum über Wichtiges reden, wenn es so viel Nichtiges gibt? Viele politische Konflikte landen über kurz oder lang im juristischen Morast. Dort werden sie nicht gelöst, dort bleiben sie, unabhängig vom Urteil, nur stecken. Die gesellschaftlichen Konfrontationen werden sich weiter zuspitzen, die Kampagnen verschärfen. Akteure und Einflüsterer werden sich allesamt nicht mehr einbremsen, ja sie werden sich nicht einmal mehr einkriegen können! Objektiv agieren Politik, Medien und Justiz wie Agenturen zur Förderung der vielbeklagten Politikverdrossenheit.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Dr. Franz Schandl (*1960) studierte Geschichte und Politikwissen­schaften an der Uni Wien. Zahlreiche wissenschaftliche und journalistische Veröffentlichungen. Herausgeber der Zeitschrift „Streif­züge“: www.streifzuege.org.

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