Gastkommentar

Antisemitismus im islamischen Kontext

Peter Kufner
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Es reicht nicht, in einer Verteidigungshaltung zu verharren, die behauptet, der Islam sei frei von Rassismus und Antisemitismus.

Unter Muslimen und in der islamischen Theologie gibt es heute kaum ein heikleres und kontroverseres Thema als den Antisemitismus. Mit dem Erstarken islamistischer Bewegungen in der islamischen Welt und in Europa wird es für muslimische Islamwissenschaftlerinnen und Islamwissenschaftler immer schwieriger, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, ohne Gefahr zu laufen, als Feinde des Islam, Verräter oder gekaufte Marionetten des Westens (der Westen wird immer als Kollaborateur der Juden gesehen) verurteilt zu werden – ganz zu schweigen von der Gefahr für das eigene Leben.

Angesichts der aktuellen Ereignisse im Gaza-Konflikt, der nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel eskaliert ist, bedarf es einer intensiveren Auseinandersetzung mit den zunehmenden antisemitischen und antijüdischen Äußerungen und Handlungen, die auch in Österreich bei zahlreichen Demonstrationen sichtbar werden. Die Hintergründe sollten analysiert werden, um eine sachliche Auseinandersetzung damit zu ermöglichen und gegenseitige Polemik zu vermeiden.

Eine Untersuchung von Ruud Koopmans aus dem Jahr 2008, die in mehreren europäischen Ländern durchgeführt wurde (Stichprobe n = 9000), zeigte, dass in Österreich der höchste Anteil unter den untersuchten Ländern, nämlich 64,1 % der Befragten, die Ansicht vertrat, dass man Juden und Jüdinnen nicht trauen dürfe. Ähnliche Ergebnisse ergab eine Studie des Instituts für Islamisch-Theologische Studien an der Universität Wien im Jahr 2017 unter muslimischen Flüchtlingen in Graz.

Es reicht nicht aus, in einer apologetischen Haltung zu verharren, die behauptet, der Islam sei völlig frei von Rassismus und Antisemitismus und die Juden hätten unter den Muslimen immer Frieden und Schutz genossen, weil Araber selbst Semiten seien. Ebenso ist es nicht zielführend und falsch, den Islam als Religion anzugreifen oder Muslime aufgrund dieser Entwicklungen zu diffamieren.

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Die erste Frage, die sich bei dieser Haltung unter den Muslimen stellt, ist, ob die Hauptquellen des Islam die Judenfeindlichkeit und den Antisemitismus legitimieren. Ohne sich in die theologischen Debatten zu verwickeln, kann gesagt werden, dass die gegenwärtigen islamistischen Organisationen ausreichende Belege und Interpretationen aus den Hauptquellen ableiten können.

Die tatsächliche Praxis in der islamischen Geschichte, die selten von normativen Vorgaben des Islam geprägt war, variierte erheblich von Ort zu Ort im Umgang mit religiösen Minderheiten. In dieser Praxis, die im Kontext beurteilt werden sollte, bestand die Aufgabe der Dynastien darin, die Grenzen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen im Alltag sichtbar zu machen. In dieser Phase lag der besondere Fokus gar nicht auf den Juden.

Nach dem Ersten Weltkrieg verstärkte sich die Wahrnehmung der Juden in der islamischen Welt, insbesondere in Palästina, und diese Wahrnehmung verschärfte sich zwischen den Weltkriegen und mit dem Aufstieg des Zionismus. In der Literatur aus dieser Zeit beobachtet man auch den wachsenden Antisemitismus in der muslimischen Welt, der den traditionellen Antijudaismus überstieg.

Rolle der Muslimbruderschaft

Die Islamisierung des Antisemitismus geht auf die theologische und politische Arbeit der Muslimbruderschaft in der islamischen Welt zurück. Bereits in den 1940er-Jahren führte sie eine Propagandakampagne gegen Juden in islamischen Ländern, die sie als Vertreter des Weltzionismus darstellten. Dabei verbanden sie islamisch-theologische Grundlagen mit europäischen antisemitischen Stereotypen. Diese Entwicklung sollte später die gesamte arabisch-palästinensische Befreiungsbewegung einholen. Nach diesen Entwicklungen, welche die gesamte islamische Welt, ganz besonders aber arabisch-nationale Bewegungen erfasst hat, war es nicht mehr möglich, in der Diskussion zwischen Judentum, Zionismus und Israel zu differenzieren. Die Selbstbehauptung der zionistischen Bewegungen, das jüdische Volk zu vertreten und einen jüdischen Staat als nationale Heimat zu etablieren, stärkte die antijüdische, antisemitische Haltung der islamistischen Organisationen. Damit richtete sich arabischer Widerstand von 1920 bis 1939 wahllos gegen alle Juden unabhängig von ihrer zionistischen oder antizionistischen Haltung.

Verschwörerische Weltsicht

Die besondere Rolle der Muslimbruderschaft ist ein interessantes Forschungsthema für Wissenschaftler. Das Bild der Juden in dieser Ideologie ist äußerst negativ und von einer verschwörerischen Weltsicht geprägt, die von den „Protokollen der Weisen von Zion“ oder von Hitlers „Mein Kampf“ beeinflusst ist. Einige mögen zwar die Fälschung dieser „Protokolle“ ablehnen, betrachten aber dennoch den Inhalt als wahrhaftig.

Durch die Propaganda der palästinensisch-arabischen Organisation und die Konflikte in Israel war es nicht mehr möglich, die Theologisierung des Kampfes gegen Israel differenziert zu betrachten. Es folgten zahlreiche religiöse Stellungnahmen, weitere Publikationen, die die Juden als Feinde Gottes darstellten und unter anderem die theologische Grundlage für die spätere Entstehung von Hamas bildeten, die sich als Teil der Muslimbruderschaft versteht und eine Friedenslösung in Palästina ablehnt. Eine Teilung Palästinas ist nach dieser Ideologie nichts anderes als eine Teilung des Islam als Religion.

In dieser Ideologie, die in der ­islamischen Welt eine bereite Anerkennung gefunden hat, bedeutet die Anerkennung von Shoah nichts anderes als die Anerkennung Is­raels.

Jihad in Gaza

Nach dem blutigen Krieg in Gaza im Jahr 2014 erklärte die geistige Führung der Hamas, unter der Leitung von Yusuf al-Qaradawi, die besondere Rolle Gazas im Kampf gegen den Zionismus. Er rief alle Muslime zum Jihad in Gaza auf, nicht nur zur Befreiung Palästinas, sondern zur Schaffung eines Großsyriens, das auch Jordanien und den Libanon einschließt. In dieser Tradition lehnt die Vereinigung der islamischen Gelehrten mit Sitz in Doha jegliche Friedensabkommen mit Israel ab und verurteilt solche Bemühungen als Verrat am Islam und an den Muslimen.

Es gibt noch viel zu tun, um auf einen Frieden ohne gegenseitige Schuldzuweisungen und pau­schale Verurteilungen hinzuar­beiten. Apologetische Positionen, die andere Argumente von vornherein ausschließen und ihnen die Existenzberechtigung absprechen, müssen gründlich überdacht und diskutiert werden. Auf der anderen Seite ist es auch nicht zielführend, jede Kritik am israelischen Vorgehen zu verurteilen.

Dies erfordert die Grundhaltung, dass Konfliktlösung in einer feindlichen Atmosphäre nicht möglich ist. In diesem Zusammenhang sind Bildungseinrichtungen und muslimische Organisationen besonders gefordert, präventive Maßnahmen zu ergreifen, um die Ursachen von Konflikten zu klären und die Islamisierung von Gewalt und Terrorismus zu verhindern. Die Förderung des Friedens in der Gesellschaft ist eine gemeinsame Aufgabe, die uns alle angeht.

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Der Autor

Fabry

Ednan Aslan (*1959 in Bayburt, Türkei) ist Professor für Islamische Religionspädagogik am und stellvertretender Leiter des Instituts für Islamisch-Theologische Studien der Uni Wien. 

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