Nahost

Israels Geiseldeal mit der Hamas

Die Fotos der Geiseln sind in Israel omnipräsent, wie hier in Tel Aviv. Die Angehörigen halten die Erinnerung an sie am Leben.
Die Fotos der Geiseln sind in Israel omnipräsent, wie hier in Tel Aviv. Die Angehörigen halten die Erinnerung an sie am Leben.AP/Petros Giannakouris
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Die Freilassung von Geiseln aus dem Gazastreifen nahm nach wochenlangen Verhandlungen unter der Vermittlung Katars Konturen an. Premier Netanjahu kämpfte für seine Entscheidung im Kabinett.

Wien/Jerusalem. Die zweijährige Aviv, der vierjährige Ariel, die fünfjährige Amelie und die 78-jährige Tami Metzger könnten nach 45-tägigem Martyrium bald in Freiheit sein. Ihre Fotos und die von mehr als 100 anderen in den Gazastreifen verschleppten Geiseln waren anlässlich eines Empfangs ­David Roets, des neuen israelischen Botschafters in Österreich, im Presseklub Concordia am Dienstag in Wien an den Wänden affichiert.

Beinahe stündlich haben sich derweil die Chancen für eine Freilassung zumindest eines Teils der 236 Geiseln verbessert. Am Ende ging es um Details, und Premier Benjamin Netanjahu kämpfte in einer harten Debatte in der Regierung für die „schwierige, aber richtige Entscheidung“.

Für Jehudit Weiss (65) und Noa Marciano, die 19-jährige Soldatin, kommt die Rettung indes zu spät: Israelische Soldaten haben ihre Leichen vorige Woche auf dem Areal des al-Shifa-Spitals in Gaza-Stadt geborgen.

Netanjahus Schwenk

Aus den USA, aus Katar, von der Hamas und schließlich auch aus Israel mehrten sich die Signale der Hoffnung für einen Geiseldeal, der sich seit Tagen anbahnt. Unter dem offenkundig massiven Druck aus den USA schien nun Israels Regierung unter Netanjahu eingelenkt zu haben, die indessen auch eine Zerreißprobe für die rechts-religiöse Koalition des Premiers ist.

Lang hatte Netanjahu ein Abkommen für eine Freilassung abgelehnt: Erst die Rückkehr aller Geiseln nach Israel, danach eine mehrtägige Feuerpause: So lautete seine ultimative Position. Nun signalisierte er erstmals einen Schwenk. „Wir bewegen uns auf einen Deal zu“, ließ er wissen. „Ich hoffe, wir haben bald gute Nachrichten.“ Der Krieg sei erst zu Ende, wenn alle Ziele erreicht seien, bekräftigte er. Die Hamas müsse eliminiert sein, von ihr dürfe keine Gefahr mehr ausgehen, so die Vorgabe.

So stimmte Netanjahu die Nation auf die ersten Good News aus dem Gazastreifen ein, und es war klar, dass er sie persönlich verkünden wollte. Zuvor waren nur fünf Geiseln aus dem Gazastreifen freigekommen. Die Hamas ließ vier ältere Frauen frei, und der israelischen Armee gelang es, eine Soldatin aus der Gewalt der Terroristen zu befreien.

Für Dienstagabend hatte der Premier erst das Kriegskabinett einberufen, in dem nur er selbst, Verteidigungsminister Joav Gallant und Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz vertreten sind. Danach kamen das Sicherheitskabinett und schließlich die gesamte Regierung zusammen, wo sich freilich auch vehementer Widerstand gegen den Geiseldeal regte, den die CIA, der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad und die Hamas unter Vermittlung des Golf-Emirats seit Wochen in Doha ausgehandelt haben.

Die Grundzüge des Deals

Die Grundzüge standen seit Tagen fest, doch an den Details spießte es sich bis zuletzt. Im Schlüssel 1:3 sollen die Geiseln aus dem Gazastreifen freikommen: 50 Hamas-Gefangene – Frauen und Kinder und ausschließlich Israelis – gegen 150 palästinensische Frauen und Minderjährige aus israelischen Gefängnissen. Im Gespräch waren zwei Phasen: die Freilassung von 53 Geiseln in einer ersten Tranche bei einer viertägigen Feuerpause und von weiteren 20 Geiseln in einer zweiten bei einer weiteren zweitägigen Waffenruhe. Insgesamt könnten 100 Geiseln aus dem Gazastreifen freikommen und 300 Palästinenser, frühestens indes am Donnerstag oder Freitag. Zudem soll das Rote Kreuz Zugang zu den Verschleppten im Gazastreifen bekommen. Dafür hatten auch die israelische Militärführung und die Geheimdienste grünes Licht gegeben.

Israel treibt die Befürchtung um, dass sich die Hamas-Kämpfer während der Feuerpause neu formieren beziehungsweise neue Verstecke aufsuchen könnten. Drohnen sollen daher die Hamas-Aktivitäten überwachen, die israelischen Truppen bleiben währenddessen im Gazastreifen. Zudem hat Israel eingewilligt, bis zu 300 Lkw mit Lebensmittel, Medikamenten und Treibstoff in den Gazastreifen durchzuwinken. Israel hatte zuletzt die Bodenoffensive auf den Süden des Gazastreifens ausgeweitet und Ziele unter anderem in Khan Yunis ins Visier genommen.

Druck von innen und außen

International nahm der Druck auf Israel für eine Feuerpause mit jedem Tag des Kriegs zu. Und auch intern kam die Regierung Netanjahu immer stärker in Bedrängnis. Zehntausende demonstrierten am Wochenende für eine Freilassung der Geiseln. Die Parole „Bringt sie zurück!“ ist in Israel und in jüdischen Gemeinden weltweit zu einem Schrei der Entrüstung avanciert – auch beim Empfang des Botschafters David Roet in Wien.

In Israel haben Angehörige der Geiseln in einem Gespräch mit Netanjahu und seinem Kriegskabinett und in der Knesset Stimmung für Konzessionen für eine Freilassung gemacht. Die Bewegung drängte Netanjahus rechtsradikale Koalitionspartner überdies, die Forderung nach einer Einführung der Todesstrafe für Terroristen fallen zu lassen.

Die Ultrarechte in Israel machte kein Hehl aus ihrem Widerstand gegen den Geiseldeal. Itamar Ben-Gvir, der Minister für die nationale Sicherheit, gab sich empört über die Gerüchte, die spärlichen Informationen und die Details, die sich immer wieder veränderten. Er fordert auch einen Platz im Kriegskabinett.

Der Fall Gilad Shalit

Ben-Gvir sprach von einem Fehler, gar von einem Desaster wie bei dem Geiseldeal um den israelischen Solaten Gilad Shalit, der 2006 in die Fänge der Hamas geraten war. Er kam erst – unter einer Regierung Netanjahu - nach mehr als fünf Jahren frei, gegen die Freilassung von mehr als 1000 palästinensischen Gefangenen in Israel. Unter den Häftlingen war im Oktober 2011 ein gewisser Yahya Sinwar, der im Gazastreifen zum Hamas-Führer aufstieg – und zu einem der Masterminds des Terrorüberfalls des „schwarzen Schabbat“ am 7. Oktober.

Der Geiseldeal

50 Frauen und Kinder aus der Geiselhaft der Hamas im Gazastreifen gegen 150 palästinensische Frauen und Minderjährige aus israelischen Gefängnissen: So lautete die Übereinkunft zwischen Israel und der Hamas. Israel wollte in eine viertägige Feuerpause einwilligen. Zudem sollen bis zu 300 Lkw mit Hilfslieferungen in den Gazastreifen
hineingelassen werden.

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