Verdacht auf Kriegsverbrechen

Russischer Spitzenpolitiker „adoptiert“ verschlepptes ukrainisches Baby

Vorsitzender von Gerechtes Russland und mutmaßlicher Adoptivvater Sergej Mironow.
Vorsitzender von Gerechtes Russland und mutmaßlicher Adoptivvater Sergej Mironow.Imago / Stanislav Krasilnikov
  • Drucken

Der hochrangige Duma-Politiker Sergej Mironow soll ein Waisenkind adoptiert haben. Dabei könnte er sich eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht haben: Baby Margarita wurde aus dem russisch besetzten Cherson nach Moskau gebracht.

Sergej Mironow inszeniert sich seit einiger Zeit als Hardliner. Der Chef der Duma-Partei „Gerechtes Russland“ unterstützt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er tritt gegen das Einfrieren des militärischen Konflikts ein und fordert die „Liquidierung des Selenskij-Regimes“. „Gerechtes Russland“, das zur Kreml-freundlichen Opposition gehört und sich einst ein sozialdemokratisches Profil gab, präsentiert sich nun stramm national und sozialistisch.

Laut einem Bericht des unabhängigen russischen Mediums „IStories“ könnte Mironow mehr als Propaganda zu verantworten haben. Das Onlinemedium ist im Besitz von Dokumenten, die Mironows Familie schwer belasten. Seine Ehefrau und er haben laut „IStories“ ein ukrainisches Baby adoptiert, nachdem es unter russischer Besatzung nach Russland verschleppt wurde. Nach internationalem Recht könnte ihm damit ein Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Mironow könnte vom Internationalen Strafgerichtshof belangt werden.

Entführt aus Kinderheim

Der Internationale Strafgerichtshof ist in der Causa der mutmaßlichen Entführung ukrainischer Kinder bereits aktiv geworden und hat Haftbefehle gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und gegen die russische Kinderrechtsbeauftragte, Maria Lwowa-Belowa, erlassen. Lwowa-Belowa organisiert für den Kreml den aus russischer Sicht als „humanitäre Evakuierung“ unbeaufsichtigter oder elternloser Kinder dargestellten Transport auf russisches Territorium. In Russland werden die ukrainischen Kinder von russischen Familien in Pflege genommen oder in Kinderheime überstellt. Mehrere Waisen wurden in den Fernen Osten gebracht, tausende Kilometer von ihrer früheren Heimat entfernt. Die russische Kinderrechtsbeauftragte bestreitet, dass es auch zu Adoptionen von Kindern aus dem Kriegsgebiet kommen würde. Für Kinder sei es „besser, in Familien aufzuwachsen als unter Bomben und in Internaten“, sagte sie bei ihrer Pressekonferenz im April. Auch die Vielfachmutter Lwowa-Belowa hat ein Kind aus der ukrainischen Stadt Mariupol aufgenommen.

Trotz Lwowa-Belowas Dementi gab es bisher schon Vermutungen, dass illegale Adoptionen durch russische Familien stattfinden. Mironow wäre der erste hochrangige russische Politiker, bei dem ein solcher Vorgang dokumentiert ist und nachgewiesen werden kann. Seine fünfte Frau, Inna Warlamowa, spielt in dem Prozess eine zentrale Rolle. Wie aus visuellen Belegen in Sozialen Medien zu sehen ist, besuchte sie im August 2022 ein Kinderheim in der damals russisch besetzten Stadt Cherson. Die Besatzungsbehörden stellten ihr eine Genehmigung für die Mitnahme zweier Kinder aus: der damals zehn Monate alten Margarita P. und dem zweijährigen Ilija W. Warlamowa versprach demnach Untersuchungen und medizinische Behandlungen für die Kinder in Russland. Doch die Kinder kehrten nie wieder in die Ukraine zurück.

Neuer Geburtsort eingetragen

Im Herbst 2022 bestätigte ein russisches Gericht im Gebiet Moskau die Adoption durch Warlamowa. Aus Margarita P. wurde Margarita Mironowa. Auch der Geburtsort des Kindes wurde geändert: Statt Cherson lautet er nun Podolsk, eine Stadt in der Moskauer Oblast. Margarita P. hat Verwandte, die sich nun für ihre Rückkehr einsetzen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die russischen Gerichte die Adoption wieder aufheben. Auch Ilija W. soll sich im Gebiet Moskau aufhalten; mehr Details zu seinem Fall gibt es nicht.

Sergej Mironow kommentierte den Bericht nicht weiter. Er sprach in Sozialen Medien von einer „Informationsattacke“ und vermutete den ukrainischen Geheimdienst und westliche Verbündete als Urheber. „Die Wahrheit siegt. Russland führt die Spezialoperation zum vollständigen Sieg“, schrieb er auf X.

Zahlen variieren stark

Die kolportierten Zahlen der im russisch-ukrainischen Krieg verschleppten Kinder aus der Ukraine variieren stark. Bei der Berechnung spielt der Zeitrahmen der russischen Intervention eine Rolle (im Donbass seit 2014), ebenso das geografische Gebiet (Einbeziehung der Krim ja oder nein) und der genaue Status der Kinder. Bis zu 2500 Fälle von entführten ukrainischen Pflegekindern soll es seit Beginn der russischen Invasion nachweislich geben, berichtet „IStories“. Laut ukrainischen Angaben könnten bis zu 20.000 Kinder deportiert worden sein. Insgesamt könnten seit Februar 2022 mehr als 700.000 ukrainische Minderjährige in Russland angekommen sein. Russland wird vorgeworfen, mittels Namensänderung, Propaganda und russisch-patriotischer Erziehung die ukrainische Identität der Kinder auszulöschen.

>> Der Bericht von „IStories“ in englischer Sprache

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.