Gastkommentar

Bitte keine Richter, die romantisieren!

Replik. Wer hofft, der Staat könne Frauenmorde „in den Griff bekommen“, ist reichlich naiv. Mir fehlt der Glaube an Allheilmittel.

Es mag offen sein, welche Terminologie passt. Die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser etwa benutzen beide Begriffe. Mangels staatlicher Definitionen ist manches unklar. Völlig klar und dem Herrn Rat Janko Ferk (nach seinem Text „Sagt doch einfach Frauenmorde dazu!“, 11. Jänner 2024) nahegebracht sei: Romantisierende Erklärungsversuche à la „Männer in unseren Gefilden sollten endlich kapieren, dass die Liebe rätselhaft ist. Sie kommt und geht“ verdunkeln die wahren Ursachen. Männer werden wesentlich öfter mit ihrem Beziehungsende konfrontiert, als es zu Beziehungstaten kommt. Ursache von Femiziden kann also zumindest nicht allein das Fehlen der „modernen“ Einsicht sein, dass Zuneigung/Beziehung ephemere Phänomene sein können. Übrigens, Männer praktizieren selbst auch Beziehungsbeendigung in statistisch relevantem Ausmaß.

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Wer sich mit konkreten Tätergeschichten beschäftigt, wird mit den tatsächlich maßgeblichen Ursache-Wirkung-Beziehungen durch fortgesetzte Wiederkehr bestimmter psychischer Strukturen konfrontiert. Für fast alle Menschen ist das nicht einvernehmliche „Aus“ belastend. Gerade wer in der Beziehung scheinbar den Ton angab, ist besonders betroffen, wenn die bisher duldsame Partnerin (endlich) die Reißleine zieht. Alle menschlichen Beziehungsgeflechte kennen Aggression durch „entthronte“ Herrscher. Dachte Ferk an ­diese fehlende Einsicht in das Ende weiblicher Zuneigung/Beziehungsbereitschaft? Binsenweisheit: Ähnliches findet sich auch bei Frauen. Bloß wird weibliche Aggression in der „nachpatriarchalen“ Gesellschaft von Männern anders wahrgenommen. All das ist Teil des Generalthemas, das die Psychoanalytikerin Therese Benedek schon 1946 „struggle between the sexes“ nannte.

Femizid oder Frauenmord ist aber dem Wesen nach anders. Wie zwischen Karzinom und Polyp, ist zwischen im Mord verkörperten Bruch der Grundkonvention zivilisierter Gesellschaft und „bloßer“ Alltagsaggression zu unterscheiden. Entscheidend ist: Persönlichkeitsstrukturen von Beziehungstätern besitzen in besonderem Maß zu wenig Resilienz, um mit seelischen Kränkungen adäquat umzugehen. Äußerlichkeiten wie die Rolle als „Inhaber“ einer erfolgreichen Beziehung zählen zu viel. Patriarchale Rollenbilder wirken als Brandbeschleuniger. In bestimmten Milieus (vorbehaltlich der ­Unschuldsvermutung: rezenter Schweizer Fall) wird der Mord als adäquate Reaktion für den weiblichen Verstoß gegen patriarchale Normen bewertet. Vielfach kumulieren seelische Kränkungen mit materiellen Rückschlägen und Statusverlust. In Einzelkonstellationen kann dies zum Extremszenario Mord führen. „Naturgesetzliche“, generalisierende Erklärungsversuche scheinen mir aber nicht plausibel.

An vielen Rädern zu drehen

Wer naiv hofft, staatliches Sozialengineering könne die Morde „in den Griff bekommen“, mag dies tun. Manches wurde bereits getan. Doch ist an vielen Rädern zu drehen. Mir selbst fehlt der Glaube an Allheilmittel. Essenziell scheint der Rat an Frauen, Gewaltbeziehungen jedenfalls zu beenden und Kontakte zu diesen Männern (und deren Umfeld) konsequent zu meiden.

Eines werden wir aber jedenfalls brauchen. Wir müssen zugeben, dass Einsicht in die Conditio humana mehr braucht als die Aneignung bequemer Modernismen. Zumal dem Schriftsteller Ferk bei aller Akzeptanz der potenziellen Begrenztheit von Beziehung und Zuneigung gesagt sei, dass die Liebe nach Kierkegaard die Unendlichkeit liebt und alle Lust nach Nietzsche tiefe, tiefe Ewigkeit will.

Mag. Alexander Latzenhofer arbeitet als Gutachter für Rechtsanwaltskanzleien
und war u. a. in einer auf Strafrecht spezialisierten Anwaltskanzlei tätig.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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