Zersiedelung

Beim Bodenverbrauch stehen die Ampeln auf Rot

Seit Jahrzehnten schreitet die Zersiedelung voran. Den konzertierten Anlauf, diese Entwicklung zu bremsen, gibt es nicht.
Seit Jahrzehnten schreitet die Zersiedelung voran. Den konzertierten Anlauf, diese Entwicklung zu bremsen, gibt es nicht.(c) Christoph Wisser
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In jüngster Vergangenheit hat es der Bodenverbrauch geschafft, ins öffentliche Bewusstsein zu gelangen. Mehr nicht. Bisher ist keine Umkehr ersichtlich. Daten, um das Ausmaß des Problems zu ermessen, gibt es erst kurze Zeit.

Elf mal Rot, neun Mal Gelb und nur zwei Mal Grün: Das ist die ernüchternde Bilanz, die der World Wide Fund for Nature (WWF) nach der Analyse der Bodenschutzpolitik zieht. Das Gesamturteil fällt unbefriedigend aus. Zur Erinnerung: Seit 2011 haben die Bundesregierungen das Ziel in den Regierungsprogrammen verankert, täglich nicht mehr als 2,5 Hektar Boden zu verbrauchen. Österreich liegt tatsächlich weit darüber, die Werte gehen bis zu 12,9 Hektar.

Der WWF hat unter die Lupe genommen, wie stark die einzelnen Schritte, um dieses Ziel zu erreichen, umgesetzt oder zumindest begonnen worden sind. So mangle es etwa daran, dass die Empfehlungen der Österreichischen Raumordnungskonferenz (Örok) nicht umgesetzt werden. Diese Empfehlungen zielen darauf ab, die Orts- und Stadtkerne zu stärken, mit Bedacht Flächen zu erschließen und ein aktives Flächen- und Bodenmanagement zu leben. Dafür gibt es ebenso ein Rotlicht wie für das fehlende Leerstandsmanagement.

Erst seit Kurzem gibt es eine belastbare Datenbasis

Simon Pories, WWF-Experte für Bodenschutz: „Unsere Analyse zeigt großen Aufholbedarf – der Bodenschutz hat noch nicht die notwendige Priorität in der Politik.” Pories macht als Bremser Oberösterreich und den Gemeindebund aus. Er bemängelt, dass mit dem Finanzausgleich eine „große Chance vertan“ worden sei. „Die Gemeinden haben weiterhin einen Anreiz, neues Bauland zu widmen, anstatt Grünräume zu erhalten. So geht die Konkurrenz um immer neue Fachmärkte und Gewerbegebiete an den Ortsrändern weiter“, warnt Pories. Er fordert, dass die Bundesregierung ökologische Vorrangflächen ausweisen müsse. Die Umweltorganisation kritisiert außerdem, dass „Umweltzerstörung direkt und indirekt mit Milliarden gefördert wird“.

Die Diskussion über den Bodenverbrauch ist bereits alt, die Daten sind es nicht. Denn die aktuellen Zahlen und Fakten stehen erst seit Kurzem auf solider Basis, seit 2022. Davor waren die Daten des Bundesamts für Eich- und Vermessungswesen die einzige Bezugsquelle, um ein flächendeckendes Bild der Zersiedelung in Österreich zu haben. Sie werden für steuerliche Zwecke erhoben, nicht für ein Monitoringsystem, um Veränderungen in der Flächennutzung auszumachen. Seit 2022 ist die Datenerhebung erweitert, indem insgesamt neun Quellen ausgewertet werden, unter anderem auch Fernerkundungsdaten des Europäischen Raumfahrtprogramms. Künftig lässt sich eine differenzierte Bewertung erstellen.

Die bisherigen Auswertungen sind deshalb nicht Makulatur; sie müssen allerdings nachgeschärft werden – etwa indem bestimmte Flächen anders betrachtet werden, z. B. die Forststraßen. Sie wurden bisher der Flächeninanspruchnahme zugerechnet, künftig dem Wald. Das Thema hat im Hintergrund heftige Diskussionen ausgelöst.

52 % der in Anspruch genommenen Fläche sind versiegelt, nicht 41 %

Denn Österreich hat ein sehr weit verzweigtes Netz an Forststraßen, das sich über insgesamt 120 Quadratkilometer erstreckt und Kritikern als überdimensioniert erscheint. In der Auflistung der verbrauchten Flächen scheiden künftig auch die Grünbereiche entlang von Straßen aus, die von der Asfinag betreut werden; ebenso wie jene Grünstreifen, die im Eigentum der ÖBB stehen.

Das Herausrechnen all dieser Flächen führt dazu, dass die versiegelte Fläche nun 52 % der in Anspruch genommenen Fläche ausmacht (und nicht wie bisher 41 %). Durch die Umstellung der Methode ist eine solide Bewertung des Trends beim Bodenverbrauch erst Ende 2025 zu erwarten.

Dass das Thema eines von internationaler Bedeutung ist, steht allerdings jetzt schon fest. Das zeigt auch der Bodenatlas, der von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Bund für Umwelt und Natur Deutschland, dem Think Tank for Sustainability und von Global 2000 erstellt und vor Kurzem präsentiert worden ist. Darin wird einerseits die Bedeutung des Bodens dargestellt und andererseits dessen Gefährdung und die weitreichenden Folgen, die sich dadurch ergeben.

Aufgezeigt wird auch, dass zwar Instrumente existieren, um die negativen Entwicklungen zu bremsen und umzukehren. Umgesetzt werden sie aber bloß halbherzig oder gar nicht. Dies zeige etwa die Bearbeitungsmethode der Böden in der Landwirtschaft. Von 162 Millionen Hektar Ackerfläche in der EU werden demnach lediglich 21 nach Umwelt- und Klimamaßnahmen bewirtschaftet. Auf 137 Millionen Hektar würden zwar ökologische Standards angewandt, dabei sei die Herangehensweise aber „unambitioniert“, heißt es. Deshalb bringe dies den Bodenschutz kaum voran. Die gängige Landwirtschaft beflügle vor allem die Gewinne der weltweit agierenden Konzerne, die Pestizide und Düngemittel erzeugen, nicht den Aufbau von Humus.

Bodenschutzatlas 2024

Zeugnisverteilung für die Bodenschutzpolitik

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