Nachhaltigkeit

Vom lautlosen Killer zum „missing link“: Wie viel Nachhaltigkeit bringt 2024?

In „informellen Siedlungen“ (hier in Mumbai, Indien) ist es noch heißer als in der brütenden Hitze in den Zentren von Millionenmetropolen. Einer von den Hot spots, in denen sich entscheidet, ob die Menschheit die richtigen Weichenstellungen vornimmt.
In „informellen Siedlungen“ (hier in Mumbai, Indien) ist es noch heißer als in der brütenden Hitze in den Zentren von Millionenmetropolen. Einer von den Hot spots, in denen sich entscheidet, ob die Menschheit die richtigen Weichenstellungen vornimmt. f9photos via imago-images.de
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Einen kritischen Ausblick auf dieses Jahr haben Experten des World Resources Institute (WRI) erarbeitet. Ihre Schlussfolgerung: Der Turn-around hin zu einer klima- und umweltverträglichen Welt ist möglich, aber keineswegs ein Selbstläufer.

„Wir haben die Wahl“, meint Ani Dasgupta. Er ist Chef des World Resources Institute, eines in Washington D.C. beheimateten Thinktanks, dessen Experten in Projekten auf allen Kontinenten aktiv sind. „Und diese Wahlmöglichkeit haben wir nicht nur dort, wo wir die Stimme in einem Wahllokal abgeben können. Auch wenn das eine Entscheidung mit großer Tragweite ist, weil wir die politischen Weichenstellungen wählen.“ Und vorgeben, ob es in Richtung Nachhaltigkeit mit weniger Umweltbelastung und -zerstörung geht, und damit die Belastung für das Klima verringern - oder eben nicht. Dasgupta allerdings sagt weiter, dass die Wahl von in der Politik agierenden Personen oder Gruppierungen nicht die einzige relevante ist. „Wir haben jeden Tag eine Wahl. Zum Beispiel: Was wir kaufen, ob wir überhaupt kaufen, was wir essen.“

Diese eher allgemeinen Aussagen haben die WRI-Experten versucht in einer verdichteten Version zu konkretisieren und vier Themen zuzuordnen. Wie kann es gelingen, die (wirtschafts)politischen Umstände so zu adaptieren, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen? Wie kann das dysfunktionale System für die Versorgung mit Lebensmitteln korrigiert werden? Wie kann das „missing link“ in der Energie-Transformation überbrückt werden? Und schließlich: Was ist nötig, um den „lautlosen Killer“ auszubremsen? Der Ausblick und die Analyse des Status-quo zeigen, dass es Lösungen gibt – allerdings bedarf es dazu gezielter Aktivitäten, auf allen Ebenen.

Stromleitung haben eine zentrale Bedeutung

Klima. Hier steht in erster Linie die Politik an den Hebeln der Macht. Es sind Entscheidungen auf politischer Ebene, die Förderungen in die eine oder andere Richtung fließen lassen. Und nicht nur Geldflüsse entscheiden.

Es sind auch juristische Entwicklungen. „In diesem Jahr wird einer der entscheidenden Punkte sein, wie stark das Wissen der indigenen Bevölkerungen zur Geltung kommen kann“, sagt Susan Chomba, Direktorin des WRI-Programms „Lebendige Landschaften“. Es gehe auch darum, dass die Rechte der Indigenen berücksichtigt und abgesichert werden. Etwa die Hälfte der Gebiete weltweit, in denen Indigene leben, ist noch nicht markiert – also Übergriffen teilweise so gut wie schutzlos ausgeliefert. Gewicht hat dabei auch, inwieweit das Wissen der Indigenen gewürdigt und genutzt wird. WRI-Expertin Adriana Lobo arbeitet in Brasilien mit Indigenen zusammen – was zu einer Vervierfachung des Einkommens führen kann – und zu einer Vermehrung der Jobs. „Das ist in einer der ärmsten Regionen Brasiliens wichtig.

Energie: Der Ausstieg aus der fossilen Energie steht außer Frage. Dass die Steigerung der Energie-Effizienz und der Bau erneuerbarer Kraftwerke, insbesondere Wind und Photovoltaik, zu langsam geht, ist eine Herausforderung, der man sich stellen müsse. Dasgupta: „Entscheidend wird in diesem Jahr allerdings auch sein, wie das „missing link“ überbrückt werden kann – die fehlenden Stromleitungen. Einerseits sei hier die Beschleunigung angesagt, andererseits müsse es auch die grenzüberschreitende Betrachtung der Versorgungssicherheit selbstverständlich sein. Auch hier ist die Herausforderung groß: 675 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu einer geregelten Energieversorgung, 90% der Betroffen leben in Gebieten südlich der Sahara.

Kenya hat zwar am 25. August des Vorjahres einen 24-stündigen Total-Ausfall der Elektrizitäts-Versorgung erlebt. Andererseits hat sich gerade in diesen dunklen Stunden gezeigt, dass ein Krankenhaus mit ausreichend PV-Zellen keine Unterbrechungen hinnehmen musste. Noch ist das eher ein Einzelfal, denn nur 15 % der medizinischen Einrichtungen haben eine zufriedenstellende Stromversorgung, ebenso viele aber auch gar keine.

Der Kampf ums Land

Und wenn Energie Thema ist, dann muss auch von der Mobilität die Rede sein. Dabei werten die WRI-Experten als bemerkenswert, dass in Mexico-City eine fast 42 Kilometer lange Bus-Linie für einen Schnellbus eingerichtet worden ist; dies stehe nicht nur stellvertretend für die mexikanische Hauptstadt, sondern für viele Metropolen weltweit. Straßen entlang dieser Ring-Linie wurden verkehrsberuhigt. Die Organisation des öffentlichen Nahverkehrs ist weltweit von zentraler Bedeutung. Penibel wird aufgelistet, dass in den vergangenen Jahren U-Bahnen unter anderem in Afrika, unter anderem in Algerien, Nigeria und Ägypten gebaut werden, wo eine der größten Städte der Welt, Kairo, eine Metro bekommen wird. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Zahl der Betreiber öffentlicher Verkehrsmittel, die Förderungen erhalten, vervielfacht.

Lebensmittel-Versorgung. 2024 wird sich auch zeigen, ob sich „der Kampf um das Land“ weiter verschärft oder kluge Entscheidungen zur Folge haben, dass sich die Situation entspannt. Derzeit ist die Lage angespannt. Allein in Afrika sind zwei Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche in einem sich verschlechternden Zustand. Weltweit sind etwa drei Milliarden Menschen von den Folgen schlechter werdenden Farmbodens betroffen. Die Ernten gehen zurück.

Hier gebe es genügend Beispiele, dass ein nachhaltiger, Ressourcen schonender Ansatz funktioniert. Im Fokus steht auch hier Afrika. Wichtig ist dabei, dass die lokale Bevölkerung die entsprechenden Kapazitäten ausbaut – sofern sie nicht ohnehin schon vorhanden sind. Der nächste Schritt ist dann die Finanzierung, bei der allerdings keine großen Summen bewegt werden. Entscheidend ist, dass Sicherheit und Kontinuität bestehen. Die Dokumentierung und Verifizierungen runden solche Programme ab und machen sie reproduzierbar.

Hitze. Die steigenden Temperaturen sind eine Tatsache, an der sich – jedenfalls in den nächsten Jahrzehnten – nichts ändern wird. Jaya Dindhaw, Direktorin des Programms „Nachhaltige Städte“sieht als einen weiteren Hot-spot in der Klimadebatte die gesundheitlichen Folgen durch die Hitze. Sie sei ein „silent killer“, ein stummer Mörder. Auch hier trifft es die Ärmsten am stärksten. So seien in Indien die Temperaturen in „informellen Siedlungen“ oft um sechs Grad Celsius als in der übrigen Stadt. Die sind bereits für sich Temperatur-Hot-spots. Die Rede ist von Regionen, in denen Temperaturen jenseits der 30 Grad an der Tagesordnung sind und es immer häufiger vorkommt, dass es heißer als 35 Grad hat. Für immer mehr Menschen führt das zu Beeinträchtigungen, die mehr sind als bloß belastend. Sie sind lebensbedrohlich.

Dasgupta: „In knapp einem Jahr wird es wieder ein Großereignis, eine Klimakonferenz geben. Wir dürfen aber nicht nur dorthin schauen.“ Die Nachhaltigkeit entscheidet sich nicht auf der nächsten COP, sie entscheide sich Tag für Tag, wenn die kleinen Weichen gestellt werden.

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