Gastkommentar

Die Demokratie und ihre Freunde

Peter Kufner
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Im Westen hat sich die Demokratie im Wettbewerb der Systeme durchgesetzt. Die Demokratie ist aber kein Zustand, der sich von selbst erhält.

Demokratie, der Sieg der Vielen über Diktatoren, Aristokratie und Hohepriester, ist eine Kulturleistung. Möglich wurde sie durch die Schrift. Wie der Philosoph Leonhard Schmeiser in seinem Buch „Europa – Das Reich des Lesens“ 1) schreibt, konnten im Mittelalter nur Personen „mit genau definierter Aufgabe lesen (und noch deutlich weniger Leute schreiben).“ Ende des ersten Jahrtausends aber wurde Schrift zu einem Medium, das grundsätzlich alle verwenden konnten. Die neue Schriftkompetenz führte dazu, dass immer mehr gemeine Leute mitreden konnten, wie die Gemeinschaft zu gestalten sei – und das auch machten. Letztendlich entstanden daraus unsere Demokratien.

Das ging allerdings nicht so glatt, wie es sich schreibt. Die Mächtigen „hegten einen Teil der neuen Lektüre in gut kontrollierbaren Institutionen ein, verboten darüberhinausgehendes, unbefugtes Lesen, das Reden über das Gelesene, und verfolgten Zuwiderhandelnde zunehmend blutig.“ Vor allem die Reformatoren setzten auf Selbstleser, was zu diversen Binnenkreuzzügen, Bauernkriegen und schließlich zum Dreißigjährigen Krieg führte, den Schmeiser den „großen Lektürekrieg“ nennt. „Europa entstand in einem streckenweise verheerenden Kampf um das allgemeine Recht auf Schriftnutzung.“

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Im Westen hat sich Demokratie im Wettbewerb der Systeme durchgesetzt, erst gegen Feudalismus und Monarchien, später gegen den Kommunismus – weil sie die einzige Staatsform ist, die sich allgemeinen Wohlstand zum Ziel setzt, und diesen dank Marktwirtschaft auch erreicht. In marktwirtschaftlichen Demokratien werden Reiche reicher, aber auch Arme werden reicher. So haben alle mehr Optionen für ihr Leben und wird die Gesellschaft insgesamt freier.

Doch Demokratie ist kein Zustand, der sich von selbst erhält. Demokratien bestehen, solange sie einige Voraussetzungen erfüllen und diese verteidigen gegen unvermeidlich auftretende Versuche, sie zu ignorieren. Die, denen Macht übertragen wurde, müssen sich an Regeln halten. Die Waffenträger der Demokratie, Armee und Polizei, dürfen nicht putschen, wenn ihnen etwas nicht passt. Die, die aktuell Macht ausüben, müssen bereit sein, diese wieder aufzugeben, wenn die zuständige Mehrheit (Volk, Parlament oder Verfassungsgericht) oder eine Regel – zum Beispiel Amtszeitbeschränkungen – dies verlangen. Friedliche Machtwechsel sind ein wesentliches Merkmal der Demokratie.

Medien nicht gefügig machen

Mächtige müssen auch subtilere Gepflogenheiten der Demokratie befolgen. Sie dürfen sich zum Beispiel Medien (auch und gerade wenn sie diese fördern) nicht finanziell gefügig machen. Auch private Machtanhäufung ist eine Gefahr; die Wettbewerbsaufsicht zur Verhinderung von Oligopolen und Monopolen ist eine der wichtigen demokratischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Und: Volksvertreter haben die für Demokratien grundlegende Aufgabe, die mediale Kompetenz (mittlerweile nicht nur des Lesens und Schreibens) der Bevölkerung zu erhalten und zu steigern.

Aufgrund der Vielzahl der Möglichkeiten, diese Voraussetzungen zu untergraben, ist Demokratie nie sicher. Sie steht immer in Gefahr, dass die, die gerade an der Macht sind, daran arbeiten, diese Macht nicht mehr aufgeben zu müssen. Das sieht man in den letzten Jahren gehäuft. Dass solche Versuche manchmal glücken, kann seinen Grund darin haben, dass die Qualität der Staatsführung über Jahrzehnte abnimmt und die Gesellschaft verarmt – und damit das Versprechen, allgemeinen Wohlstand zu schaffen, nicht mehr erfüllt wird. Das erklärt etwa das Phänomen Javier Milei in Argentinien. Aber wie soll man den Aufstieg von Donald Trump oder Herbert Kickl in reichen und weitgehend zufriedenen Gesellschaften erklären?

Demokratie ist nie sicher

Es könnte daran liegen, dass die diskursive Grundlage der Gesellschaft erodiert, und das wiederum daran, dass Schulen und Familien zunehmend ihre Kernaufgabe vernachlässigen. Ergebnis: ein Viertel funktionaler Analphabeten, die mit der Lektüre eines Flugblatts überfordert sind und daher den plumpsten rhetorischen Tricks aufsitzen. Es kann auch an den sozialen Medien liegen, die inzwischen öffentlichen Kloaken gleichen, mit dazwischen gut versperrten Oasen funktionierender Kommunikation. Als Beispiel nennt Schmeiser, dass „Privatlektüre theoretischer Werke als Faktor wissenschaftlichen Publizierens irrelevant geworden“ ist und die „über Jahrhunderte durchlässig gewordenen diskursiven Grenzen wieder dicht gemacht“ werden. Viele bedachte Fachleute ziehen sich in diese Oasen zurück, auch weil sie, wie während der Pandemie, hemmungslos bedroht werden von Menschen, die das Wesen wissenschaftlichen Fortschritts nicht verstehen wollen oder können.

Das ist Teil der Krise der Eliten. Martin Gurri beschreibt in „The Revolt of the Public“, wie Technologie das Machtgefälle zwischen der Öffentlichkeit und den Eliten, die die demokratischen Pfeiler Regierung, politische Parteien und Medien anführen, umgedreht hat. Vor dem Internet-Zeitalter konnten Mächtige vieles leichter verbergen; in Zeiten von Wikileaks ist dies zunehmend schwieriger. Fehler werden offensichtlich, etwa als Österreich während der Pandemie ohne ausreichende Evidenz Parks sperrte und als einziges Land in Europa eine Impfpflicht einführte.

Es erodiert das Vertrauen

Diese publik werdenden Fehler schüren Misstrauen; Privilegien und Missstände werden offenkundig. Anstatt mit Transparenz und der nötigen Bescheidenheit aufzutreten, reagieren Eliten vordemokratisch: versuchen, sich durch erhöhte Staatsausgaben das Wohlwollen „des Volks“ zu erkaufen – und wundern sich, dass allgemeine Dankbarkeit ausbleibt. Dann reagieren sie oft defensiv. Zum Beispiel schafft Österreich jetzt erst das Amtsgeheimnis ab, 18 Jahre später als Deutschland, 24 Jahre nach England und 57 Jahre nach den USA. Oder sie wollen Parteien mit hohem Wählerzuspruch verbieten. Stilistisch wird das oft begleitet von Arroganz, Gesprächsverweigerung und, nun ja, elitärem Gehabe … was den Prozess nur beschleunigt.

Diese Spirale ist für Demokratien toxisch. Ohne Vertrauen in gewählte Vertreter der Volksmacht erodiert das Vertrauen in die Demokratie selbst. Existierende Strukturen werden niedergerissen, nicht reformiert; das Resultat ist Chaos. Es kommt zu Ereignissen wie dem Brexit oder auch dem Sturm auf das Washingtoner Kapitol im Jänner 2021.

Nichts davon ist unumkehrbar. Aber wir alle müssen anpacken, um unsere Gesellschaft aus der Krise zu holen. Das ist kein Notfalleinsatz, sondern gehört wesentlich zur Demokratie und betrifft alle Bürgerinnen und Bürger. Nur: Mit unserer „Priesterkaste“ – Berufspolitikern, die existenzielle Angst vor Wahlniederlagen haben und daher von den Böen der lautesten Meinungen planlos umgetrieben werden – kann es allerdings nicht gelingen.

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1) Das Buch „Europa – Das Reich des Lesens“ von Leonhard Schmeiser ist bei Epubli erschienen (224 Seiten, 43 Euro).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR:

Veit Dengler (* 1968) ist Unternehmer und Mitgründer der Neos. Er war von 2013 bis 2017 CEO der „NZZ“-Mediengruppe. Von April 2018 bis Ende 2021 war Dengler Mitglied der Konzerngeschäftsleitung der deutschen Bauer Media Group.

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