Philosophicum Lech

Zynismus, ein vitaler Störfaktor

In Wien schlugen Konrad Paul Liessmann und Michael Köhlmeier eine unerwartete Brücke zum heurigen Thema.

Das heurige Vorspiel zum 27. Philosophicum Lech verlief störungsfrei. Gut, oder? Nicht unbedingt! Geht man nach den Ausführungen Konrad Paul Liessmanns, ist ein Leben ohne Störfaktoren mit äußerster Skepsis zu beäugen. Klar: In unserer „komplex organisierten Zivilisation“ wolle sich niemand mit technischen Störungen herumschlagen, die den Ablauf des Alltags behindern. Doch anderswo könnten Störungen durchaus produktiv sein. Manche denken dabei vielleicht an das „Disruptions“-Mantra der Tech-Gurus im Silicon Valley. Der Philosoph Liessmann verwies auf die großen Skeptiker und Störenfriede der europäischen Ideengeschichte. Sokrates, Kopernikus, Galilei, Freud: Ihre unbequemen Gedanken hätten die herrschende Ordnung so irritiert, dass man sie verfemte oder zum Tode verurteilte.

„Sand im Getriebe. Eine Philosophie der Störung“: So lautet das Thema des diesjährigen Philosophicums (17.–22. September). Mit seinem Kompagnon, dem Literaten Michael Köhlmeier, schlug Liessmann am Donnerstag im Kunsthistorischen Museum eine Brücke zwischen der „Störung“ und der „Hoffnung“, dem ambivalenten Schlüsselbegriff der vergangenen Denkertagung am Arlberg. Beleuchtet wurde „Zynismus als moralische Qualität“: eine unerwartete Überleitung. Ebenso überraschend war der Stoff, den Köhlmeier dazu ins Feld führte: „Casablanca“, der antifaschistische Hollywood-Klassiker aus dem Jahr 1942, mit dem Traumpaar Humphrey Bogart und Ingrid Bergman.

Köhlmeier, der sich mit seiner Nacherzählung des Films als Fan outete, betonte das Zynische an Bogarts Hauptfigur. Nach seiner Nationalität gefragt, antwortet Rick, der Cafetier im Vichy-Protektorat Marokko, bekanntlich: „Ich bin Trinker.“ Dennoch trifft er zuletzt die moralisch korrekte Entscheidung. Aus Liessmanns Sicht bleibt aber bis zum allerletzten Moment offen, ob er das tun wird – und genau das mache diesen Rick so interessant. Liessmann erinnerte an das von Martin Seel beim Philosophicum 1998 aufgestellte „Bogart-Theorem“: „Die ganz Guten sind nicht ganz so gut wie die nicht ganz so Guten.“ Im Unterschied zu den „Unbeirrbaren“ könnten sie zweifeln, das feie sie gegen totalitäre Ideologien. Was den Zyniker auszeichne, sei demnach seine Fähigkeit zur (Selbst-)Distanzierung. Das führte Liessmann zum Ursprung des Mottos des Abends, einem Zitat von Rudolf Burger: „In Situationen moralischer Erpressung ist Zynismus eine sittliche Qualität.“

Buch über das Philosophicum 2023: „Alles wird gut. Zur Dialektik der Hoffnung“ (Verlag Zsolnay). 

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