Kommentar

Mehr Live-Gesang, bitte! Der Song Contest darf nicht zur Karaoke-Flüster-Party werden

Kaleen beim zweiten Halbfinale des Song Contests in Malmö. Eine atemtechnische Meisterleistung, überhaupt noch ein paar Worte herauszubringen vor lauter Choreografie.
Kaleen beim zweiten Halbfinale des Song Contests in Malmö. Eine atemtechnische Meisterleistung, überhaupt noch ein paar Worte herauszubringen vor lauter Choreografie.APA / AFP / Ida Marie Odgaard
  • Drucken
  • Kommentieren

Österreichs Beitrag Kaleen beeindruckte beim Song Contest in Malmö mit ihrer tänzerischen Performance. Der Backingtrack liefert jede Menge unterstützenden Gesang mit. Das ist den Regeln entsprechend. Gut für alle Akrobatinnen unter den Künstlern. Und irgendwie schade.

Bis 2021 war es ja noch so: Alle Stimmen, die man bei einem Beitrag beim Eurovision Song Contest gehört hat, wurden live gesungen. Hauptstimme und alle Chorstimmen. Zweitere waren manchmal auf der Bühne platziert, manchmal aus inszenatorischen Gründen versteckt in einer kleinen Gesangsbox abseits der großen Bühne. Aber: Gesungen wurde eben live. Alles. Immer.

Es ist die wohl unwichtigste Nebenwirkung der Coronapandemie, dass dem nun nicht mehr so ist. Seit 2021 dürfen die Backing-Vocals auf dem instrumentalen Track (früher hätte man „Tonband“ gesagt) eingespielt werden. Also nicht missverstehen: Die relevante, im Regelwerk als „charakteristisch“ bezeichnete, Hauptstimme muss schon noch vom Künstler selbst ins Mikrofon gesungen werden. Aber die Chorstimmen dürfen vorproduziert und aufgenommen werden. Und das macht das Reglement etwas unscharf. Etwa wenn Sängerinnen im letzten Refrain aus der Hauptstimme „ausbrechen“, um sogenannte „Adlibs“ also scheinbar improvisierte Abänderungen der Refrainmelodie singen. Und im Hintergrund läuft trotzdem brav die Hauptstimme im Chor mit, obwohl der Künstler sie nicht mehr singt. (So ist es auch bei Kaleen im letzten Refrain, im folgenden Video etwa bei 2 Minuten und 50 Sekunden: „Can‘t Be Saved“)

Wesentlich relevanter ist aber, wie die Chorspuren auf dem Backingtrack dazu genutzt werden, den Singenden „unter die Arme zu greifen“. Da wird die Hauptstimme gedoppelt, getrippelt und vervielfacht, sodass die Singenden während der ärgsten Haarschwing-Choreografien und Hebefiguren nur noch kaum hörbar reinhauchen müssen, damit der verständlicherweise verkeuchte Gesang nur ja nicht deutlich zu hören ist.

Der Gesang von der Musikaufnahme verdeckt aber auch andere gesangliche Mängel - und das ist ein bisschen schade. Denn gerade der Live-Charakter des Song Contests ist das Besondere an ihm. Für die Performance-Elemente hat das natürlich den Vorteil, dass das Geld eher für Tänzer als für Backgroundsängerinnen ausgegeben werden kann - bzw. die Suche nach jenen wegfällt, die beides perfekt beherrschen. Am Sechs-Personen-Limit auf der Bühne hat sich nämlich nichts geändert. Folglich wird viel mehr und intensiver getanzt als in den letzten Jahren, da man auch dem Bühnenpersonal mehr Bewegungen zumuten kann.

Es kann trotzdem danebengehen

Viele Chor-Tonspuren, die die Hauptstimme doppeln, sind für schwer singbare Nummern aber nur bedingt eine Rettung. Denn wer falsch und laut zum richtigen, weil voraufgezeichneten Background-Gesang singt, macht das Hörerlebnis für die TV-Zuseher nicht unbedingt angenehmer. Das haben wir einmal mehr beim Kampf von Pia Maria gegen „Halo“ im Jahr 2022 gelernt. Wer in einer lauteren Lage (kraftvollere Töne) konsequent knapp zu tief singt, reibt sich gegen die richtig intonierten Chorstimmen. Auch das ist unangenehm. Hier gleich zu Beginn zu hören:

Letztes Jahr hat Österreich daraus gelernt, das Lied „Who The Hell Is Edgar“ wurde für Teya und Salena besser zurechtgelegt. Im Refrain mit den vielen „Poe Poe Poes“ genügte es aber, sich etwas zurückzuhalten und die eigene Stimme ökonomisch einzusetzen. Dafür haben die beiden Sängerinnen in den finalen Teilen „Oh Mio Padre“, wo sie beide in kraftvollere Klänge wechseln, genug Freiraum bekommen (ohne Dopplung), während darunter die „Poe Poe Poe“-Teile voraufgezeichnet weiterlaufen (Im Video ab 2:17 Minuten). Übrigens sind alle drei genannten wirklich exzellente Sängerinnen.

Und 2024? Kaleens Track ist (wie jene von allen tanzlastigen, Uptempo-Liedern) voll von Chorstimmen. Eine Entscheidung, die im Sinne der Performance ist. Kaleen hat eine beeindruckende Show und Körperbeherrschung im Halbfinale am Donnerstag gezeigt und dem nicht sonderlich feingliedrigen Ninetys-Track “We will rave“ einen Top-Fernsehmoment beschert. Genau dafür wurde er konzipiert. Plan aufgegangen. Ein paar weniger Schnitte in der TV-Übertragung würden die Choreografie vielleicht noch besser zur Geltung bringen.

Wie schwierig sich die Sache für die Sängerin gestaltet, wenn die Tontechnik nicht so gut abgemischt ist, war etwa bei den Fan-Events in Madrid zu sehen, wo der Gesangspart von Kaleen noch deutlich Optimierungspotential aufgewiesen hat. Doch hat man hier offenbar sowohl gesangstechnisch als auch tontechnisch in Malmö eine bessere Abstimmung gefunden.

Es bleibt der Wunsch nach mehr echtem Musikmachen. Die Hauptstimme kann ja auch live per Background-Sängerin gedoppelt werden. Das wäre ja keine Neuerfindung, das wird bei Livekonzerten oft so gehandhabt. Es muss ja nicht gleich die Rückkehr zum Liveorchester sein. Aber zumindest der Gesang, der sollte wieder zur Gänze live sein.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.