Morgenglosse

Der Song Contest zeigt, wo unsere Sprache Lücken hat

Nemo beim Eurovision Song Contest.
Nemo beim Eurovision Song Contest.Reuters / Leonhard Foeger
  • Drucken
  • Kommentieren

Zehn Jahre nach Conchita Wurst bringt der ESC-Sieg der Schweiz ein neues Role Model abseits der Mann-Frau-Norm - und zeigt, was der deutschen Sprache weiterhin fehlt.

„Es hat ja nix geben! Wir habn ja nichts ghabt.“ Das gilt für Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, also nicht-binäre Personen: Sie hatten bis vor kurzem in Film und Fernsehen null Vorbilder. Wer nicht in die Normativität der Geschlechterrollen passt, wusste nicht, dass es mehreren Leuten so geht. Vor etwa 20 Jahren war man noch allein damit.

Am Samstag gewann Nemo den Eurovision Song Contest. Bei der Geburt wohl als Bub identifiziert, kann Nemo jetzt in die Welt hinaus brüllen, dass es sich lohnt, für sein wahres Ich zu kämpfen. Jetzt haben also Jugendliche ihre nicht-binären Role Models. Aber was der deutschen Sprache weiterhin fehlt: ein Pronomen für Menschen, die nicht in dieses binäre System Mann-Frau passen. Wo man auf Englisch they/them sagt, bleibt auf Deutsch bloß, den Namen der Person einzusetzen. Eine neutrale Version statt er/sie ist nicht in Sicht.

Nemo beim ESC-Auftritt
Nemo beim ESC-AuftrittImago / Jessica Gow/tt

Aber vielleicht wandelt sich unsere Sprache bald, und wir werden in 20 Jahren mit Blick auf den Schweiz-Sieg von 2024 sagen: „Wir habn ja nix ghabt. Es hat ja nix gebn... bei den Pronomen!“ Frankreich, Schweden und andere Länder haben schon neue Personalpronomen wie iel oder hen in die Sprache inkludiert, für alle dazwischen, für die, die nicht exakt binär wie 1 und 0 sind.

Ach ja, bei einer Sache trennt sich die Menschheit sehr wohl in 0 und 1 mit nix dazwischen. Nämlich bei der Frage, ob man den Song Contest mag oder nicht. Die einen lieben die bunte Vielfalt und verrückten Auftritte, die anderen finden Wettstreit außerhalb von Sport abartig.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.