Analyse

Ist Schillings Rückzug eine Option für die Grünen?

Nicht einmal eine Woche nach der Plakatpräsentation wurden die Vorwürfe bekannt.
Nicht einmal eine Woche nach der Plakatpräsentation wurden die Vorwürfe bekannt.Joe Klamar/AFP/APA
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Lena Schilling wird am Wahlzettel grüne Listenerste sein. Sie könnte aber auf ihr Mandat verzichten.

Wien. Die Plakate mit ihrem Gesicht und den zum Herz geformten Händen hingen noch nicht lang, da brach die Aufregung rund um Lena Schilling, die 23-jährige Spitzenkandidatin der Grünen bei der kommenden EU-Wahl, aus. „Der Standard“ hatte von verschiedenen Vorwürfen gegen sie berichtet, bei denen es grob zusammengefasst darum geht, dass sie Unwahrheiten über Freunde, aber auch Journalisten oder politische Kollegen verbreitet haben soll. Damit drehte sich die Stimmung im bis dahin überaus ruhig verlaufenen EU-Wahlkampf. Wem der Name Lena Schilling bisher nichts sagte, der kennt sie, wenn ihm Politik nicht wirklich vollkommen egal ist, spätestens jetzt.

Damit unweigerlich verbunden ist die Frage nach dem entstandenen Schaden für die grüne Partei. Noch am 6. Mai, einen Tag vor dem Bekanntwerden der Vorwürfe, lagen die Grünen in einer Market-Umfrage zur EU-Wahl bei zwölf Prozent, hatten gegenüber dem Februar also sogar leicht zugelegt. Dann folgten nicht nur der „Standard“-Bericht, sondern auch eine eilig aus dem Boden gestampfte und entsprechend eigenwillig anmutende Pressekonferenz der Parteispitze sowie rege Diskussionen über Schillings charakterliche Eignung für einen politischen Spitzenjob. Seither ist es, gelinde gesagt, unruhig in der Partei.

Was also tun? Grundsätzlich ist es keine Option, dass Schilling am 9. Juni nicht als grüne Listenerste auf dem Wahlzettel stehen wird. Der grüne Bundeskongress hat diese Liste im März bestätigt, der Stichtag zum Einbringen der Wahlvorschläge bei der Bundeswahlbehörde ist vorbei. Die Parteispitze will außerdem an der Spitzenkandidatin festhalten und hat sich demonstrativ hinter sie gestellt.

Eine Möglichkeit wäre allerdings, dass Schilling ihr Mandat in Brüssel nach der Wahl nicht annimmt. So hat es – wenn auch aus gänzlich anderen Gründen – bei der vergangenen EU-Wahl auch der damalige grüne Listenerste, Werner Kogler, gemacht. Fraglich wäre in diesem Fall, ob Schilling den Wahlkampf noch bestreiten oder der Listenzweite, Thomas Waitz, sie vertreten würde. Er ist innerparteilich sehr beliebt und gilt als extrem fleißig, allerdings nicht als geborener Wahlkämpfer. Auf „Presse“-Anfrage bei der Partei, ob es Überlegungen zu einem Mandatsverzicht gebe, hieß es am Montag kurz „Nein“.

Fest steht, dass es für die Grünen schwierig wird, sich auf Inhalte, also vor allem den Klimaschutz, zu konzentrieren. Die Vorwürfe gegen Schilling werden wohl in jedem Interview und jeder Diskussionsrunde Thema sein – auch wenn sich die Spitzenkandidaten der anderen Parteien mit direkter Kritik bisher zurückhielten und sogar ÖVP-Staatssekretärin Claudia Plakolm für die Diskussion von Inhaltlichem eintrat.

Bekanntheitssteigerung

Auf der anderen Seite bringen die Vorgänge der vergangenen Woche Schilling wie eingangs erwähnt freilich auch eine ordentliche Bekanntheitssteigerung. Laut Ö1-„Morgenjournal“ war sie bisher rund 50 Prozent der Bevölkerung ein Begriff. Damit lag sie gleichauf mit FPÖ-Kandidat Harald Vilimsky vor den anderen Kandidaten. Es ist außerdem durchaus denkbar, dass Schilling einige „Jetzt erst recht“-Stimmen abholen kann. Letztlich wird in der Causa auch das niedrige Vertrauen der Bevölkerung in die Politik generell eine Rolle spielen. Führt das unter den Wählern zu dem Schluss „Die anderen sind auch nicht besser, aber an der jungen Frau arbeitet man sich ab“, könnte das für die Grünen durchaus förderlich sein.

Dieser „Jetzt erst recht“-Effekt hat sich in der Vergangenheit übrigens bereits bei noch brisanteren Skandalen eingestellt: Nach dem Ibiza-Skandal erreicht dessen Hauptakteur, der damalige FPÖ-Vizekanzler, Heinz-Christian Strache, bei der EU-Wahl 37.000 Vor­zugs­stim­men. Er, der nur pro forma auf einem hinteren Listenplatz stand, hätte so ein Mandat im Europäischen Parlament erhalten können.

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