Gastkommentar

Causa Schilling: Sonst nur feine Menschen im Parlament?

Folgen nun weitere Untersuchungen über die charakterliche Eignung unserer Abgeordneten? Nur zu!

Was wir von der grünen EU-Parlamentskandidatin Lena Schilling halten sollen, wissen wir nicht. Nichts Gutes, teilt uns „Der Standard“ mit – unter Berufung auf viele anonymisierte Zeugen. Warum anonymisiert? „Betroffene Journalisten haben vor allem Sorge um ihre Integrität“, heißt es. Das ist lobenswert, leider wurde dabei die Integrität von Schilling übersehen, die mit Anschuldigungen von Menschen zugeschüttet wird, die uns unbekannt bleiben.

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Auffallend ist, wann die negative Berichterstattung begonnen hat: als die Plakate mit ihrem Bild und dem Schriftzug „Klima braucht Herz“ schon geklebt waren und ein Zurück kaum möglich war. „Der Standard“ schreibt daher zu Recht, nachdem er die Lawine losgetreten hatte, über „grüne Chaostage“. Kein Wunder, bedenkt man die Situation der grünen Parteispitze. Gibt sie den Angriffen nach, wobei sie nicht einmal weiß, von wem die hässlichen Gerüchte gegen Lena Schilling stammen, ist das eine verheerende Niederlage. Gibt sie nicht nach, wird die Kampagne womöglich fortgesetzt. Beides katastrophal für den grünen EU-Wahlkampf.

Natürlich könnte man fragen, wessen Interessen dahinterstehen, wenn „Der Standard“ die Spitzenkandidatin der Grünen im Wahlkampf fertigmacht. Aber das sollte man lieber nicht, um nicht in einen Sumpf von Verschwörungstheorien zu geraten.

Zur Klarstellung: Das ist keine Verteidigung von Lena Schilling, über deren Charakter wir nichts wissen, wenn wir uns nicht auf dieses Hörensagen verlassen wollen. Was auffällt, ist, dass bislang noch kein Parlamentsabgeordneter, männlich oder weiblich, einer solchen „wochenlangen“ Untersuchung des Charakters unterzogen worden ist. Zufall? Oder können wir davon ausgehen, dass Schilling die schlimme Ausnahme ist? Sonst lauter feine Menschen im Parlament? Daher die naheliegende Frage, ob „Der Standard“ die Absicht hat, weitere Untersuchungen über die charakterliche Eignung unserer Abgeordneten durchzuführen, gemäß dem pathetischen (vom „Spiegel“ gekupferten) Motto der Zeitung: „Sagen, was ist.“ Nur zu! Viel Arbeit wartet.

Sigrid Maurer ist auf der Hut

Beim Interview mit Klubchefin Sigrid Maurer im „Profil“ fällt auf, dass sie sich zwar gegen die „Gerüchteküche im Hintergrund“ wehrt, von „Schmutzkübel“ spricht, aber „ausdrücklich nicht den ,Standard‘-Bericht“ meint. Das ist einerseits unsinnig, andererseits sinnvoll. Unsinnig deswegen, weil es allein diese Zeitung gewesen ist, die die „Gerüchteküche im Hintergrund“ ans Licht der Öffentlichkeit gehoben hat. Sinnvoll ist Maurers Verhalten aber deswegen, weil sie offenbar befürchtet: Wenn der „Standard“ jetzt den EU-Wahlkampf der Grünen zusammenhaut, dann könnten sie das im Herbst beim Nationalratswahlkampf womöglich fortsetzen. Daher hält sie die Zeitung aus ihren Vorwürfen heraus. Frau Maurer ist auf der Hut.

Interessant ist der letzte Satz im ersten Bericht der Zeitung über den Fall, das Resümee: „Wenn man jetzt nicht die Notbremse zieht, entsteht ein enormer Schaden: für die Grünen, für die Klimabewegung – aber vor allem für Schilling selbst.“ Das heißt: Nachdem der Volltreffer gelandet ist, Schilling mit ehrenrührigen Vorwürfen zugedeckt wurde und sich die Grünen in einer ganz schwierigen Situation befinden, macht man sich jetzt im „Standard“ ernsthaft Sorgen um die Grünen, um die Klimabewegung und „vor allem“ um Lena Schilling selbst. Man kann die Heuchelei auch übertreiben.

Dr. Peter Huemer (* 1941) war im ORF, u. a. Leiter der legendären Fernsehtalkshow „Club 2“ und später auf Ö! Moderator der Reihe „Im Gespräch“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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