Diplomatie

Hamas, eine „bewaffnete Widerstandsbewegung“: Bei Gaza trennen Türkei und Österreich Welten

Alexander Schallenberg beim türkischen Außenminister Hakan Fidan in Ankara.
Alexander Schallenberg beim türkischen Außenminister Hakan Fidan in Ankara.Getty Images
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Die Türkei will im Nahen Osten stärker mitmischen. Der Gaza-Krieg wühlt die Türkei auf. Beim Auftritt mit Amtskollegen Schallenberg vergleicht Außenminister Fidan den Gaza-Krieg implizit mit dem Holocaust.

Ankara. „Babykiller Israel“, steht in dicken Lettern auf dem Plakat, das sich über die Wand eines Hochhauses spannt. Das Bild zeigt Premier Benjamin Netanjahu als Schwein, auch ein Hakenkreuz. Weil das Plakat auf dem Weg vom Flughafen nach Ankara affichiert ist, können es die Diplomaten und Minister nicht übersehen, die in ihren Kolonnen durch das hügelige Umland zu Terminen in die türkische Hauptstadt rollen.

Der Gaza-Krieg wühlt die Türkei auf. „Die ganze Stimmung hat sich extrem aufgeheizt“, sagt Walter Glos, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Hamas wird von Präsident Recep Tayyip Erdoğan hofiert, der politische Anführer Ismail Haniyeh ist gerüchteweise noch immer im Land. Zugleich ist das Verhältnis zu Israel völlig zerrüttet, wie auch beim zweitägigen Besuch von Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) immer wieder zu spüren ist.

„Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt“, steht an der Wand im türkischen Außenministerium. Ein Leitsatz der Kemalisten. Und nicht mehr als Wunschtraum Der türkische Außenminister Hakan Fidan und Amtskollege Schallenberg treten vor die Presse. Die beiden sehen sich zum dritten Mal binnen eines Jahres. Von einem „neuen Niveau der Vertrautheit“ spricht Schallenberg. Er würdigt die Rolle der türkischen Gastarbeiter in Österreich, weil sich das Anwerbe-Abkommen heute zum 60. Mal jährt. Und er sagt, dass die Türkei Kontakte zur Hamas nutzen wolle, um die österreichisch-israelische Geisel freizubekommen. So weit, so amikal.

„Versuch eines Völkermords“

Aber dann treten die Differenzen zutage. Fidan sagt, die Hamas sei keine Terrororganisation, sondern eine „bewaffnete Widerstandsbewegung“. Österreichs proisraelische Haltung könne er vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs zwar nachvollziehen. Aber „genauso wie es falsch war, die Juden in Konzentrationslager“ zu bringen, sei es ein Fehler, dass die Kinder und Mütter in Gaza mit Bomben getötet werden. Schallenberg ließ das nicht auf sich sitzen. Österreich pflege keine „Doppelstandards“, das Völkerrecht gelte immer. Und: „Israel muss viel mehr tun, um Zivilisten zu schützen.“ Zugleich erinnert er daran, dass am Anfang der Eskalation der „mittelalterliche“ Terrorüberfall der Hamas stand. Fidan legte nach: Er bezeichnete den Gaza-Krieg den „Versuch eines Völkermords“ und einen „Wahnsinn“, sagt aber, er sei zumindest zufrieden, dass Israel zusehends „isoliert“ ist. Schallenberg hält von der Bemerkung wenig: „Zu sagen, dass der eine isoliert ist oder der andere hilft nichts.“

Fidan strahlt das neue Selbstvertrauen der Türkei aus. Die Regierung ist zwar innenpolitisch nach einer Lokalwahlpleite der AKP geschwächt, und das Land plagt eine horrende Inflation. Ein Stück Simit, ein Sesamgebäck, habe früher eine halbe Lira gekostet, heute zahle man dafür 13, erzählt ein Gesprächspartner. Aber in der Außenpolitik inszeniert sich die Türkei als ambitionierte Regionalmacht.

Lautsprecher der Hamas

Wobei ihr Einfluss Grenzen hat. Beispiel Gaza: Die Türkei versuchte sich zunächst vergeblich als Vermittler. Dann wurde sie zum Lautsprecher der Hamas. Die Pro-Hamas-Position sei ein Versuch, wieder Geltung zu erlangen im Machtspiel um den Nahen Osten: „Erdoğan geht davon aus, dass Israel eines Tages mit dem politischen Arm der Hamas verhandeln wird müssen. Und dann ist die Türkei relevant“, sagt Özgür Ünlühisarcikli vom „German Marshall Fund“. Der Experte hält das türkische Vorgehen für einen „strategischen Fehler“. Die Türkei sei als nicht-arabischer Staat am stärksten, wenn sie moderat agiere.

Im Krieg Russlands mit der Ukraine gelingt der Türkei der Balanceakt. Sie ist Waffenhelfer der Ukraine, hat aber zugleich das gute Verhältnis mit Russland gewahrt, von dem sie in Energiefragen abhängig ist. Die Republik war schon Gastgeber von Friedensgesprächen und Vermittler des Getreideabkommens: „Die Türkei ist der einzige Akteur in der Nato, der noch immer mit Putin sprechen kann“, sagt ein Beobachter. An den Verhandlungstisch zwingen kann die Türkei die Kriegsparteien freilich nicht.

Immer schon setzt die Türkei darauf, sich abzusichern, indem sie sich mit mehreren Großmächten gut stellt: „Das ist unser Instinkt“, sagt Experte Ünlühisarcikli. Ohne diesen Instinkt wäre das Osmanische Reich schon deutlich früher kollabiert. Die geografische Lage zwingt jedenfalls zur Achtsamkeit. Österreich ist von Freunden umzingelt. „Die Türkei hat nicht einmal einen Nachbarn, der dasselbe Alphabet hat“, sagt ein Experte. Die Nachbarschaft im Süden und Südosten ist in Konflikte und Kriege verstrickt, der Südkaukasus, der Nahe Osten. In Nordsyrien und im Nordirak kämpfen die Türken selbst gegen die Kurden. Der Zypern-Konflikt schwelt seit Jahrzehnten, mit Rivale Griechenland im Westen gibt es zumindest eine sanfte Annäherung.

Mehr Kooperation

Österreich ist auf die Zusammenarbeit mit der Türkei angewiesen. Beim Thema Migration, aber auch bei der Terrorabwehr. Künftig will man hier noch enger kooperieren. Fidan, der Außenminister, war lange Zeit Chef des mächtigen türkischen Inlandsgeheimdiensts MiT. Auch jetzt ist der Draht der Österreicher zu der Behörde gut, wie man hört. In diesen Tagen ist auch eine Delegation des Innenministeriums in der Türkei unterwegs, auch Omar Haijawi-Pirchner, der Chef des Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), absolvierte Termine.

Compliance-Hinweis

Die Kosten für die Reise wurden zwischen Presse und Außenministerium geteilt.

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