Das Brucknerhaus und seine Programmatik

Ein neues Zuhause für die internationale Musikwelt

Die Klangwolke brachte die Musik aus dem Brucknerhaus auch hinaus auf die Straße. Sie wurde ab 1979 veranstaltet, hier der Herzballon aus diesem Jahr.
Die Klangwolke brachte die Musik aus dem Brucknerhaus auch hinaus auf die Straße. Sie wurde ab 1979 veranstaltet, hier der Herzballon aus diesem Jahr.Peter Wurst
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Welche Programmatik man im Brucknerhaus seit 1974 verfolgte, wer an hochkarätigen Gästen kam und wie man – auch mit der Klangwolke – das Haus öffnete.

Was haben Zubin Mehta, Hermann Prey, Christa Ludwig, Lucia Popp, Rudolf Nurejew, Seiji Ozawa und Riccardo Muti gemeinsam? Alle traten sie gleich in den ersten Jahren des Bestehens im Brucknerhaus auf und machten das kürzlich eröffnete Konzertgebäude zu dem, was man angestrebt hatte: einem neuen Zuhause auch für internationale Künstler. So war es, liest man in der Festschrift „10 Jahre LIVA“, das „besondere Bestreben des Managements, dass nunmehr Orchester, Ensembles und Künstler von Weltrang bedenkenlos in Linz auftreten konnten“. Und sie kamen von Anfang an: Ob das BBC Symphony Orchestra London mit Pierre Boulez, die schon im Mai 1974 hier gastierten, das Concertgebouworkest Amsterdam und Bernard Haitink, die im Juni desselben Jahres auftraten, oder das Los Angeles Philharmonic unter Zubin Mehta im Oktober. 1976 waren beispielsweise das Boston Symphony Orchestra unter Seiji Ozawa zu Gast sowie das New Philharmonia Orchestra London unter Riccardo Muti. Schon nach zehn Jahren resümierte Horst Stadlmayr, der erste Leiter des Brucknerhauses: „Mittlerweile waren fast alle berühmten Stars, Dirigenten, Sänger sowie Solisten hier, und es spielten alle weltberühmten Orchester in Linz.“ Und er fügte hinzu: „Es ist überhaupt keine Frage, dass unsere Heimatstadt Linz heute in aller Welt nicht nur als Industriestadt, sondern auch als Kongress-, Kultur-, Ausstellungs- und Musikstadt sich einen bedeutenden Stellenwert erworben hat. Dieser Ruf soll ausgebaut und gestärkt werden.“

Der Aufbau einer guten Reputation im Ausland begann natürlich auch mit Rezensionen wie den folgenden, die rund um die Eröffnung erschienen: „Die Tatsache dürfte unbestritten sein, dass Linz nunmehr über ein Kulturzentrum verfügt, das eine europäische Sehenswürdigkeit darstellt.“ So urteilte die „Neue Zürcher Zeitung“ anlässlich der Eröffnung 1974. Und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb damals: „Das Haus ist unvergleichlich schön.“

»Mittlerweile waren fast alle berühmten Stars, Dirigenten, Sänger sowie Solisten hier, und es spielten alle weltberühmten Orchester in Linz.«

Horst Stadlmayr

Da die Linzer nun also ihr schönes Haus endlich hatten, sei es ihr Wunsch, hier auch jene Künstler zu sehen, die sie aus den Medien kannten, wie Horst Stadlmayr schon in der Festschrift zur Eröffnung des Brucknerhauses anmerkte: „Die durch die Massenmedien renommierten Interpreten werden vom Publikum verlangt. Unbekannte Künstler ziehen einfach nicht.“ Und er fügt hinzu: „Der Wunsch des Konzertpublikums, große, berühmte, international renommierte Orchester mit ebensolchen Dirigenten zu hören, wird immer wieder an die LIVA herangetragen und resultiert einwandfrei daraus, dass Fernsehen, Schallplatte und Hörfunk das Verlangen nach derartigen Klangkörpern wesentlich und immer mehr beeinflussen. Diesem Trend, diesem Publikumsgeschmack muss also Rechnung getragen werden.“ Oder wie es später in „20 Jahre Brucknerhaus, ein Lesebuch“ von Karl Gerbel heißt: „In den ersten Saisonen galt es vor allem, die international renommierte Musikwelt auf diesen neuen Hafen, den ihnen das Brucknerhaus bieten kann, aufmerksam zu machen. Der Ruf, vor allem der der exzellenten Akustik des großen Saales, eilte dem Sirén-Bau in alle Welt voraus. Ein Echo stellte sich ein.“

Carlo Maria Giulini dirigierte 1977 das Verdi-Requiem mit José Carreras, Ruggero Raimondi und Brigitte Fassbaender.
Carlo Maria Giulini dirigierte 1977 das Verdi-Requiem mit José Carreras, Ruggero Raimondi und Brigitte Fassbaender.Peter Wurst

Und so waren unter den Künstlern, die in den ersten Jahren abgesehen von den bereits Genannten gastierten: Leonard Bernstein, der 1976 mit den New Yorker Philharmonikern gastierte und 1978 mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks die Österreichische Erstaufführung seines „Songfest“ hier hatte. José Carreras und Brigitte Fassbaender in einem Verdi-„Requiem“ 1977, Lucia Popp in „Carmina Burana“ unter Kurt Wöss, Friedrich Gulda, Gwyneth Jones, Gundula Janowitz, Vladimir Ashkenazy und viele mehr. Unter den Orchestern waren anfangs auch das London Symphony Orchestra, das Radio-Symphonie-Orchester Berlin, das Pittsburgh Symphony Orchestra und das Orchestre de Paris, als Dirigenten kamen schon bald nach der Eröffnung Claudio Abbado, Sergiu Celibidache, Nikolaus Harnoncourt und Lorin Maazel. Unter den Instrumental-Solisten waren Martha Argerich, Alfred Brendel, Paul Badura-Skoda, Daniel Barenboim, Anne Sophie Mutter, Maurizio Pollini, Yehudi Menuhin, Nathan Milstein und Pinchas Zukerman. Unter den Sängerinnen und Sängern gastierten bald Agnes Baltsa, Nikolai Gedda, Anton Dermota, Edita Gruberova, Siegfried Jerusalem, René Kollo, Birgit Nilsson und Kiri Te Kanawa.

Apropos Gesang: Konzertante Opernaufführungen waren von Anfang an Bestandteil des Programms. Ob nun Kurt Wöss in aufeinanderfolgenden Jahren Teile des „Ring des Nibelungen“ sowie „Tristan und Isolde“ und „Rienzi“ dirigierte oder ob viel später hier „Salome“, „Parsifal“ und „Elektra“ unter Franz Welser-Möst zu hören waren. Das Brucknerhaus machte es möglich, groß besetzte Werke, die in der damaligen Heimstätte des Landestheaters die Dimensionen gesprengt hätten, zumindest konzertant in Linz live zu erleben.

Auch auf dem Sektor des Balletts holte man sich rasch Rudolf Nurejew und Solisten des Wiener Staatsopernballetts. Was Jazz betraf, kamen in den ersten Jahren etwa Jan Garbarek und das Gary Burton Quintett. So vermeldete man bald stolz, „dass die jetzigen Meister ihres Fachs auf dem Gebiet der Musikkultur hier auftraten.“ Und Landeshauptmann Josef Ratzenböck konnte zum 20-Jahr-Jubiläum resümieren: „Durch die Errichtung des Brucknerhauses hat Linz den Anschluss an das internationale Konzertleben gefunden.“ Der legendäre „Opernführer der Nation“ und „Producer“ Marcel Prawy trug sichtlich auch zu dem bei, was er selbst so beschrieb: „Immer mehr Stimmen bezeichnen erst seit der Präsenz des Brucknerhauses Linz als Österreichs Kulturhauptstadt Nr. 2.“ Und Erwin Ringel hielt fest: „Auch für den kunstverwöhnten Wiener bietet das ‚Haus am Wasser‘ jeden Monat mehrmals eine ernste Versuchung an, seine Stadt zu verlassen und donauaufwärts zu reisen.“

Mit Rudolf Nurejew und dem Wiener Staatsopernballett brachte man  hochkarätigen Tanz.
Mit Rudolf Nurejew und dem Wiener Staatsopernballett brachte man hochkarätigen Tanz. Wolfgang Kohl/LIVA

Show und Volkskultur

Wenn hier viel vom Klassik-Sektor die Rede ist, so hatte es sich die LIVA von Anfang an auch zur „Aufgabe gestellt, Popkonzerte und Veranstaltungen, die das reine Showbusiness und die gesamte Volkskunst betreffen, in ihr Programm aufzunehmen“, wie Horst Stadlmayr in seinem Beitrag in der Festschrift zur Eröffnung schreibt. Er verweist auf „erste, publikumswirksame Erfolge“. Und auch die Verbindung zwischen dem Publikum und Musik aus dem Bundesland war den Intendanten ein Anliegen: „Diese Vernetzung, die Verbindung von Regionalem und Internationalem, diese Verknüpfung von Menschen und Projekten mit kulturellen Ideen: Das ist ein Charakteristikum des Hauses, für das ich persönlich stehe“, so schrieb Karl Gerbel 1994, der das Haus ab 1984 (mit-)führte.

Generell gab es im Brucknerhaus von Anbeginn auch Kongresse, Vortragsabende, etwa von Reinhold Messner, Theatergastspiele, Kabarett und Ähnliches. Messen wie solche zu Umweltmanagement und Tourismus fanden hier ebenso statt wie Gala-Empfänge und Bälle. Ein Anton-Bruckner-Institut wurde bereits 1978 gegründet. Hier arbeitete man mit der Akademie der Wissenschaften zusammen und trieb die musikhistorische und musikwissenschaftliche Forschung – auch durch Symposien – voran. Das Brucknerhaus war Bühne und Austragungsort für Vielseitiges.

Kontinuität über Jahrzehnte

Mit Bezug auf die Klassische Musik lässt sich sagen: Den Schwung, mit dem man in den Anfangsjahren begann, konnten die Linzer in den folgenden fünf Jahrzehnten beibehalten. Die Liste der großen Namen, die das erste halbe Jahrhundert des Brucknerhauses prägten, würde den Platz sprengen, der hier zur Verfügung steht. Aber es sei festgehalten, dass das Haus sich international behaupten konnte.

So sehr man danach trachtete, große Namen unter Dirigenten und Orchestern nach Linz zu holen, so war doch zusätzlich von Anfang an ein Klangkörper dem Haus besonders verbunden: das Bruckner Orchester Linz. Schon anno 1974 hielt der damalige Intendant Horst Stadlmayr fest, dass man zwar einerseits viele internationale Orchester engagieren wollte, andererseits die Absicht der LIVA da sei, „ihre kulturpolitisch-musikalische Aufgaben weiterhin und in hoffentlich verstärktem Maße mit dem Brucknerorchester zu bewältigen“. Daher forderte er, dass das Orchester aufgestockt werde. „Nur so ist es im Brucknerhaus konkurrenzfähig und in verstärktem Maße einsetzbar.“ Und weiter: „Das Brucknerhaus setzt neue Maßstäbe, denen auch hier Rechnung getragen werden muss.“ Bis heute ist das Bruckner Orchester Linz ein wichtiger Partner des Brucknerhauses und bestreitet hier pro Saison einige wichtige Konzerte.

»Diese Vernetzung, die Verbindung von Regionalem und Internationalem, diese
Verknüpfung von Menschen und Projekten mit kulturellen Ideen: Das ist ein Charakteristikum des Hauses, für das ich persönlich stehe.«

Karl Gerbel

Von Anfang an nahm und nimmt eine nicht unwesentliche Rolle im Programm der LIVA die heimische Kunstförderung ein, einerseits, was regionale Musik und Künstler betrifft, andererseits auch, was Uraufführungen angeht. Dabei sollte nicht zuletzt „das oberösterreichische Musikschaffen im Rahmen des Möglichen berücksichtigt und oberösterreichische und österreichische Komponisten bei Konzerten zur Diskussion gestellt werden“, meinte Stadlmayr bereits angesichts der Eröffnung und der dabei programmierten Uraufführung von Gottfried von Einems „Bruckner Dialog“ an diesem Tag. Der Einem-Premiere sollten viele weitere folgen. Unter diesen sind nicht nur Novitäten, oft Auftragswerke, die eigens für das Brucknerhaus komponiert wurden, sondern erstaunlicherweise auch immer wieder Werke des Namenspatrons Anton Bruckner verzeichnet. Denn des Öfteren wurde das Brucknerhaus Schauplatz von Erstaufführungen von neu entdeckten Fassungen Bruckner’scher Kompositionen. Vielfach wurden Werke von heimischen Komponisten uraufgeführt, Balduin Sulzer und Augustinus Franz Kropfreiter sind hier häufig verzeichnet, beispielsweise wurde auch Heinrich Schiffs „Drei Studien für Klarinette, Viola und Klavier“ im Brucknerhaus erstmals der Musikwelt zu Gehör gebracht. Im Rahmen der Klangwolke 1993 gab es die Uraufführung einer Komposition eines stilistischen Grenzgängers, der von Österreich aus die Welt erobert und nun als Komponist wieder in die Heimat zurückgefunden hatte: Joe Zawinuls „Geschichten von der Donau“. Dazu kamen außerdem österreichische Erstaufführungen von Werken bedeutender Meister der Moderne oder der Postmoderne, beispielsweise jene von Dmitri Schostakowitschs Zweitem Violinkonzert oder Morton Feldmans „String Quartet I“, sowie Europäische Erstaufführungen wie jene von Ernst Kreneks „Perspektiven“.

Triumphe

Stellvertretend für unzählige Sternstunden der fünf Jahrzehnte erinnern sich Linzer Musikfreunde an ein bewegendes Gedenkkonzert zu Mozarts Todestag mit Nikolaus Harnoncourt und dem Chamber Orchestra of Europe sowie an Standing Ovations für Giuseppe Sinopoli nach seinem Auftritt mit dem Philharmonia Orchestra London. Bemerkenswert ist auch, dass ein Dirigent wie Lorin Maazel, der bereits zuvor mehrfach im Brucknerhaus aufgetreten war, für sein erstes Konzert mit den Wiener Philharmonikern nach seiner siebenjährigen Absenz das Brucknerhaus als Ort für sein Comeback wählte: „Er ist wieder da. Und wie!“ titelte damals „Die Presse“ und befand in der Folge: „Triumphaler hätte das Comeback nicht ausfallen können.“

Besondere Konzerte brachte über all die Jahre stets das Brucknerfest, das ab 1974 im Herbst stattfand. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte schon anlässlich der Brucknerhaus-Eröffnung im März 1974 geschrieben: „Hier wäre ein Brucknerfest nicht nur legitim, sondern ein Akt geistesgeschichtlicher Gerechtigkeit.“ Das wurde schon im Frühherbst umgesetzt. Im ersten Jahr gastierte Claudio Abbado mit den Wiener Philharmonikern ebenso wie Georg Solti mit dem Chicago Symphony Orchestra, Alfred Brendel war unter den prominenten Solisten. Das Bruckner Orchester Linz bot die Uraufführung (!) der 1887er-Fassung der Achten Symphonie Bruckners. Ähnlich prominent besetzt und mit reizvoll vielfältigen Programmen ging es weiter. 1975 kam etwa Hermann Prey, Karl Böhm dirigierte die Wiener Philharmoniker, auch Julia Migenes war avisiert. Die Liste großer Namen ließe sich ungebrochen bis in die Gegenwart fortsetzen.

Bald ging man freilich noch weiter in dem Bestreben, „Kultur für alle“ zu machen: 1979 gab es erste Überlegungen, ein Elektroniksymposium zu veranstalten, ein experimentelles Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft: Die „Ars Electronica“, bei der dann später schon einmal Forscher für Elektrotechnik ins Brucknerhaus einzogen und Gehirnströme gemessen wurden. Im Dunstkreis der „Ars Electronia“ entstand 1979 außerdem eine Idee, die vom Experiment bald zu einem Wahrzeichen des Linzer Kulturlebens werden sollte: die Klangwolke. Das Konzept war, bei einem Open-Air-Spektakel im und über dem Donaupark mit durch Riesenlautsprecher tausendfach verstärkter Musik den Fluss zu beschallen. Damit konnte man Tausende Interessenten live erreichen. Bald wurde aus der Idee ein optisch-elektronisches Großspektakel, das man weltweit untrennbar mit dem Brucknerhaus assoziierte.

Hatte man im ersten Jahr noch mit einer Aufnahme gearbeitet und das Concertgebouworkest Amsterdam unter Bernard Haitink zugespielt, wurde ein Jahr später bereits ein Konzert live aus dem Brucknerhaus in den Donaupark übertragen: Das Brucker Orchester Linz spielte Bruckners „Vierte, die Romantische“. In den Jahren darauf wirkten beispielsweise die Wiener Philharmoniker unter Lorin Maazel, die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und das London Symphony Orchestra bei der Klangwolke mit, es gab aber bald auch eine Lasershow mit Musik von Pink Floyd. Niederschwelliger Zugang und eine Verbindung zwischen klassischer Musik und technischer Innovation waren das Ziel. Teils sorgten Lichteffekte und Multimediashow für ein Gesamtereignis, teils verließ man sich stärker auf die Wirkung der Musik. Jedenfalls ging es darum, viele Menschen mit Musik live zu erreichen. Unvergesslich wird den Bewohnern von Linz die Aufforderung bleiben, anlässlich der ersten Klangwolke die ganze Stadt zu beschallen: Alle Musikfreunde sollten während der Live-Übertragung im Rundfunk ihre Fenster öffnen . . .

Drei Beispiele mögen herhalten, um den Ideenreichtum der Linzer Klangwolkenmacher zu dokumentieren: der 24-stündige Visualisierungsversuch der Homerischen „Odyssee“ samt gewaltigem hölzernen Schiffsgerippe mit glitzernd-metallischem Mast und Musik von Otto M. Zykan; oder „PAX“, die multimediale und interaktive Show über die Geschichte der Menschheit, inszeniert von Fura dels Baus; und nicht zuletzt David Pountneys Interpretation der Beziehung der Menschen zur Sonne. Bei der sogenannten „Klassischen Klangwolke“, bei der ein Konzert vom Großen Saal des Brucknerhauses in den Donaupark übertragen wurde, waren unter anderen Claudio Abbado, Riccardo Muti, Michael Tilson Thomas und 2021 mit Silvia Spinnato erstmals eine Frau als musikalische Leiter(in) dabei. Seit 1998 gibt es auch eine eigene Kinderklangwolke.

Und es dürfte immer noch gelten, was Bundespräsident Thomas Klestil stellvertretend für viele 1994 in seinem Beitrag zur 20-Jahr-Festschrift des Brucknerhauses betonte: „Hier wird beste Musiktradition mit kreativem Elan, hoher künstlerischer Potenz und unter Einsatz moderner Technik gepflegt. Das Ergebnis ist etwas ganz Neues, das nirgendwo sonst geboten wird: ein anspruchsvolles Musikexperiment – mit dem erklärten Ziel, Kunst aus den geschlossenen Räumen des Traditionellen und des Elitären hinaus zu den Menschen zu bringen.“ Friedrich Gulda, dessen Werk „Opus Anders“ 1980 im Brucknerhaus uraufgeführt wurde und der mit Joe Zawinul für dessen „Geschichten von der Donau“ für die Klangwolke 1993 zusammenarbeitete, meinte einmal: „Apropos Klangwolke: Diese Linzer Erfindung und Spezialität macht zusammen mit dem Brucknerfest, dem hervorragenden Welser-Möst, den ausgezeichneten Chören, dem jungen ‚Ensemble aktuell‘ und vor allem mit der international führenden Ars Electronica das mir so sympathische, wahrhaft zukunftsweisende, kulturpolitische Profil von Linz, seinen produktiven, kreativen ‚dritten Weg‘ aus.“

Zugang zur Kunst für alle

Diesen Wunsch zur Öffnung wollte man aber nicht nur an Tagen der Klangwolke und der „Ars Electronica“, sondern generell leben: Das Brucknerhaus müsse „Teil der Öffentlichkeit“ sein, schrieb Karl Gerbel einmal, er nannte „die Vielfalt der Künste […] unser Programm“. Und weiter: „Diese Vielfalt entspricht den vielen Lebensformen der Menschen, aus denen jeder seinen Zugang zur Kunst und zu seinem Raum im Haus der Künste findet.“ Und auch die erste Musikdirektorin des Hauses, Margareta Wöss, die bis 1987 am Haus tätig war, hielt fest: „Freunde der Symphonik, Kammermusikgenießer, Opernfreaks, Anhänger von Tasten- und Saitenvirtuosen, Gesangsenthusiasten, Kinder und Kenner, Liebhaber (von Musik!) und ‚Beckmesser‘, alle sollten die von ihnen geschätzten, verehrten, geliebten Künstler und Musizierformen im Brucknerhaus erleben. Wir holten die Welt in unser Haus und pflegten das Österreichische.“

Donaupark: Für die Linzerinnen und Linzer wurde das Brucknerhaus rasch ein integraler Bestandteil ihrer Stadt.
Donaupark: Für die Linzerinnen und Linzer wurde das Brucknerhaus rasch ein integraler Bestandteil ihrer Stadt.Archiv der Stadt Linz

So war es über viele Jahre auch stets das Bestreben der Brucknerhaus-Intendanten, die Tore weit zu öffnen für verschiedene Genres und verschiedenste Geschmäcker beim Publikum abzudecken. Da kommt es nicht von ungefähr, dass ein Entertainer vom Format Michael Heltaus anlässlich der Feierlichkeiten 20 Jahre Brucknerhaus meinte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der vor dem Brucknerhaus Schwellenangst hätte.“ Jemand, der etwaige Hemmschwellen gern beseitigte, war auch Marcel Prawy, mit dem es ab 1989 eine enge Zusammenarbeit gab. Nicht nur, dass er auch hier als eloquenter Klassik-Erklärer mit Volksbildnerischem in Erscheinung trat, er brachte auch breitenwirksame Programme wie „Broadway Melodies“, die „Robert-Stolz-Gala“, eine „Festa Italiana“ sowie „Danke, Lenny“, eine Hommage an Leonard Bernstein, ans Haus. In einem Text mit dem vielsagenden Titel „Was ich dem Brucknerhaus verdanke“ bekannte Prawy selbst: „Meine großen Shows im Brucknerhaus gaben mir Gelegenheit zur Erfüllung kühner Träume.“ Für die „Broadway Melodies“ brachte er 1989 etwa Spitzenstars der Metropolitan Opera New York wie Sherrill Milnes, Barbara Daniels und Gail Gilmore. 1991 organisierte er in „Fiesta Italiana“ das Österreich-Debüt von Bruno Venturini, der in Italien als legendärer Volkssänger galt. Beim Robert-Stolz-Abend trat die Film- und Operettenlegende Martha Eggerth auf und Leonard Bernsteins 75. Geburtstag zelebrierte man so ausführlich, dass Prawy anmerkte: „Die vier dem 75. Geburtstag des großen Leonard Bernstein im Mai 1993 gewidmeten Veranstaltungen waren die umfassendste Würdigung aller Aktivitäten des großen Mannes und stellten die relativ kleinen Gedenktätigkeiten all jener Städte in den Schatten, mit denen er viel enger verbunden war als mit Linz.“ Mit Bernsteins „On the Town“, seinen Symphonischen Tänzen aus „West Side Story“ und den „Chichester Psalms“ war man 1992 außerdem zur Eröffnung des Brucknerfests im Rahmen der Klangwolke in den Donaupark gegangen.

Franz Welser-Möst und Linz

Untrennbar verbunden ist das Brucknerhaus mit der Karriere des Dirigenten Franz Welser-Möst. Das nahm seinen Anfang, als er hier als Schüler des Musikgymnasiums zahlreiche Konzerte hörte (über die Eröffnung von 1974 sagte er: „Für uns war es ein Weltereignis“). Vor allem aber hat Welser-Möst, damals noch als Franz Möst, 1979 erstmals hier dirigiert! Er stand am Pult des Musikgymnasiumorchesters. Und ab den späten 1980er-Jahren habe man es dann, wie er selbst einmal beschrieb, „vorsichtig von beiden Seiten her probiert, wie das geht, was möglich ist“. „Beide Seiten“, das waren der Dirigent selbst und Brucknerhaus-Chef Karl Gerbel. „Es war von Anfang an mit Erfolg gesegnet, so ging es auch weiter. Inzwischen ist mir das Brucknerhaus tatsächlich ein Zuhause.“ Franz Welser-Möst ließ sich außerdem einmal zitieren, das Brucknerhaus sei im Vergleich mit anderen Konzerthäusern „unter den neueren, unter denen, die in den letzten 25 Jahren gebaut worden sind, eines der besten“. Der mittlerweile international sehr gefragte Maestro dirigierte etwa 1990 eine konzertante „Salome“. 1992 initiierte und leitete er Haydns „Jahreszeiten“ mit jungen Stimmen des Mozartchores des Linzer Musikgymnasiums, aus dem er ja selbst kam. Es spielte das Ensemble aktuell, junge Musiker aus dem Jeunesse-Orchester „und manchen jener Ensembles, die der 31-Jährige bisher zu Erfolgen geführt hat“, hieß es damals in der „Presse“. Und weiter: „Sie sind zu einer streitbaren Musikergemeinschaft verschmolzen, die nur zusammenkommt, den Willen ihres jungen Chefs in die Tat umzusetzen.“ 1994 leitete Welser-Möst eine „Elektra“, vom „Presse“-Rezensenten gefeiert als „eine der gewaltigsten Interpretationen, die vorstellbar sind“. Auch bei publikumsträchtigen Klangwolken war Welser-Möst federführend, etwa in Orffs „Carmina Burana“ zur Feier des 20. Jahrestages der Eröffnung des Hauses. Aber auch ein Konzert mit einem weniger zugkräftigen Programm mit Musik von Alban Berg, Anton Webern und Franz Schreker dirigierte er: „Das hat wunderbar funktioniert“, so Welser-Möst. „Denn natürlich kann man einen Saal mit meinem Namen vollbekommen, die Leute hören sich dann auch klassische Moderne an und sind meistens ohnehin begeistert.“

Untrennbar verbunden ist das Brucknerhaus mit der Karriere des Dirigenten Franz Welser-Möst.
Untrennbar verbunden ist das Brucknerhaus mit der Karriere des Dirigenten Franz Welser-Möst.Roger Mastroianni

Es war allen voran Thomas Daniel Schlee, ab 1990 Musikdirektor am Haus, der sich für diese Öffnung des Repertoires einsetzte: Ob mit den Linzer Komponistentagen oder den „Kontraste-Tagen“ – er brachte Kompositionen ins Programm, die bisher hier noch nicht gehört worden waren. Schwerpunkte zu Klassik des 20. Jahrhunderts sollten ebenso eine sanfte Öffnung in Richtung moderner Musik bringen wie die Anwesenheit von Komponisten bei heimischen Erstaufführungen und Uraufführungen. Ob Olivier Messiaen, Rolf Liebermann, Jean Francaix, Luciano Berio, Alfred Schnittke, Henri Dutilleux, Wolfgang Rihm oder Friedrich Cerha – es waren ihre Werke, die nun auch das Brucknerhaus erfüllten, oft verliehen die Komponisten durch ihre Anwesenheit bei den Konzerten (und der vorangehenden Probenarbeit) größtmögliche Authentizität. Das Linzer Publikum sollte – angeregt von Schlee – seinen Horizont stark erweitern, was klassische Musik betraf. Eigene Arvo-Pärt-Tage, Olivier-Messiaen-Tage oder Jean-Francaix-Tage unterstrichen sein Anliegen, wichtige Vertreter der Musik des 20. Jahrhunderts nach Linz zu bringen – und die „Auseinandersetzung mit avantgardistischen Strömungen unserer Tage auf höchstem Niveau zu ermöglichen“, wie die „Presse“ damals schrieb. „‚Linzer Dutilleux‘-Tage verheißt das Plakat, als wär’s selbstverständlich wie die ‚Mozartwoche‘ in Salzburg oder die ‚Schubertiade‘ im Wiener Musikverein. Der Musikchef des Brucknerhauses, Thomas Daniel Schlee, denkt nicht daran, ausschließlich auf Altbewährtes zu setzen, um die Säle zu füllen. Im Gegenteil. Abseits der klassischen Programme gelang es ihm in jüngster Zeit, auch mit Neuem reges Interesse zu wecken“, hieß es damals in der „Presse“. Schlee sei „eine Positionierung geglückt, die dem Brucknerhaus eine bemerkenswerte Mittlerfunktion zwischen dem allseits gepflegten Konzertrepertoire und der Produktion unseres Jahrhunderts zuweist.“ Es sei ihm „gelungen, auch Programme zu verkaufen, die im landläufigen Sinne als ‚weniger attraktiv‘ gelten.“ Schlee stelle „unterschiedlichste musikalische Stile zur Diskussion, auch solche, die abseits des ‚Mainstream‘ der internationalen Avantgarde-Vermarktung (wie sie etwa bei ‚Wien modern‘ gepflegt wird) zu suchen sind“. Schlee kommentierte das damals selbst: „Wir können mehr Profil gewinnen, wenn wir eigene Programme bieten können. Mit dem internationalen Wanderzirkus von Tourneeorchestern geht das nicht.“ Zugänge verschaffen wollte Schlee auch durch die Reihe „Höreinspaziert!“. Tür und Tor des Musentempels sollten auch Leuten, die normalerweise vielleicht nicht den Weg ins Brucknerhaus fanden, weit geöffnet werden.

Durch all diese Bestrebungen, durch das Berücksichtigen der Wünsche der unterschiedlichsten Publikumsschichten – und weit darüber hinaus – sowie nicht zuletzt einer Öffnung in einige Richtungen ist das Brucknerhaus in den 50 Jahren seines Bestehens für die Linzer zum Identifikationsort geworden ist. Bereits 1993 sagten 81 Prozent der Bevölkerung in einer Umfrage, dass sie „besonders“ stolz auf das Brucknerhaus waren – sogar mehr als auf den Pöstlingberg!

In den vergangenen Jahren wurde der breite programmatische Horizont weiter gepflegt, aber auch das Brucknerfest im Herbst wieder sehr stark auf seine ursprünglichen Wurzeln bezogen. Das Schaffen des Namenspatrons Anton Bruckner wurde zum Brennspiegel wechselnder Perspektiven: „Bruckner und die Tradition“, „Aufbruch in neue Welten“ oder die „Kontroverse zwischen Brahms und Bruckner“ standen im Fokus. Musik von Bruckners Schülerinnen sicherte ebenso internationale Aufmerksamkeit wie „Bruckner und die Moderne“. Immer blieb man offen für neue Strömungen und die Aufarbeitung verschütteter Traditionslinien, etwa, wenn man 2022 Musik der während des Nationalsozialismus verfemten Komponisten Egon Wellesz, Vally Weigl und Erich Wolfgang Korngold zur Aufführung brachte. Eine Besonderheit brachte das Jahr 2023: Bevor man sich zum Jubiläum wieder ganz auf den Namensgeber konzentrieren wollte, stellte man in diesem Brucknerfest ein Jahr zuvor Komponistinnen und Interpretinnen aus seiner Zeit in den Mittelpunkt und verzichtete ein paar Wochen ganz auf Musik des Hausgottes. Das geschah nicht zuletzt, um dann für 2024 wieder gänzlich aus dem Vollen zu schöpfen, was Bruckners Klangwelt betrifft.

Das Magazin

Ein Auszug aus dem gemeinsamen Magazin für zwei Jubiläen: 50 Jahre Brucknerhaus, 200 Jahre Anton Bruckner.

Das Magazin ist im Brucknerhaus Linz, im Handel oder unter diepresse.com/geschichte zum Preis von 14 Euro erhältlich.

Dieses Magazin wurde von der „Presse“ in Unabhängigkeit gestaltet. Es ist mit finanzieller Unterstützung der LIVA - Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH möglich geworden.

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