Interview

Juncker im Gespräch mit Plassnik: „Die EU ist nicht aufnahmefähig“

Ex-Außenministerin Ursula Plassnik im Gespräch mit dem früheren Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude-Juncker. Beide gehören dem Beirat des Magazins „European Voices“ an.
Ex-Außenministerin Ursula Plassnik im Gespräch mit dem früheren Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude-Juncker. Beide gehören dem Beirat des Magazins „European Voices“ an.Nathan Murrell
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Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hält weder die Balkanstaaten noch die Ukraine derzeit für beitrittsfähig. Ex-Außenministerin Ursula Plassnik sieht das anders. Sie pocht auf die geopolitische Dimension der EU-Erweiterung. Vorabdruck eines Gesprächs für das neue Magazin „European Voices“.

Ursula Plassnik: Was macht Europa wirklich stark? Wo müssen wir besser werden? Du hast die Europäische Union „werktäglich“ erlebt, nicht nur in Sonntagsreden. Lass uns dieses Gespräch bei den Bürgern Europas beginnen. Laut Eurobarometer wollen 70 % im Juni wählen. Und was interessiert sie am meisten? Die Zukunft Europas, das wollen sie diskutieren, dazu wollen sie etwas hören. Verteidigung und Sicherheit, Wirtschaft, Kampf gegen die Armut.

 Jean-Claude Juncker: Fast ein gesamter Kontinent ist zu einer Parlamentswahl aufgerufen – das ist schon ein großartiger Vorgang! Das gibt es sonst nirgendwo. Aber man muss auch sehen, dass es neben den europäischen „Überzeugungstätern“ im noblen Sinn des Wortes leider auch jene gibt, die aus rein innenpolitischen Gründen zur Wahl gehen – etwa um die Regierungsparteien in ihrem Land abzustrafen oder die Opposition zu stärken. Ob es zu einer 70-prozentigen Wahlbeteiligung kommt, na ja, da habe ich einige Zweifel, aber schön und wünschenswert wäre es.

Ursula Plassnik: Vielleicht wählen ja diejenigen, die Einwände gegen die EU im Konkreten haben, nicht unbedingt politische Parteien, die nichts weiter anzubieten haben als die Zerstörung der EU. Zur Wahl geht man, weil man sich für etwas einsetzt: Für Verbesserungen des Bestehenden, für Änderungen, für Korrekturen. Eine hohe Wahlbeteiligung wird also hoffentlich die „Baumeister“ unterstützen und nicht diejenigen, die Europa mit der Abrissbirne bedrohen.

Jean-Claude Juncker: Ich hoffe das auch. Aber im breiten Parteienspektrum gibt es bei dieser Wahl auch Parteien, die antreten, um die EU von innen zu zerstören. Gegen diese Kräfte, vornehmlich von ganz rechts, muss man kämpfen. Es reicht nicht, sie in Sonntagsreden in den Boden zu stampfen. Nein, man muss auch den ihnen zugeneigten Wählern erklären, dass dann auch in den einzelnen EU-Ländern die extremen Kräfte das Steuer übernehmen könnten. Wie sähe Europa dann aus? Man muss die Programmatik dieser Parteien ernst nehmen. Stellen wir uns nur eine Sekunde lang vor, dass die Politik dieser Parteien zur Politik in Europa wird. Wie sähe Europa dann aus? Was bliebe dann von Europa übrig?

Ursula Plassnik: Die EU ist unser Friedensprojekt. Wir beide kommen aus einer Generation, die sich noch an die Soldatenfriedhöfe überall in Europa erinnert. Seit den Kriegen auf dem Balkan gibt es keine neuen separaten Friedhöfe für Soldaten mehr. Jetzt hat sie der Kriegsverbrecher Wladimir Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine wieder in unser Bewusstsein geholt. Was bedeutet das für die EU? Lernen wir auf diese bittere Art Geopolitik?

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