Gastkommentar

Eine Schutzweste allein reicht nicht

Gewalt gegen Politiker: Es ist mehr als bloß Personenschutz notwendig, um Attentate wie jenes auf Fico zu verhindern.

Brauchen Politiker nun mehr Personenschutz, immer eine Schutzweste oder darf es keine öffentlichen Wahlkampfauftritte mehr geben? Rückzug? Wer will noch in die Politik gehen, wenn Leib und Leben gefährdet sind? Das sind Schreckensszenarien in einer liberalen Demokratie. Oder sollten wir uns selbstbewusst positionieren gegenüber einzelnen Verrückten, die, teilweise paranoid, teilweise politisch motiviert, losschlagen?

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Viele Fragen stellen sich. Der Mordanschlag auf den slowakischen Premierminister, Robert Fico, steht in einer Reihe mit versuchten oder erfolgten Mordanschlägen auf Politiker in jüngster Zeit. Fünf Schüsse fallen, dann wird der mutmaßliche Täter, ein 71 Jahre alter Schriftsteller, überwältigt. Fico kauert am Boden, eine Kugel hat ihn an der Brust getroffen. Historisch ist das Phänomen der radikalisierten Einzeltäter nicht neu. Wir erinnern uns an den Jahrhundertmord, welcher den legendären US-Präsidenten John F. Kennedy traf, später dessen Bruder, den Präsidentschaftskandidaten Robert Kennedy. Auch der Anschlag auf den Bürgerrechtler Martin Luther King am 4. April 1968 auf dem Balkon des Lorraine Motels in Memphis endete tödlich.

Kennedy, King, Palme

Unvergessen ist der Mordfall Olof Palme vom 28. Februar 1986. Der schwedische Ministerpräsident befand sich mit seiner Frau auf dem Heimweg von einem Kinobesuch, als ein Angreifer in der Stockholmer Innenstadt aus nächster Nähe auf das Ehepaar schoss. 1990 erschütterten zwei Attentate auf prominente Bundespolitiker die deutsche Öffentlichkeit. Am 25. April 1990 wurde der damalige sozialdemokratische Kanzlerkandidat, Oskar Lafontaine, Opfer eines Messerangriffs. Ein halbes Jahr später wurde der damalige Bundesinnenminister, Wolfgang Schäuble, ebenfalls im Wahlkampf von einem ebenfalls psychisch kranken Täter angegriffen. Er saß seither im Rollstuhl. Am 5. Dezember 1993 zerfetzte eine Briefbombe des rechtsextremen Einzeltäters Franz Fuchs die linke Hand des damaligen Wiener Bürgermeisters, Helmut Zilk.

Zilk, Fortuyn, Bhutto

Am 6. Mai 2002 wurde der erfolgreiche niederländische Rechtspopulist Pim Fortuyn auf dem Parkplatz des Medienzentrums in Hilversum ermordet, neun Tage vor der Parlamentswahl. Die pakistanische Oppositionsführerin Benazir Bhutto starb am 27. Dezember 2007 nach einer Wahlkampfveranstaltung durch einen Selbstmordattentäter. Nun scheint aber eine neue Dimension erreicht. Während der sogenannten Flüchtlingskrise wurde die britische Parlamentsabgeordnete Helen „Jo“ Cox wegen ihrer humanitären Haltung durch einen Einzeltäter ermordet. Aus den gleichen Motiven traf des den deutschen Lokalpolitiker Walter Lübcke, per Kopfschuss auf seiner Terrasse. Während der Pandemie wurden Politiker zu Zielen, nachdem der Hass über Telegram kulminiert hatte. Kommunalpolitiker, die bedroht wurden, sind zurückgetreten. „Hängt Angela Merkel etc.“, lauteten die Parolen.

Mittlerweile ist eine neue Stufe der Gewalt erreicht. Politiker aller Parteien werden tätlich angegriffen. Was tun? Uns bleiben nur zwei Ebenen, die der öffentlichen Sicherheit und die der Politik. Wenn Politiker zu Hassobjekten werden, geht es um die Bedeutung der Politik an sich. Und um mehr: ein friedliches Gemeinwesen, das sich nun gegen radikale Individuen wehren muss.

Florian Hartleb ist Forschungsdirektor am Europäischen Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention in Wien und Autor des Buchs „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ (2020).

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