Interview

Der Tätowierer von Auschwitz: „Das Böse wird dort greifbar“

Der Brite Jonah Hauer-King hat sich sehr dafür ins Zeug gelegt, um die Hauptrolle von Lale Sokolov zu bekommen.
Der Brite Jonah Hauer-King hat sich sehr dafür ins Zeug gelegt, um die Hauptrolle von Lale Sokolov zu bekommen.Mondadori Portfolio
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Der 28-jährige Jonah Hauer-King spielt in der Serie „The Tattooist of Auschwitz“ die Hauptrolle. Das war ihm allein aus familiären Gründen ein großes Anliegen.

Mehr als drei Millionen Mal verkaufte sich der Roman „Der Tätowierer von Auschwitz“, in dem die Neuseeländerin Heather Morris die bemerkenswerte Biografie von Lale Sokolov erzählte. Der slowakische Jude, der 1942 in Auschwitz für das Tätowieren der Häftlingsnummern verantwortlich gemacht wurde und sich dabei in seine spätere Frau, Gita, verliebte, hatte ihr seine Geschichte persönlich anvertraut. In der Serienadaption „The Tattooist of Auschwitz“ (Sky & Wow) wird der junge Lale nun eindrücklich von Jonah Hauer-King verkörpert, der vergangenes Jahr als Märchenprinz in „Arielle, die Meerjungfrau“ bekannt wurde.

Sie spielen die Titelrolle in „The Tattooist of Auschwitz“, die auf dem Roman von Heather Morris basiert. Kannten Sie das Buch?

Jonah Hauer-King: Ja, ich hatte es gelesen. Zumindest bei uns in Großbritannien war der Roman 2018 ein echtes Phänomen. Man konnte kaum U-Bahn fahren, ohne jemanden mit dem Buch in der Hand zu sehen. Ich habe es auch deshalb gelesen, weil ich mich aus familiären Gründen viel mit dem Holocaust auseinandergesetzt habe. Die unglaubliche Liebesgeschichte von Lale Sokolov und seiner Frau, Gita, ließ mich nicht mehr los. Als ich von der geplanten Serienadaption hörte, legte ich mich ins Zeug. Ich sagte sogar ein anderes Projekt vorsorglich ab, noch bevor ich überhaupt die Zusage hatte.

Sie sind selbst jüdisch, Ihr Großvater mütterlicherseits stammte aus Polen. Machte das die Arbeit an dieser Geschichte besonders bedrückend?

Es waren ganz viele unterschiedliche Elemente, durch die diese Rolle für mich eine Herausforderung war. Was mir gleichermaßen Respekt einflößte wie Freude bereitete. Einen so populären Roman zu verfilmen, ist immer ein Risiko, einfach weil das Enttäuschungspotenzial so groß ist. Und wenn es dann auch noch um eine reale Geschichte geht, stellt man sich noch einmal einer ganz anderen Herausforderung. Außerdem ist es immer etwas Besonderes, von diesem dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte zu erzählen. Auch ohne meinen familiären Hintergrund spürte ich einen enormen Druck, diesem Stoff und allen Beteiligten wirklich gerecht zu werden.

Wie bereitet man sich auf eine solche Rolle vor?

Zum Glück hatte ich einige Monate Zeit. Zunächst besuchte ich die KZ-Gedenkstätte in Auschwitz, las so viele Berichte von Überlebenden wie möglich und sah jede Dokumentation, die ich in die Finger bekam. Im zweiten Schritt machte ich mir dann die Geschichte von Lale Sokolov zu eigen. Seinem Sohn, Gary, wollte ich mich nicht aufdrängen, ihn lernte ich erst zur Premiere der Serie kennen. Aber mit der Autorin Heather Morris, der Lale seine Lebensgeschichte anvertraut hatte, führte ich natürlich ausführliche Gespräche.

Waren Sie für die Vorbereitung das erste Mal in Auschwitz?

Nein, ich war schon als Jugendlicher dort. Dieses Mal kam ich mit einem anderen, professionelleren Blick und sah mir alles mit Lales Augen an. Dennoch war ich einmal mehr von meinen Emotionen überwältigt; diesem Gefühl von enormer Schwere und Dunkelheit konnte ich mich nicht entziehen. Das Böse der menschlichen Natur wird dort greifbar.

Für den Dreh wurde das Lager dann zu weiten Teilen in der Slowakei nachgebaut. Kein Filmset wie jedes andere, oder?

Es war wirklich ziemlich bemerkenswert, was unsere Produktionsdesignerin dort geleistet hat. Sie arbeitete auf der Basis der Originalgrundrisse und -baupläne. Das muss man sich einmal vorstellen: jeden Tag mit diesen Zeugnissen der Unmenschlichkeit konfrontiert zu sein. Aber auch für uns war es natürlich eine heftige Erfahrung, jeden Tag in diesem Lager arbeiten zu müssen, selbst wenn es nicht das echte war. Mitunter war es verdammt schwierig, professionell und konzentriert zu bleiben und sich nicht von dieser Geschichte und diesem Ort überwältigen zu lassen.

Dazu kam auch eine körperliche Veränderung, die Sie für die Rolle des KZ-Insassen durchmachen mussten. Wie sehr ging Ihnen die an die Nieren?

Am schwersten fand ich ehrlich gesagt das Abrasieren meiner Haare, was ich völlig unterschätzt hatte. Das Gefühl kannte ich eigentlich, denn ich hatte als Teenager schon einmal raspelkurze Haare. Aber dann in der Maske zu sitzen, in meiner KZ-Uniform und in Gedanken ganz bei Lale, als der Rasierer angesetzt wurde, das hat mich in dem Moment tief erschüttert.

Im Presseheft zur Serie sprechen Sie im Kontext jüdischer Familien und dem Holocaust von „vererbtem Trauma“. War die Arbeit an „The Tattooist of Auschwitz“ also auch irgendwie kathartisch?

Das mit dem vererbten Trauma ist eine Sache, die sich schwer in Worte fassen oder überhaupt verstehen lässt. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass die Erfahrungen unserer Eltern und Großeltern in uns nachhallen, auf welche Weise auch immer. Aber ich glaube gar nicht, dass ich diesbezüglich nach Katharsis suche. Eher spüre ich einen großen Stolz, dass ich meinen Teil dazu beitragen durfte, diese Geschichte zu erzählen und vielleicht mit dafür zu sorgen, dass die Erinnerung an jene Zeit nicht verblasst.

Zur Person

Jonah Hauer-King wurde 1995 in London geboren. Er studierte Schauspiel und Theologie. Seine schauspielerische Tätigkeit hat er am Theater begonnen.

2017 war er erstmals in einem Film zu sehen, nämlich in „The Last Photograph“.

Zuletzt hat er in der Disney-Verfilmung „Arielle, die Meerjungfrau“ die
Rolle des Prinzen übernommen. Zurzeit
ist er in der Serie
„The Tattooist of Auschwitz“ zu sehen.

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