Filmfestival

Coppola in Cannes: Ein Weinberg für einen Film

Er hat den Durchblick: Adam Driver spielt in Francis Ford Coppolas „Megalopolis“ einen Architekten und Universalkünstler, der die Welt verbessern will.
Er hat den Durchblick: Adam Driver spielt in Francis Ford Coppolas „Megalopolis“ einen Architekten und Universalkünstler, der die Welt verbessern will.Caesar Film Llc.
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Bei den Filmfestspielen von Cannes spaltet ein Film der Hollywoodlegende Francis Ford Coppola die Gemüter. Ist »Megalopolis« die Sternstunde eines Freigeists – oder ein umnachtetes Machwerk?

Wer Visionen hat, muss nicht zum Arzt, sondern nach Cannes. Denn Europas Top-Filmfest hält „visionäre“ Regisseure (und manchmal auch Regisseurinnen) konsequent in Ehren. Seit jeher gehört die Idee des „Auteurs“, der eigenwilligen Künstlerpersönlichkeit hinter der Kamera, zum Markenkern des Kinoevents an der Côte d’Azur. In einer Welt, in der ein schnöder Schrottfilm aus schlaffer Stümperhand den nächsten jagt, bricht das gallische Filmdorf eine Lanze für cineastische Passion, lässt Freigeister und Altmeister des Kinos aus dem Vollen schöpfen. So lautet jedenfalls die Selbstdarstellung. Geniekult? Ach was – Cinéma!

Was genau Cinéma à la Cannes von „normalen“ Kinofilmen unterscheidet? Im Guten wie im Schlechten? Wer das wissen will, sollte sich Francis Ford Coppolas „Megalopolis“ auf keinen Fall entgehen lassen. Kaum ein anderer Film im heurigen Cannes-Wettbewerb bringt die Sonnen- und Schattenseiten des altgedienten „Auteurismus“-Gedankens so deutlich zum Vorschein, kaum etwas spaltete dieses Jahr ähnlich stark die Gemüter an der Croisette. Und das bereits vor der Premiere, aufgrund von Vorwürfen, die in einem Artikel des britischen „Guardian“ erhoben wurden.

Darin halten einzelne, anonyme Mitglieder seines Teams dem 85-jährigen US-Regisseur, der in den 1970ern Kultklassiker wie „Der Pate“ und „Apocalypse Now“ verantwortet hat, eine aus ihrer Sicht unprofessionelle Arbeitshaltung vor – und sagen ihm überdies nach, er habe versucht, beim Dreh einer ausgelassenen Nachtclub-Szene Statistinnen zu küssen, um sie „in Stimmung zu bringen“. Ein „Megalopolis“-Produzent und andere Coppola-Mitarbeiter ziehen diese Darstellung in Zweifel.

Seit der Uraufführung des Films ist all das allerdings kaum noch Thema bei Tischgesprächen in Cannes. Stattdessen geht es nur noch darum, was jetzt eigentlich von „Megalopolis“ zu halten sei: Handelt es sich um das brillante Spätwerk eines begnadeten Schöpfergeists, der sich endgültig von Studiozwängen freigespielt hat? Oder um das umnachtete Machwerk eines selbstverliebten Silberrückens, der längst jeden Bezug zur Gegenwart verloren hat?

Dabei würde Coppola selbst wohl sagen, dass es in „Megalopolis“ – ein Herzensprojekt, mit dem er sich ganze 40 Jahre getragen haben soll – sehr wohl um die Gegenwart geht. Und um die Vergangenheit. Um die Zukunft sowieso. Und überhaupt: um alles, was zählt.

Wovon handelt der Film? Das zu erklären ist leicht – und unmöglich. Im Zentrum des epischen Science-Fiction-Dramas steht Cesar Catilina, ein Universalgenie, das als oberster Stadtplaner werkt. Und zwar in einem retrofuturistischen New York, das den sprechenden Namen „New Rome“ trägt.

Dieser – no na – visionäre Architekt erfüllt jedes nur erdenkliche Genie-Klischee: Er ist abweisend, aber sensibel, gequält, aber furchtlos, einsam, aber von allen geliebt. Verkörpert wird er mit Hingabe und Humor von Adam Driver – wie in den letzten Jahren gefühlt jede „schwierige“ Künstlerfigur in Filmen alternder (Hollywood-)Exzentriker.

Diese reine Seele will die Welt zu einem besseren Ort machen, mithilfe eines wundersamen Baumaterials namens Megalon. Leider stehen ihm dabei allerlei mächtige Männer und hinterlistige Frauen im Weg: ein pragmatischer Bürgermeister (Giancarlo Esposito), ein großkopferter Tycoon, der auch Cesars Onkel ist (Jon Voight), dessen machtgieriger Sohn (Shia LaBeouf) – sowie eine manipulative Finanzexpertin (Aubrey Plaza). Ein Glück, dass Cesars Muse Julia, Tochter des Bürgermeisters (Nathalie Emmanuel), ihm zur Seite steht!

Klingt platt und altväterisch? Ist es. Und ist es dann auch wieder nicht. Was „Megalopolis“ besonders macht, ist Coppolas Indifferenz gegenüber narrativer Stringenz – und allem, was im heutigen Kino für guten Geschmack gehalten wird. Zügellos gibt sich der New-Hollywood-Veteran seinen ästhetischen und intellektuellen Obsessionen hin, nutzt Cesars Geschichte als Vehikel für exzessive Spielereien mit Bild und Ton. Sowie für eine punktuell anregende, bisweilen absolut undurchschaubare und dabei immer zutiefst persönliche Auseinandersetzung mit dem Status quo der USA, deren globales Imperium Coppola – wie dereinst das Römische Reich – am Rande des Abgrunds wähnt.

Das Ergebnis wirkt zugleich völlig abgehoben und berückend nahbar: ein Film, wie ihn nur jemand machen konnte, der Anteile an seinem eigenen Weinberg verkauft, um seine millionenschweren Kinofantasien zu finanzieren – genau das wird bei „Megalopolis“ kolportiert. Entsprechend teilt sich Coppolas Publikum in Verächter, die sich angesichts von so viel Hybris an den Kopf greifen. Und in Apostel, die jede Kritik am künstlerischen Freiheitsdrang des Regie-Granden als Kleinmut abtun. Genau diese Spannung ist aber der Stoff, aus dem Cannes-Träume sind: Cinéma.

„Poor Things“-Regisseur Yorgos Lanthimos bannt Cannes.
„Poor Things“-Regisseur Yorgos Lanthimos bannt Cannes.Atsushi Nishijima

Im Vergleich dazu nimmt sich „Kinds of Kindness“, die andere große Premiere der ersten Festivalwoche, trotz Überlänge geradezu bescheiden aus: Erstaunlich kurz nach seinem Sensationserfolg mit dem abgründigen Fantasy-Märchen „Poor Things“ legt der Grieche Yorgos Lanthimos bereits den nächsten Streifen nach, ein absurdistisches Triptychon über die Sehnsucht nach (und das Scheitern am) Kontrollverlust. Es ist gut. Aber es ist nicht mega.

Festival

Die 77. Filmfestspiele von Cannes finden heuer vom 14. bis zum 25. Mai statt.

22 Filme rittern im Wettbewerb um eine Goldene Palme.

Österreich ist dieses Mal nur in der Nebensektion „Un Certain Regard“ vertreten, mit Mo Harawes „The Village Next to Paradise“.

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