Die Ich-Pleite

Das Griss um die Fenstertage

Carolina Frank
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Für die arbeitende Bevölkerung sind die Maifeiertage ein Ausblick in eine Welt, wie sie auch sein könnte.

Seit die Sommer im Süden immer heißer werden, ist das Griss um die Fenstertage im Mai größer geworden. Vielleicht gibt es auch mehr Menschen ohne schulpflichtige Kinder. Oder mehr Schulen machen zu den Fenstertagen blau, weil sich die Lehrer sonst ohne Valium nicht bis zum Sommer retten könnten. Für die arbeitende Bevölkerung sind die Maifeiertage ein Ausblick in eine Welt, wie sie auch sein könnte. Arbeitszeitverkürzung auf 32  Stunden bei vollem Lohnausgleich. Mit nur einem Urlaubstag hat man ein verlängertes Wochenende in Triest, Venedig oder am Gardasee. Sicher, es kann nicht jeder an jedem Fenstertag frei haben.

Es ist eine Herausforderung für die Führungskompetenz. Die freien Tage müssen im Team gerecht verteilt werden. Die Lösung ist aber einfach. Jeder bekommt einen Fenstertag, außer dem Chef, der bekommt zwei. Die Deutschen sagen zum Fenstertag ja „Brückentag“. Vielleicht, weil das die Tage sind, in denen sie in langen Kolonnen auf Brücken von Norden nach Süden fahren. Das ist aber nicht immer ganz risikofrei. Denn die Hälfte der deutschen Brücken soll in besorgniserregendem Zustand sein.

Die ­Verkehrsminister halten deshalb ­regelmäßig „Brückengipfeltage“ ab. Heraus kommt immer dasselbe: ­Jährlich müssen 400 Brücken saniert werden, aber wir schaffen nur 200. Deshalb fahren viele Deutsche lieber in anderen Ländern über Brücken. Vielleicht wird der „Brückentag“ in Deutschland bald zum „Rettet die ­Brücken“-Tag ernannt. Bei uns kommt der „Brückentag“ auch immer mehr in Mode. Weil wir ja ­vieles aus dem Sprachschatz der nördlichen Nachbarn übernehmen. Lecker, Quark, Sahne. Ich persönlich bevorzuge den „Fenstertag“. Wegen der schönen Aussicht. Ich sitze zu Hause und schaue aus dem Fenster. 

 (Die Presse Schaufenster, 24.5.2023)

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