Kommentar

Sylt-Video: Die Schelte Einzelner wird’s nicht richten

Wo sich die Reichen (und Rechten) sicher fühlen dürften: Kampen, Sylt.
Wo sich die Reichen (und Rechten) sicher fühlen dürften: Kampen, Sylt. IMAGO/Chris Emil Janssen
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Auf rassistische Parolen in einem Club auf Sylt folgt eine groß angelegte Namenssuche im Netz. Eine kurze Genugtuung, aber langfristig nichtig.

Die Umtriebigen im Netz haben es längst mitbekommen, wie sich eine feierwütige Meute auf Sylt mit Nazi-Parolen amüsiert. Ein Video davon hat seit Donnerstag seine Runden gezogen. „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, johlt die Schickeria zu Gigi D’Agostinos Hit „L’Amour toujours“. Hinten im Bild ein junger Mann, dessen Geste einem Hitlergruß recht nahekommt. Mit zwei Fingern mimt er den passenden Bart.

Übers Wochenende gab es Reaktionen von Politikerinnen, Prominenten, Bürgern. In Deutschland ermittelt der Staatsschutz wegen Volksverhetzung. Derweil ist die menschenfeindliche Version der Neunzigerjahre-Nummer nicht neu. Seit Oktober kommt sie Usern immer wieder unter. Ein Video vom Ernte- oder Schützenfest, vom Ballermann, aus einer Diskothek. Keines aber hat Wellen geschlagen wie jenes aus Sylt. Wohl, weil es nicht den biersaufenden Pöbel zeigt, aus vermeintlich bildungsferner Schicht, nach der Zechtour in der Schinkenstraße. Sondern Polo-Träger, die neben Dom Pérignon sehr wahrscheinlich auch einen Hochschulabschluss in der Tasche haben. Gebildet und aus reichem Hause. Für viele ein Schock, für Menschen mit Migrationsgeschichte nichts Ungewöhnliches, eher Alltag.

Drohungen und Rachegelüste

Etliche wünschen sich zurecht Konsequenzen. Im Netz hat man recherchiert, zur Identifizierung der Menschen im Video aufgerufen, Aufgestöbertes vielfach geteilt – Klarnamen, Arbeitsplätze, Wohnorte. Mit der Bitte um Statements der Beteiligten. Die aber sind in Windeseile untergetaucht, haben ihre LinkedIn-, X-, Instagram-Profile deaktiviert. Vielleicht, weil die Stimmung im Netz schnell kippt. Neben berichtigtem Anprangern und der Forderung nach Konsequenzen finden sich Drohungen und Rachegelüste, Mord- und Vergewaltigungsfantasien. Die gute Intention nimmt so die Gestalt einer Hetzjagd an, trotz mehrfacher Bitte der Initiatoren zu respektvollem Umgang.

Das macht es Gleichgesinnten und Untätigen einfach, sich zu distanzieren. Arbeitgeber haben sich schnell reingewaschen, darunter eine Werbeagentur und eine Bank. Sie haben angegeben, jene Angestellte, die im Video zu sehen sind, freigestellt oder entlassen zu haben – oder zumindest, dass sie die Begebenheiten prüfen. Sylt-Urlauber ernten mit Statements zur Causa, in denen sie bitten, „nicht alle über einen Kamm zu scheren“, jede Menge Klicks: Es gebe auch nette Menschen auf der Insel. Allesamt distanzieren sie sich floskelhaft von Rassismus. Dabei geht es nicht um ein paar einzelne Maximilians von und zu: Das Problem ist groß und sitzt tief. Vollmundige Rhetorik und die Schelte Einzelner werden es nicht richten.

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