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„Eric“: In dieser Serie tanzt Benedict Cumberbatch mit dem inneren Dämon

Vincent (Benedict Cumberbatch) sucht seinen verschwundenen Sohn – und halluziniert ein Monster.
Vincent (Benedict Cumberbatch) sucht seinen verschwundenen Sohn – und halluziniert ein Monster.Ludovic Robert/Netflix
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„Die wahren Monster lauern nicht unter dem Bett.“ Wie wahr! In der Netflix-Serie „Eric“ suchen alle nach einem vermissten Kind. Und finden Erkenntnisse über sich selbst. Packend.

„Good Day Sunshine“ heißt die Puppenspieler-Show, mit der Vincent und seine Kollegen die Kinder im Theater und im Fernsehen zum Mitsingen animieren. Es ist eine Art „Sesamstraße“ (wir sind im New York der 1980er Jahre), in der es um Freundschaft, harmlose Witze und kindgerecht aufgearbeitete Großstadtthemen geht – am Ende singen alle mit. Auch Vincents Sohn, Edgar. Er hat sich daran gewöhnt, dass sein Papa manchmal peinliche Dinge sagt. Mitunter auch auf der Bühne. Dass er zum Beispiel Politiker beschimpft.

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Vincent ist ein zorniger Mann. Er ist mit nichts zufrieden und spricht mit jedem Klartext – auf durchaus verletzende Art. Da ist sein Sohn keine Ausnahme, gegen den er immer im Wettrennen nach Hause gewinnt und der mitanhören muss, wie sich die Eltern täglich in Fäkalsprache beschimpfen. Aber das ist bei Weitem noch nicht das Schlimmste, was passieren kann. Nur weiß Edgar das noch nicht. Als er ins Bett geht, schaut seine Mutter für ihn noch einmal unter das Bett. Keine Monster. Denn die sind ganz woanders.

Eine Klasse für sich: Benedict Cumberbatch

Kurz darauf ist Edgar verschwunden. Und die Eltern sind auf dem besten Weg, durchzudrehen. Mama Cassie (mit hängenden Schultern: Gaby Hoffmann) verdächtigt bald so gut wie jeden, der Edgar kannte, ihn entführt zu haben. Vater Vincent (Benedict Cumberbatch) betäubt seinen Schmerz und sein unerträgliches Selbstmitleid mit noch mehr Alkohol. Der notwendige Arschtritt (pardon! Aber es passt zur Sprache der Beteiligten) kommt dann von eher unerwarteter Seite.

Denn plötzlich steht da einer neben ihm, der würde mit seinem riesigen Maul, dem blauen Gesicht, den Hörnern und den großen Zähnen wunderbar zu den „Wilden Kerlen“ passen (nur ist das hier wahrlich keine Kinderserie). Edgar, der das Talent seines Vaters geerbt hat, hat dieses zottelige Monster gezeichnet und ihm den Namen gegeben: Eric. In seinem Wahn halluziniert Vincent die Figur, die ihn ständig kritisiert und auf Trab hält: „Reiß dich zusammen, Arschloch!“

Ächtung von Homosexualität

„Eric“ ist kein üblicher Thriller um verschwundene Kinder (Edgar ist nicht der einzige Vermisste), kriminelle Machenschaften, heuchlerische Politiker und korrupte Polizisten. Die sechsteilige Miniserie mäandert durch noch einige andere Themen, ohne dass es überladen oder aufgesetzt wirkt. Die britische Drehbuchautorin Abi Morgan übt mit viel Gespür Gesellschaftskritik, die sich auch in der historischen Distanz zu den 1980ern mit einem aktuellen Bezug lesen lässt. Es geht um rassistische Diskriminierung. Um die gesellschaftliche Ächtung von Homosexualität und allen anderen, die nicht in die vorgegebene „Norm“ passen. Um die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber denen, die hier im geradezu apokalyptisch inszenierten Untergrund der New Yorker Kanalisation vegetieren. Es geht um sakrosankte Skrupellosigkeit, verpackt in schicken Nadelstreif. Um die Familien zersetzende Empathielosigkeit.

Wenn Moral, dann als Tolstoi-Zitat

Morgan gelingt das, ohne groß zu moralisieren (und wenn, dann wird Tolstoi zitiert). Die authentischen Charaktere formen den Plot zu einem schlüssigen Ganzen. Herausragend dabei Benedict Cumberbatch: Die Metamorphose des Vincent vom destruktiven Besserwisser über den durch die Gosse taumelnden Psychotiker bis zur Läuterung ist das Highlight dieser packenden Erzählung. Und natürlich Eric, der ja nichts anderes ist als ein innerer Dämon, der Vincent drangsaliert, ihm aber auch hilft und sich mit ihm solidarisiert, wenn sich die beiden eine „Line“ reinziehen oder im Club gemeinsam abtanzen.

Gaby Hoffmann steht als Cassie ständig kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Sie leidet unter der zersetzenden Wirkung ihres ständig ätzenden Ehemanns auf ihre Ehe und unter der Ignoranz der Gesellschaft. Ein verschwundenes Kind, das nicht das eigene ist, scheint in der New Yorker U-Bahn so gut wie niemanden zu interessieren. Dritte Hauptfigur des Geschehens ist Kommissar Ledroit (cool und gleichzeitig verletzlich: McKinley Belcher III). Sie alle wollen das Gleiche: Edgar wiederfinden. Und doch ist es die Einsamkeit jedes einzelnen, die die Situation so unerträglich macht.

Wo stecken die „wahren Monster“?

Es gibt berührende Momente in der Serie. Vieles ist erschreckend. Edgars Schicksal sei hier nicht verraten. Nur so viel: Am Ende erlangen alle Erkenntnisse über sich selbst. Manche wachsen über sich hinaus. Andere fallen in sich zusammen mit teilweise fatalen Konsequenzen. „Die wahren Monster lauern nicht unter dem Bett“, sagt Eric. Manchmal findet man sie auch in sich selbst.

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