Gastkommentar

Die Gefahren der Normalisierung der extremen Rechten

Wahlplakat der Partei AfD zur Landtagswahl im Bundesland Hessen - Wahl zum 21. Hessischen Landtag im Herbst 2023 (Foto ist vom 7.10.2023).
Wahlplakat der Partei AfD zur Landtagswahl im Bundesland Hessen - Wahl zum 21. Hessischen Landtag im Herbst 2023 (Foto ist vom 7.10.2023). Imago / Müller-stauffenberg
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Derzeit werden sieben EU-Mitgliedstaaren von Rechtsextremen regiert oder mitgetragen. sss

Nach den jüngsten Koalitionsvereinbarungen zwischen Rechtsaußen und Mitte-Rechts in den Niederlanden und Kroatien werden nunmehr sieben EU-Mitgliedstaaten von Rechtsextremen regiert oder mitgetragen. Durch die anstehenden Wahlen in Belgien und Bulgarien sowie zum EU-Parlament könnte ihre Präsenz steigen. Die bisherige Schutzwallpolitik sollte die radikale Rechte von der Macht fernhalten, konnte ihren Aufstieg jedoch nicht verhindern. Da nun einige Politiker offen für neue Bündnisse mit Rechtsaußen-Parteien sind, stellt sich die Frage: Was ist der Preis für die Normalisierung der extremen Rechten? 

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich bemüht, die Rechtsextremen zu spalten, indem sie bestimmte Akteure, vor allem Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, umworben und andere, wie den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán, isoliert hat. Die Logik hinter dieser Taktik ist klar: Um eine einheitliche Agenda für die nächste Kommission zu gewährleisten, ist es wichtig, die beiden rechtsextremen Fraktionen im EU-Parlament – die Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) und die Fraktion Identität und Demokratie (ID) – zu spalten. Dies geschah bereits bei den Themen Ukraine-Unterstützung und Russland-Sanktionen, zwei Schlüsselprioritäten für die EU-Diplomaten. Vergleichbare Differenzen lösen wie NATO und Vereinigte Staaten aus, so ein aktueller Bericht von Carnegie Europe über extreme Rechte und europäische Außenpolitik. 

Zweitens wird die nächste Kommission, die von der Leyen leiten will, auch außerhalb der vier großen Parteien links und rechts der politischen Mitte Mehrheiten benötigen. Da es unmöglich ist, alle zufrieden zu stellen, besteht ihre Taktik darin, auf jene Parteien zu setzen, die am ehesten mit ihren Prioritäten vereinbar sind.

Drittens flirtet die Europäische Volkspartei, der von der Leyen angehört, länger schon mit der radikalen Rechten, indem sie entweder einige Themen aus deren Agenda aufgreift oder ausdrücklich mit einem Bündnis mit einigen ihrer Mitglieder liebäugelt. Schließlich war Orbáns Fidesz-Partei Mitglied der EVP, bis Ungarns Abkehr von liberal-demokratischen Grundsätzen zu Spannungen in der Gruppe führte. Zwischen den familienorientierten Werten von Europas rechter Mitte und den ultrakonservativen Werten der weiter rechts stehenden Parteien lassen sich Anknüpfungspunkte finden.

Und nicht zuletzt kann die Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Bewegung ihr etwas den Wind aus den Segeln nehmen. So beruht etwa Finnlands Mitte-Rechts-Koalitionsregierung auf einer sorgfältig ausgehandelten Übereinkunft, die einen Bruch in der Europapolitik des Landes verhindern soll. Italiens Forza Italia ist unter der Führung Tajanis näher an die Mitte gerückt. Während sich populistische Parteien mit weniger gefestigten Ideologien flexibel verhalten, können sich die Rechtsextremen auf ihre Ideologie und ihre Kernwählerschaft stützen, sollten sie bei den Wahlen für ihre Annäherung an die Mitte abgestraft werden.

Diese Normalisierung hat ihren Preis. Die Migrationspolitik ist das beste Beispiel dafür. Um den Aufstieg der extremen Rechten abzuwehren, hat die EU 2016 Migrationsabkommen mit der Türkei und später mit Tunesien, Ägypten und anderen Ländern vorangetrieben, ungeachtet der dortigen Menschenrechtslage. Von der Leyen unterstützte Italiens Regierung persönlich in ihrer öffentlichen Diplomatie im Zusammenhang mit diesen Abkommen und stärkte so Melonis Darstellung, Italien genieße dank ihrer Interventionen ein größeres Mitspracherecht bei der politischen Gestaltung Europas. 

Die Abkommen haben jedoch keineswegs dazu beigetragen, den Aufstieg der extremen Rechten zu verhindern. Vielmehr ebneten sie den Weg für eine ethisch fragwürdige härtere Migrationspolitik, bei der die Grenzkontrollen verschärft, die Rückführung unerwünschter Zuwanderer ausgeweitet und Drittländer dafür bezahlt werden, die Zuwanderung nach Europa zu unterbinden, was in dem kürzlich verabschiedeten Migrationspakt gipfelte.

Le Pens Distanz zur AfD

Meloni selbst wird dadurch zu einer Art Sprachrohr für die Ambitionen der rechtsextremen Politgruppierung in der EU. Melonis augenscheinlicher Erfolg, die Aufmerksamkeit der Kommission auf sich zu ziehen, hat Marine Le Pen, Chefin der rechtsextremen Rassemblement National, dazu bewogen, mit ihrer Partei auf Distanz zur Alternative für Deutschland zu gehen und sich neue Allianzen zu suchen.

Das Normalisierungsmuster ist hinlänglich bekannt, wie Politikwissenschaftler wie Cas Mudde und Jan Werner-Müllerseit langem nachgewiesen haben: Die rechte Mitte macht sich die Hände schmutzig, wenn sie Forderungen von rechts aufgreift, erzielt dabei aber keine Wahlerfolge. Die Klimapolitik ist der jüngste Politikbereich, in dem sich dieses Muster abzeichnet. 

Die EU-Migrationspolitik hat Europas Ansehen in der Welt nachhaltig geschadet. Noch lassen sich politische Entwicklungen korrigieren. Werden jedoch demokratische Institutionen und Prozesse untergraben, steigt der Preis für die Zusammenarbeit mit der radikalen Rechten weiter an. Die EU hat die Möglichkeit, Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit in ihren Mitgliedsländern zu bekämpfen, doch im Fall Ungarns wurde sie in den 2010er Jahren nur langsam aktiv, als Orbán begann, die Rechtsstaatlichkeit in seinem Streben nach einer, wie er es nennt, „illiberalen Demokratie“ zu demontieren. Orbáns Mitgliedschaft in der EVP war wohl ein Faktor, der eine frühzeitige, tatkräftige Intervention verhinderte, was Ungarns Demokratieabbau und die Etablierung des systematischen Querulanten innerhalb der EU hätte vereiteln können.

Die steigende Zahl von Regierungsexperimenten mit rechtsradikalen Parteien stellt eine Bedrohung für demokratische Institutionen dar. Von Italiens Regierung kommen Vorschläge für Verfassungsänderungen, die die Befugnisse der Exekutive auf Kosten des Parlaments stärken würden. Die Änderungen hätten zudem eine Schwächung der Kontrollfunktion der Präsidentin der Republik, die über die italienische Verfassung wacht, zur Folge und könnten nach Ansicht von Juristen die Möglichkeiten der Wahlbevölkerung beschneiden, Kritik an der Staatsgewalt zu üben.

Es stellt sich die Frage, ob die EU-Institutionen bestrebt sein werden, die Standards der europäischen Demokratie zu überwachen, wenn sie auf die politische Unterstützung eines Teils der radikalen Rechten angewiesen sind. Die Aushöhlung demokratischer Strukturen zu ignorieren, mag kurzfristig Vorteile bieten, zieht aber Langzeit-Kosten nach sich.

Rosa Balfour ist die Direktorin des Thinktanks Carnegie Europe und Co-Autorin eines neuen Berichts über den Einfluss der radikalen Rechten auf die Außenpolitik der EU („Charting the Radical Right’s Influence on EU Foreign Policy“).

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