Theater

Martin Kušej: „Es geht nicht mehr um Können, sondern um Quoten“

Martin Kusej 2022.
Martin Kusej 2022.APA / Comyan / Tobias Steinmaurer
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Der scheidende Burgtheaterdirektor hat „keine nachvollziehbare Erklärung“ für seine Nicht-Verlängerung bekommen, als Opfer eines Dinosauriersterbens will er sich aber nicht sehen.

Der Burgtheaterdirektor ist entspannt. In den letzten Wochen seiner Amtszeit haben sich Probenbesuche auf ein Minimum reduziert, Konzeptionsgespräche, Vertragsverhandlungen und Planungssitzungen entfallen ganz. Nach 13 Jahren Theaterleitung (acht am Residenztheater, fünf am Burgtheater) freut sich Martin Kušej darauf, auf „Theatererholungskur“ zu gehen und einige Monate fernab des Bühnenalltags grundsätzlich darüber nachzudenken, „was Theater weiter für mich bedeuten kann“.

Verschafft hat ihm diese Möglichkeit die Nichtverlängerung seines Vertrages. Die boshafte Frage, ob er darüber nicht dankbar sein könnte, beantwortet Kušej im Interview mit der APA ebenso boshaft: „Das würde voraussetzen, dass sich jemand dazu überhaupt Gedanken gemacht hätte. Bis heute habe ich aber keine nachvollziehbare Erklärung für die Entscheidung bekommen.“ Auch Zeitablauf und Prozedere habe ihn irritiert, ebenso, dass Kunststaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) sich im Vorfeld äußerst selten in Vorstellungen sehen ließ. „Insofern kann sie also gar nicht beurteilen, was wir hier getan haben. Aber ich habe längst meinen Frieden damit gemacht.“

Der „alte, weiße Mann“ als Opfer?

Dass er Opfer eines allgemeinen Dinosauriersterbens wurde, bei dem „alte, weiße Männer“ in Führungspositionen nicht mehr gefragt sind, glaubt der 63-Jährige nicht. „Aber ich bemerke schon, dass manche bedeutende Regisseure, die große Verdienste haben, aktuell keine Arbeit mehr haben. Das ist durchaus beunruhigend. Es geht nicht mehr um Qualität, Können und Erfahrung, sondern um irgendwelche Quoten.“

Oder geht es vielleicht darum, dass sich große Veränderungen in der Gesellschaft auch in den Produktions- und Arbeitsbedingungen der Theater niedergeschlagen haben – was bei manchen der älteren Generation noch nicht wirklich angekommen ist? „Ich bin total dafür, dass man Machtmissbrauch und Willkür bekämpft. Es gibt Dinge, die am Theater jahrzehntelang falsch gelaufen sind, keine Frage. Aber manchmal kommt mir das vor wie eine Kulturrevolution, die dabei auch viel anderes zerstört hat. Da würde ich mir mehr Besonnenheit und Entspanntheit wünschen.“

»„Entwicklungen am Theater wie Cancel Culture sehe ich äußerst kritisch.“«

Martin Kušej

Er selbst sei als Regisseur immer schon der Meinung gewesen, dass Kunst nur angstfrei entstehen könne, sagt Kušej: „Respektloses und unwürdiges Verhalten mit Kunst zu rechtfertigen geht gar nicht.“ Für das Burgtheater unter seiner Intendanz nimmt er in Anspruch, „dass wir sehr viele Dinge auf den Weg gebracht haben, die längst überfällig waren“: Das Ensemble sei etwa in seiner Direktion so divers, die Frauenquote bei der Regie so hoch wie nie gewesen. Es gebe Bereiche, in denen er nicht mitgehen möchte: „Entwicklungen am Theater wie Cancel Culture sehe ich äußerst kritisch, wir müssen uns auseinandersetzen. Deshalb glaube ich nicht, dass das uns am Theater weiterbringen wird. Ich halte das sogar mit dem Theater unvereinbar, denn das ganze Theater hat gewisse Grundregeln. Es lebt seit tausenden Jahren davon, dass wir so tun, als ob ...“

Der Durchschnitt bestimmt den Alltag

Rund 125 Inszenierungen liegen hinter Martin Kušej, der auch in einem auf der Burgtheater-Homepage abrufbaren Video-Podcast Einblicke in seine Arbeit gibt. Er habe immer Neues ausprobieren wollen, sagt er dort. Die Maxime für seine Zuschauer gilt auch für ihn selbst: „Ich will nicht, dass einem fad ist.“ Fad sei ihm auch nach 40 Berufsjahren nicht, sagt er, und in diesen Wochen des „Ausplätscherns“ (Kušej) gehe ihm bereits manches ab: „Vor allem den Probenprozess vermisse ich. Der macht mir nach wie vor unheimlich Spaß. Theater ist meine Leidenschaft. Es ist nicht mein Beruf, sondern meine Berufung. Daran hat sich nichts geändert. Ich sehe mich als Künstler - und Theater als das ideale Metier, reproduzierende und produzierende Kunst miteinander zu vereinen.“

Was ihm dagegen künftig nicht abgehen wird: „Ich habe auch für Dinge die Verantwortung übernommen, für die ich nichts konnte.“ Etwa, wenn von ihm engagierte Künstler trotz idealer Arbeitsbedingungen unter den Erwartungen blieben. „Aber so ist Theater eben: Es ist nicht immer alles genial. Am Ende bestimmt der Durchschnitt den Alltag. Das war manchmal schon schwierig.“

117 Produktionen habe es im Burgtheater in seiner Direktion gegeben, sagt Kušej und verweist auf den in drei Ausgaben des Burgtheater-Magazins getätigten Rückblick: „Ich bin total stolz darauf, was wir gemeinsam geschafft haben, und ich schaue sehr positiv darauf zurück. Vielleicht wird sich vieles davon, was wir hier gemacht haben, auch erst in der Rückschau beweisen.“

Wandel im Theater

Geht der Blick noch weiter zurück, nämlich auf seine Anfänge als Regisseur in den 1980ern, dann stellt er einen großen Wandel fest: „Theater war damals gesellschaftlich gesehen anders relevant als heute. Viel schneller war etwas ein Skandal, eine Aufregung. Wir haben so viel bewegt, dass es eine Freude war. In den 90ern hat dann das Theater im deutschsprachigen Raum eine Freiheit erreicht, die anderswo nur bestaunt wurde. Umso trauriger ist es, dass es gesellschaftlich derzeit eine beängstigende Rückwärtsbewegung gibt, bei der man denkt: Wir müssen wieder von vorne anfangen!“

Auf der Bühne sei politische Agitation allerdings fehl am Platz. „Kunst muss da darüberstehen. Unsere eigentliche politische Haltung drückt sich in den Aussagen aus, die ich als öffentliche Person tätige. Und in unserem Transparent auf der Fassade: “Aufwachen, bevor es wieder finster wird.' Seit Neuestem mit dem Zusatz: '... und ihr Wahllokal geschlossen hat.'„

Revolution spielen in der Kunst?

Nach außen wandte sich jüngst auch die „Perlenrede“ von Aktionskünstler Flatz, für die der gespiegelte „Hitler-Balkon“ des Rathauses an der Burgtheater-Fassade angebracht wurde. Kürzlich fand die Eröffnung der Wiener Festwochen als Ausrufung der „Freien Republik Wien“ mit einigem Getöse auf dem Rathausplatz statt. Was hält Kušej davon, in der Kunst Revolution zu spielen? „Ich finde die politische Message, die Milo Rau mit seinem Programm vertritt und emblematisch den Festwochen verpasst hat, gut und richtig. Ich unterstütze das. Ich halte das für ein starkes Signal.“

Ein deutliches Signal befürchtet er auch von den kommenden Wahlen: „Ich bin entsetzt darüber, wie viele wieder die FPÖ wählen werden, und dass so eine Geschichte wie Ibiza nach kurzer Zeit wieder vergessen wurde. Und wie sich die ÖVP selbst zerlegt hat, ist ja ein Drama von Shakespeare‘scher Dimension. Doch leider muss man sagen: Was bitte machen die anderen Parteien? Es gibt keinen Dialog und keine Vision. Und beim ganz zentralen Thema, beim Klima, würde man sich eine zentrale Lichtgestalt wie Jesus wünschen, damit endlich alle gemeinsam anfangen zu handeln.“ (APA / Wolfgang Huber-Lang)

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