Gastkommentar

Kann die KI unser Familienleben verbessern?

(c) Peter Kufner
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KI als Co-Piloten für Familien einzusetzen könnte Zeit sparen – und dafür sorgen, dass wir dabei nicht den Verstand verlieren.

Die öffentliche Debatte über die Zukunft künstlicher Intelligenz konzentriert sich auf zwei Hauptsorgen: die allgemeinen Auswirkungen der Technologie auf die Menschheit und ihre unmittelbaren Auswirkungen auf den Einzelnen. In erster Linie interessiert die Menschen, wie die Automatisierung das Arbeitsleben umgestalten wird. Welche Branchen werden morgen noch da sein? Und wessen Arbeitsplätze sind heute gefährdet?

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Doch wird bei der Debatte bisher eine wichtige Säule der Gesellschaft übersehen: die Familie. Wenn wir KI-Systeme schaffen wollen, die zur Lösung dringender sozialer und wirtschaftlicher Probleme beitragen statt sie zu verschärfen, sollten wir uns bewusst machen, dass 89 Prozent aller US-Haushalte aus Familien bestehen, und wir sollten bei unseren Entscheidungen über die Anwendung der Technologie das komplexe Druckgefüge in Betracht ziehen, dem Familien ausgesetzt sind.

Schließlich bedürfen die Familien in den USA dringend der Unterstützung. Laut Weltwirtschaftsforum droht Amerikas sechs Billionen Dollar schwerer Betreuungs- und Pflegewirtschaft durch Arbeitskräftemangel, Verwaltungsauflagen und ein dysfunktionales Marktmodell der Kollaps, da die meisten Familien die vollen Betreuungskosten nicht tragen können und die Beschäftigten chronisch unterbezahlt sind. Auch hat sich die Situation der Eltern verändert: Mehr Eltern arbeiten, und die an sie gestellten zeitlichen Anforderungen – von der Betreuung der Kinder und alternder Eltern bis zur Bewältigung der Informationsflut und der Koordinierung von Haushaltsaufgeben – haben sich verschärft.

KI als Co-Piloten für Familien einzusetzen könnte Zeit sparen – und dafür sorgen, dass wir bei all dem nicht den Verstand verlieren. Ein KI-Assistent könnte E-Mails und Aktivitätsplanungen der Schule entziffern oder durch Erstellung von Packlisten und Bestätigung von Reiseplänen bei Vorbereitungen für einen anstehenden Familienurlaub helfen. Durch KI aufgerüstet, könnten die derzeit in Japan und anderswo in der Entwicklung befindlichen Pflegeroboter die Privatsphäre und Autonomie der Pflegeempfänger bewahren helfen und menschliches Pflegepersonal in die Lage versetzen, mehr Zeit mit der Anbahnung emotionaler Verbindungen und der Lebensbegleitung zu verbringen. 

Der ideale KI-Pilot

Die Konzeption von KIs zur Bewältigung komplexer menschlicher Probleme wie dem Aufziehen von Kindern oder der Pflege von Senioren erfordert es, deren Rolle zu definieren. In der heutigen Welt besteht Betreuungsarbeit und insbesondere Kindererziehung aus zu vielen mondänen Aufgaben, die die für bedeutsamere Aktivitäten zu Verfügung stehende Zeit verringern. KI könnte daher als „Antitechnologie-Technologie“ fungieren – als Schutzschild vor der Kultur ständiger Erreichbarkeit durch E-Mail und Textnachrichten und endloser To-do-Listen. Der ideale KI-Co-Pilot würde den größten Teil dieser zeitlichen Belastungen übernehmen und es Familien ermöglichen, mehr Zeit miteinander zu verbringen.

Doch sind komplexe menschliche Aufgaben normalerweise „Eisbergprobleme“, bei denen der größte Teil der Arbeit unter der Oberfläche versteckt liegt. Ein KI-Co-Pilot, der nur die sichtbare Arbeit übernimmt, würde wenig zur Entlastung von Betreuungspersonen beitragen, weil die Ausführung dieser Aufgaben ein umfassendes Verständnis davon erfordert, was zu tun ist.

Packlisten und Kalender

Wir können zum Beispiel die Technologie entwickeln, um Kalendereinträge aus einer E-Mail mit dem Terminkalender einer Jugendfußballmannschaft zu erstellen (und sie anschließend zu löschen und neu anzulegen, wenn sie sich unweigerlich eine Woche später wieder ändern). Doch um Eltern von den unsichtbaren Belastungen des Organisierens der Sportsaison ihres Kindes zu befreien, müsste die KI die verschiedenen anderen Aufgaben verstehen, die unter der Oberfläche liegen: die Suche nach den Sportplätzen der unterschiedlichen Vereine, die Beachtung der Trikotfarben, die Anmeldung für Verpflegungsdienste und die Erstellung der entsprechenden Erinnerungshinweise. Wenn ein Elternteil einen Terminkonflikt hat, müsste der KI-Assistent den anderen Elternteil informieren, und wenn beide Terminkonflikte haben, müsste er in dem Bewusstsein, wie wichtig es für ein Kind sein kann, ein Elternteil oder eine andere nahestehende Person bei seinem Spiel dabeizuhaben, einen Termin für ein Gespräch ansetzen.

Die Herausforderung ist nicht, hierfür eine Antwort zu finden, sondern angesichts des komplexen Kontexts die richtige. Bei den Eltern ist diese großteils fest im Kopf verankert. Durch sorgfältige Analyse und Kuration ließe sich dieses Wissen eines Tages in Daten umwandeln, um damit spezialisierte KI-Modelle für Familien zu trainieren. Große Sprachmodelle wie ChatGPT-4, Gemini und Claude dagegen werden im Allgemeinen mit öffentlichen, im Internet erhobenen Daten trainiert.

Die Entwicklung eines KI-Co-Piloten für Betreuungspersonen würde die technischen Grenzen der Technologie austesten und den Umfang ermitteln, in dem diese moralische Gesichtspunkte und gesellschaftliche Werte berücksichtigen kann. In einem in Kürze erscheinenden Aufsatz mit dem Titel „Computational Frameworks for Care and Caregiving Frameworks for Computing“ (Computergestützte Rahmenbedingungen für die Betreuung und betreuungsgestützte Rahmenbedingungen für das Computerwesen) untersucht der Experimentalpsychologe Brian Christian einige der größten Herausforderungen bei dem Versuch, Betreuung und Pflege in jene für maschinelles Lernen erforderlichen mathematischen „Belohnungsfunktionen“ zu übersetzen. Ein Beispiel sind Interventionen einer Betreuungsperson auf der Grundlage ihrer Ansichten darüber, was im Interesse eines Kindes ist, selbst wenn das Kind anderer Meinung ist. Christian kommt zum Schluss: „Der Prozess, zu versuchen, zentrale Aspekte menschlicher Erfahrung zu formalisieren, zeigt uns, was Betreuung wirklich ist – und vielleicht sogar, wie viel wir bisher diesbezüglich noch nicht begriffen haben.“ Wie Büroarbeit besteht ein großer Teil des Familienlebens aus sich wiederholenden, mondänen Aufgaben, die von einer KI übernommen werden könnten. Doch anders als bei Büroarbeit würde die Schulung eines derartigen KI-Modells die sorgfältige Erfassung und Übermittlung der spezialisierten Praktiken einer intimen Welt erfordern. Aber das lohnt sich: Ein KI-Assistent für Betreuungspersonen würde Zeit und Energie für Empathie, Kreativität und die Pflege von Beziehungen freisetzen.

Noch wichtiger: Die Ermittlung, welche Teile der Betreuungsarbeit von der KI ausgeführt werden sollten, wird uns eine Menge darüber lehren, welche Familienfunktionen und Aktivitäten ausschließlich und komplett dem Menschen vorbehalten bleiben sollten.

Aus dem Englischen von Jan Doolan © Project Syndicate 1995–2024

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Die Autoren

Anne-Marie Slaughter (* 1958) war Direktorin für Politikplanung im US-Außenministerium. Sie ist CEO der Denkfabrik New America, Professorin emerita für Politik und internationale Angelegenheiten an der Universität Princeton und die Verfasserin von Renewal: From Crisis to Transformation in Our Lives, Work, and Politics(Princeton University Press, 2021).

Avni Patel Thompson ist Gründerin und CEO von Milo, einem KI-gestützten Partner, der Eltern bei der Bewältigung der unsichtbaren Belastungen des Managements einer Familie helfen kann.

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