Kopfkino

Wie ein Schmetterling im Regen

Ein Schmetterling, der keine Angst vor dem Regen hat. Ein schönes Bild. Und noch schöneres Vorbild.
Ein Schmetterling, der keine Angst vor dem Regen hat. Ein schönes Bild. Und noch schöneres Vorbild.Imago / Florian Gaul
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Das kann doch nicht alles gewesen sein, oder? Aber warum nicht? Woher kommt dieses Verlangen?

Es gibt da diese Szene in dem Film „Reign Over Me“ aus dem Jahr 2007. Der erfolgreiche, gut aussehende und smarte Zahnarzt Alan (Don Cheadle) spaziert einmal mehr gedankenverloren durch die Straßen New Yorks. Was an seiner Körpersprache ohnehin deutlich zu sehen ist, spricht er später auch aus. Er hat noch Sehnsüchte im Leben, Träume, Verlangen. Ihm fehlen die Reibung, die Ekstase, die Euphorie, die Entzückung, das Unerwartete. „Das kann doch nicht alles sein“, sagt er kopfschüttelnd, beinahe desillusioniert.

Wie gut ich seine Gedanken doch verstehen kann. Diesen unbändigen Hunger nach dem süchtig machenden Gefühl, lebendig zu sein. Nach den Augenblicken, die einen um den Verstand bringen und den Unterschied ausmachen zwischen einem schönen und einem außergewöhnlichen Leben. Die sich einbrennen ins Gedächtnis und so tiefe Spuren hinterlassen, dass die Erinnerung daran nie wieder auch nur ansatzweise verblasst. Die mit der Gewissheit verbunden sind, dass man sie niemals bereuen wird. Weil sie Ausdruck unserer Persönlichkeit sind – unseres Wesens, unserer Individualität. So nah, so präsent, so fest zu uns gehörig.

Nichts an diesen Gedanken ist falsch, undankbar oder abgehoben. Rätselhaft ist allenfalls ihr Ursprung. Wie bei Alan im Film. Er war nie arm, nie unbeliebt, nie unattraktiv, nie ohne Erfolg. Dennoch verfolgen ihn seine Sehnsüchte rund um die Uhr, machen aus ihm einen melancholischen Tagträumer und rauben ihm den Schlaf.

Was für ein faszinierender Charakter – so vielschichtig, so draufgängerisch, so widersprüchlich, so verletzlich. Wie ein dünner Lichtstrahl in der Finsternis. Wie ein Papierschiff auf einem Ozean. Wie ein Vogel in einem Tornado. Wie ein Schmetterling im Regen. Wie eine Blume in einer Mauerspalte. Wie eine noch vor dem Frühling aufgehende Knospe. Wie ein zum ersten Mal verliebter Teenager.

Mit dieser Furchtlosigkeit, diesem Mut, diesem Hunger muss er sich keine Sorgen machen. Das Leben wartet auf ihn – mit einer Million Magic Moments.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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